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Deutschland verfehlt Impfziele

Mittwoch, 27. April 2016

Deutschland ist beim Masern-Impfen besser geworden, aber noch lange nicht gut genug. Das resümierte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe anlässlich der Woche des Impfens, zu der das Bettenhaus der Charité passend zum Thema angeleuchtet wurde. / Thomas Imo/BMG

Berlin – Anlässlich der europäischen Impfwoche der Weltgesundheitsorganisation hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) eine „gemeinsame Kraftan­strengung der Ärzte, Schulen, Kitas, der Betriebe und natürlich auch der Familien“, gefordert, um die Masern in Deutschland auszurotten. „Die aktuellen Zahlen zeigen, dass Deutschland beim Impfen gegen Masern besser geworden ist, aber wir sind längst noch nicht gut genug. Die Impflücken sind noch immer zu groß“, sagte Gröhe in Berlin.

Im Jahr 2014 hatten deutschlandweit 92,8 Prozent der Schulanfänger die maßgebliche zweite Masern-Impfung erhalten. Damit verfehlt Deutschland die angestrebte Impfquote von 95 Prozent. „Zudem werden viele Kinder zu spät gegen die Masern geimpft“, sagte Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI). Im Alter von 24 Monaten hätten erst 71 Prozent der Kinder die zweite Masern-Impfung erhalten, das zeige eine RKI-Auswertung von Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen.

„Nach Studien sind die Impfempfehlungen gegen Masern noch nicht ausreichend bekannt. Daher ist es wichtig, mit umfassenden Informationsangeboten auf die Impfungen aufmerksam zu machen und an den Impfcheck zu erinnern“, betonte Heidrun Thaiss, Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Die Bundeszentrale stellt daher einen neuen Impfvortrag bereit, der zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, dem Paul-Ehrlich-Institut und dem RKI entwickelt wurde. Ärzte können die Vortragsfolien in Praxen, Kliniken oder Schulen nutzen und so über das Thema Impfen informieren.

Außerdem hat die BZgA zusammen mit Experten der Universität Erfurt eine Entscheidungshilfe zur Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln überarbeitet

Anlässlich der europäischen Impfwoche wird das Bettenhochhaus der Universitätsklinik Charité in Berlin-Mitte nachts mit roten Masernpunkten angestrahlt. Diese Licht-Aktion soll in der Öffentlichkeit verstärkt auf den wichtigen Impfschutz aufmerksam machen. © hil/aerzteblatt.de

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Kommentare

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Avatar #697854
Dr.Bayerl
am Montag, 2. Mai 2016, 15:34

Einverstanden mit meinem Vorrednern, ich bin hier auch beim RKI

Die Gefahr lauert in Deutschen Kitas, bei denen meist nicht einmal das örtliche Gesundheitsamt Interesse zeigt. Das ist wohl regional sehr unterschiedlich.
Ich fragte mal (als Arzt und Vater) so eine hoffnungsvolle hübsche Fachkraft anlässlich einer nicht enden wollenden Krankmeldeserie nach einer Grippeimpfung für die Mitarbeiter,
worauf ich die freundlich lächelnde Antwort bekam, iiiiich? nee, es sei doch allgemein bekannt wie nutzlos diese sei. Durch die vielen Personalausfälle wurden die Kinder jedenfalls ausgezeichnet durchmischt, am Ende bekam jedes Kind Kontakt mit jedem.
Allerdings wird bei den Kindern in der Regel schon nach dem Impfpass gefragt zur Vervollständigung der Akte mit vielen Unterschriften :-).
Avatar #691359
Staphylococcus rex
am Sonntag, 1. Mai 2016, 22:51

Interessenskonflikte beim Impfkalender

Beim Impfkalender müssen die Verantwortlichen der STIKO gegensätzliche Ziele in Einklang bringen: Eine spätere Impfung ist zwar wirksamer (siehe Beitrag von Dr. Schaetzler), andererseits ist die wichtigste Zielgruppe die der Kinder unter 2 Jahren. Diese Gruppe hat bei einer Maserninfektion ein deutlich erhöhtes Risiko einer SSPE. Im Idealfall bietet eine Impfung doppelten Schutz, einerseits den Individualschutz für die geimpfte Person, andererseits den Herdenschutz durch die Unterbrechung der Infektketten.

Damit der Herdenschutz funktioniert, muss die Impfrate höher sein als die natürliche Durchseuchungsrate, was bei einer hochinfektiösen Krankheit wie Masern besonders schwierig ist. Und solange die Politik nicht bereit ist bei der Masernimpfung wirklich Verantwortung zu übernehmen, ist aus meiner Sicht die Entscheidung der STIKO durchaus nachvollziehbar, also Impfung zum frühestmöglichen Zeitpunkt, um einen Individualschutz für die Familien zu ermöglichen, die bereit sind mitzumachen. Erst bei einer ausreichenden Herdenimmunität kann man das Risiko eingehen und die Impfung nach hinten schieben.

Die sprachlichen Feinheiten von "Wir" und "Ich" gehören nach meiner Erfahrung zum kleinen Einmaleins eines Berufspolitikers. Das "Ich" wird benutzt, wenn es um die Darstellung des eigenen Anteils an Erfolgen geht, das "Wir" steht dagegen hoch im Kurs, wenn es darum geht, Schuld und Verantwortung auf möglichst viele Schultern zu verteilen.

Wie mein Vorredner bereits festgestellt hat, zeugt die Verwendung des Wortes "Wir" in dem Beitrag eines Ministers von dem Versuch, sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Avatar #106067
dr.med.thomas.g.schaetzler
am Samstag, 30. April 2016, 08:23

Das "WIR" gewinnt nicht,

Wenn der zuständige Fachminister das vom "Wir" zum "Ich" nicht begreifen kann und will!

"W i r brauchen jetzt eine gemeinsame Kraftanstrengung der Ärzte, Schulen, Kitas, der Betriebe und natürlich auch der Familien, damit Masern in Deutschland der Vergangenheit angehören", beschwört Bundes-Gesundheitsminister (BGM) Hermann Gröhe anlässlich der Europäischen Impfwoche im Originalton und steht vor dem mit roten "Masernpunkten" neckisch angestrahlten Hauptgebäude der Charité in Berlin. Mit "Wir" meint er wohl nur "die Anderen", nicht aber sich selbst.

Das ist in etwa so treffend wie die Frage "Wie geht's U n s denn heute?", wenn man sich selbst als Arzt gerade n i c h t meint. Unser BGM will mit seinem kommunikativen "faux pas" andeuten, dass er und sein juristischer Sachverstand gar nicht gefragt sei. Mit dem "Wir" will er sein "Ich" sozusagen heraushalten.

Genau das soll von seiner eigenen Ressortverantwortung ablenken: Die Masernproblematik ist seit über 10 Jahren bekannt. Ungeimpfte und damit ungeschützte Migranten haben in Berlin zu einem extrem heftigen Masernausbruch geführt, deren Folgen als tödliche Spätkomplikation in Form der subakuten sklerosierenden Panenzephalitis (SSPE) noch kommen werden.

Der Bundesgesundheitsminister als oberstert Dienstherr aller Behörden und Ämter, die sich mit Krankheit und Gesundheit beschäftigen sollen, steht besonders im Bereich der Prävention in der Pflicht, umsichtig und klug ("choosing wisely") zu handeln. Deshalb müssten er und auch sein "Ich" sich besser informieren lassen.

A. Uzicanin und L. Zimmerman vom Centers for Disease Control and Prevention, Atlanta, Georgia/USA (CDC) haben unter dem Titel: "Field Effectiveness of Live Attenuated Measles-Containing Vaccines: A Review of Published Literature" die Feld-Effektivität von abgeschwächten Masern-Lebendimpfstoffen als "vaccine effectiveness" (VE) untersucht. Dazu wurden die Ergebnisse von VE-Studien, die von 1960 bis 2010 veröffentlicht wurden, überprüft ["Methods - We reviewed results of VE studies published during 1960–2010"]. Die VE war bei Masern-Erstimpfungen zwischen den 9. bis 11. Lebensmonaten weit weniger wirksam (77% vs. 92%), als mit den Erstimpfungen erst ab dem 12. Lebensmonat aufwärts zu beginnen ["For a single dose of vaccine administered at 9–11 months of age and >/=12 months, the median VE was 77.0% (interquartile range [IQR], 62%–91%) and 92.0% (IQR, 86%–96%), respectively"].

Die z w e i m a l i g e Masernimpfung wies gegenüber Ungeimpften mit einer VE von 94,1% eine hohe Wirksamkeit auf ["For 2 doses of measles-containing vaccine, compared with no vaccination, the median VE was 94.1% (IQR, 88.3%–98.3%)"]. Vgl.:
http://jid.oxfordjournals.org/content/204/suppl_1/S133 bzw.
J Infect Dis. (2011) 204 (suppl 1):S133-S149.doi: 10.1093/infdis/jir102

Aber was ist dann mit den immerhin 5,9 Prozent, die mit der klassischen 2-fach-MMR-Impfung in Deutschland z. B. n i c h t erfolgreich immunisiert werden konnten? Bezogen auf unsere knapp 81 Millionen Menschen hier, blieben selbst bei 100-prozentiger MMR-2-fach-Durchimpfungsrate noch knapp 4,8 Millionen Einwohner o h n e den erhofften Masern-Impfschutz.

Alle ausländischen Daten sprechen für z.T. erhebliche Lücken, nicht zuletzt durch ein zu früh einsetzendes Impfregime: So wird in skandinavischen Ländern mit MMR später begonnen. Defay, F. et al. aus Kanada wiesen das mit "Measles in Children Vaccinated With 2 Doses of MMR. Pediatrics 2013; online 21. Oktober 2013; DOI: 10.1542/peds.2012-3975 nach. Die frühe Masernimpfung bei Kindern im Alter von bis zwölf Monaten sei eher ungünstig. Nach den Daten dieser kanadischen Studie wäre die Gefahr, dass der Impfstoff dann versagt, fünfmal höher. Besser sei es, mit einer Erstimpfung erst im 15. Lebensmonat zu beginnen
http://pediatrics.aappublications.org/content/early/2013/10/16/peds.2012-3975.abstract

In der Masern-Problematik kann es kein einfaches "Das Wir gewinnt" geben. Impfstoffe, Impf-Empfehlungen, Versorgungsforschung, infektions-epidemiologisches Verhalten bzw. Medizin- und Versorgungs-Bildungsferne im Bundesgesundheitsministerium gehören auf den Prüfstand.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund zum Beitrag »
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