Medizin
Fachgesellschaften: Nüchterner Magen für Lipidprofil nicht mehr erforderlich
Donnerstag, 28. April 2016
Kopenhagen – Die European Federation of Clinical Chemistry and Laboratory Medicine und die European Atherosclerosis Society vertreten die Ansicht, dass die Blutabnahme für ein Lipidprofil in den meisten Fällen nicht auf nüchternen Magen des Patienten erfolgen muss. Als Argument werden im European Heart Journal (2016; doi: doi:10.1093/eurheartj/ehw152) die Erfahrungen aus Dänemark genannt, wo die Labore seit 2009 auch Blutproben von postprandialen Patienten akzeptieren.
Cholesterin und Triglyzeride werden traditionell in Blutproben von Patienten gemessen, die seit mindestens acht Stunden nichts gegessen haben. In der Praxis bedeutet dies, dass die Blutentnahme am Morgen vor dem Frühstück erfolgt. Dies lässt sich in Krankenhäusern relativ gut organisieren, viele ambulante Patienten stellt dies jedoch vor ein Compliance-Problem. Bei Diabetikern besteht sogar das Risiko einer Hypoglykämie, wenn sie im Wartezimmer nicht die ersten sind, die zur Blutuntersuchung aufgerufen werden.
Der Nüchternwert gilt als objektiver, da die Triglyzeride nach den Mahlzeiten in Abhängigkeit vom Fettgehalt der Nahrung ansteigen. Außerdem wird der Triglyzeridwert in der Friedewald-Formel zur Berechnung des LDL-Cholesterins benötigt. Da die Menschen sich jedoch tagsüber die meiste Zeit in einem postprandialen Zustand befinden – die Zeit zwischen den Mahlzeiten ist fast immer kürzer als acht Stunden – wird seit längerem an der Aussagekraft der Nüchternwerte gezweifelt.
Auch der Einfluss auf den berechneten LDL-Cholesterinwert ist in der Regel geringer als befürchtet. Die Blutentnahme erfolgt nur ausnahmsweise direkt nach einer fetthaltigen Mahlzeit, wenn die Triglyzeridwerte stark erhöht sein können. In klinischen Studien zur Statinbehandlung (z.B. Heart Protection Trial) und in epidemiologischen Untersuchungen (z.B. Women’s Health Study) wird deshalb zunehmend auf eine Blutentnahme auf nüchternen Magen verzichtet.
Børge G. Nordestgaard von der Universität Kopenhagen und Mitarbeiter haben jetzt offenbar die beiden Dachgesellschaften überzeugt. Die neuen Empfehlungen halten eine Blutentnahme auf nüchternen Magen in der Regel nicht für notwendig: bei einer Erstuntersuchung, für die Abschätzung eines kardiovaskulären Risikos, bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom, bei Kindern, bei Patienten, die nicht nüchtern bleiben wollen, bei Diabetikern, bei älteren Menschen und bei Patienten unter einer stabilen medikamentösen Therapie.
Die Nüchternwerte werden nach Ansicht der Autoren nur benötigt, wenn die Triglyzeride in der Erstuntersuchung höher sind als 440mg/dl, wenn eine Hypertriglyzeridämie bekannt ist, wenn die Patienten sich von einer Pankreatitis erholen, wenn sie Medikamente zur Senkung des Triglyzeridwerts erhalten sollen. Dies dürfte nach Ansicht von Nordestgaard jedoch die wenigsten Patienten betreffen. In Dänemark würde derzeit nur etwa jede zehnte Blutuntersuchung auf nüchternen Magen erfolgen. Die Leitlinie ist für die einzelnen Fachgesellschaften nicht bindend. Die Empfehlungen sind eher als Diskussionsgrundlage gedacht. © rme/aerzteblatt.de

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