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Medizin

Adipositas weniger tödlich als vor 40 Jahren

Donnerstag, 12. Mai 2016

/dpa

Kopenhagen – Zu dünne und zu dicke Menschen sterben früher. Dies führt in epidemiologischen Untersuchungen, die Body-Mass-Index und Sterberisiko in Beziehung setzen, zu einer U-Kurve. Der untere Scheitelpunkt des Body-Mass-Index lag in Kopenhagen im Zeitraum 1976/78 bei 23,7 kg/m². Im Zeitraum 1991-94 ist er auf 24,6 kg/m² und im Zeitraum von 2003/13 sogar auf 27,0 kg/m² gestiegen. Er liegt damit in einem Bereich, der allgemein als „übergewichtig“ (25,0-29,9 kg/m²) und damit als kontrollbedürftig eingestuft wird, auch wenn die Grenze zur Adipositas (ab 30 kg/m²), die als Krankheit betrachtet wird, noch nicht erreicht wurde.

Die Zahlen basierten auf drei Kohorten: Zwei Gruppen aus der Copenhagen City Heart Study von 1976-1978 (13.704 Teilnehmer) und 1991-1994 (9.482 Teilnehmer) sowie der Copenhagen General Population Study von 2003-2013 (97.362 Teilnehmer). Die Kohor­ten sind in ihrer Zusammensetzung und der Erhebung von Risikofaktoren vergleichbar. Und die Auswertung ist komplett, da ein Abgleich mit den Sterberegistern in Dänemark leicht möglich ist. Aufgrund der hohen Teilnehmerzahl sind die Ergebnisse stichhaltig, so dass wenig Zweifel an den Ergebnissen möglich sind: Übergewicht scheint  heute weniger gefährlich zu sein als noch vor vier Jahrzehnten. 

Dies bedeutet allerdings nicht, dass Übergewicht gesund ist. Die Studie, die Børge Nordestgaard von der Universitätsklinik Kopenhagen jetzt im amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2016; 315: 1989-1996) veröffentlicht hat, kann die Gründe für die wundersame Verschiebung des Scheitelpunktes nicht erklären. Da die gleichen ethnischen Gruppen untersucht wurden (ein Einfluss der Migration ist nicht erkennbar), lässt sich ein genetischer Einfluss ausschließen.

Eine mögliche Erklärung könnte in der besseren medizinischen Versorgung liegen. Übergewicht ist nicht an sich gefährlich. Es bedingt jedoch kardiovaskuläre Risikofak­toren wie Hypertonie und Hyperglykämie. Gegen Hypertonie und Hyperglykämie gibt es wirksame Medikamente, die das Sterberisiko senken (was für die Hypertonie besser belegt ist als für die Hyperglykämie).

Nordestgaard hat diese beiden Risikofaktoren in seiner Untersuchung nicht berück­sichtigt (während Rauchen, Cholesterin und Bewegungsmangel keinen Einfluss auf das Sterberisiko hatten). Auffällig ist, dass die Verschiebung des Body-Mass-Index mit dem niedrigsten Sterberisiko vor allem auf den Tod durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen ist. Beim Sterberisiko durch Krebs liegt der Scheitelpunkt unverändert im Bereich des Normalgewichts.

Sollte tatsächlich die medizinische Versorgung für die Verschiebung des Scheitelpunktes verantwortlich sein, was derzeit reine Spekulation ist? Dann würde sich die Frage stellen, warum Normalgewichtige davon offenbar nicht profitieren. Sollten am Ende Übergewichtige ein stärkeres Problembewusstsein haben und häufiger zum Arzt gehen als Normalgewichtige, die sich ihrer kardiovaskulären Risikofaktoren weniger bewusst sind? © rme/aerzteblatt.de

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Kommentare

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Avatar #106067
dr.med.thomas.g.schaetzler
am Samstag, 14. Mai 2016, 14:04

DÄ-TITEL IST UNLOGISCH!

Vor 40 Jahren gab es überhaupt keine so weit verbreitete Adipositas! Wie kann dieselbe heute weniger tödlich sein als vor 40 Jahren, wo sie damals gar nicht vorhanden war?

Der Titel "Change in Body Mass Index Associated With Lowest Mortality in Denmark, 1976-2013" von S. Afzal gibt ebenfalls die irreführende Interpretation von "rme" im Deutschen Ärzteblatt gar nicht her. Unter
http://jama.jamanetwork.com/article.aspx?articleid=2520627
wird einfach wieder einmal bestätigt, dass der Body-Mass-Index (BMI) ein lupenreiner Surrogat-Parameter ist, der weder Morbidität noch Mortalität detektieren, identifizieren, abbilden oder demaskieren kann.

Den BMI als isoliertes Einzelsymptom zu einer nosologisch greifbaren Krankheitsentität hochstilisieren zu wollen ist schlicht und ergreifen töricht! Ganz so, als sei ausgerechnet der BMI oder der Bauchumfang die Krankheit, die man zu behandeln vorgibt?

Man stirbt nicht a n einem BMI, sondern m i t einem abnehmenden BMI bei konsumierenden Tumorerkrankungen, kardialer, pulmonaler oder renaler Kachexie, Altersdegeneration und -exsikkose bzw. allgemeinen alterungsbedingten Organ-Abbauprozessen. Deswegen spricht ein relativ hoher BMI auch gegen derartige präfinale Zustände.

Das paradoxe "Obesity" Paradoxon wird in zahlreichen Studien beschrieben. Exemplarisch eine für die, welche alle demselben "bias" (Annahmefehler) unterliegen, von P. Costanzo et al.: "The Obesity Paradox in Type 2 Diabetes Mellitus: Relationship of Body Mass Index to Prognosis", Ann Intern Med 2015;162:610-618; doi:10.7326/M14-1551

Es ist der Katabolismus s e l b s t, der bei a n d e r e n schweren, konsumierenden Begleiterkrankungen mit erhöhter Mortalitätsrate z. B. bei Tumorkachexie oder pulmonaler, COPD-bedingter Kachexie sich maskiert und mit erhöhter Mortalität in der Gruppe der Norm- bis Untergewichtigen einhergeht.

In der Mega-Metaanalysen-Studie von K. M. Flegal et al. wurden 97 prospektive Studien, vornehmlich aus den USA und Europa, mit mehr als 2,88 Millionen Menschen und über 270.000 Todesfällen ausgewertet. In "Association of All-Cause Mortality With Overweight and Obesity Using Standard Body Mass Index Categories" (JAMA. 2013;309(1):71-82) war die Mortalität bei BMI-Normalgewicht deshalb erhöht, weil der von K. M. Flegal et al. verwendete "cut-off" eines BMI von größer oder gleich 18,5 (bis 24,9) betrug.

Einem BMI von 18,5 entspricht bei einer Größe von 180 cm nur noch 59 kg Körpergewicht. Dies führt zu einer statistisch verzerrenden E r h ö h u n g der Mortalität in der Population der noch normgewichtigen Patienten und dann später katabol-krankheitsbedingt weiter Untergewichtigen gegenüber den Übergewichtigen mit ihrem anabolen Stoffwechsel.

Vergleichbar ist damit die Schlussfolgerung einer Diabetes-Studie: "Conclusion: Adults who were normal weight at the time of incident diabetes had higher mortality than adults who are overweight or obese" (JAMA. 2012;308(6):581-590). Denn Adipöse haben gute, therapeutisch zugängliche Gründe für ihren Typ-2-Diabetes: Bewegungsmangel, metabolisches Syndrom, Insulinmangel bei relativer Betazellinsuffizienz und zunehmende Insulinresistenz.

Normalgewichtige mit Typ-2-D. m. haben dagegen eine progrediente, absolute Betazellinsuffizienz mit dramatischerem Krankheitsverlauf und höherer Mortalität, was idiopathisch, metabolisch oder genetisch determiniert sein könnte.

Auch das 'Adipositas-Paradoxon' bei systolischer Herzinsuffizienz bleibt rätselhaft. Übergewicht erhöht das Herz-Kreislauf-Risiko bei Gesunden. Wer bereits erkrankt ist, profitiert eher vom Übergewicht: "The obesity paradox in men versus women with systolic heart failure" (Am J Cardiol. 2012 Jul 1;110(1):77-82). Dabei wurde auch die kardiopulmonale Kachexie übersehen. Patienten mit fortgeschrittener, schwerer Herzinsuffizienz entwickeln in der Endstrecke NYHA IV eine katabole Energiebilanz. Dann trifft die höhere Sterblichkeit vermehrt untergewichtige Herzinsuffizienz-Patienten auch mit einem BMI ab 18,5.

Und die Studie "Overweight and obesity are associated with improved survival, functional outcome, and stroke recurrence after acute stroke or transient ischaemic attack: observations from the TEMPiS trial " (Eur Heart J 2012 online October 16) ergab, dass nach Schlaganfall die Überlebens- und Restitutionswahrscheinlichkeit von Patienten mit relativem Übergewicht und einem BMI >25 besser als bei Normgewichtigkeit mit BMI 18,5-24,9 waren.

Doch auch hierbei wurden katabole Begleiterkrankungen und mortalitätserhöhende Risikofaktoren in der Population mit niedrigem BMI nicht ausreichend diskutiert.

Die einfache Gleichung "schlank gleich gesund" gilt eben nur für Gesunde, nicht für kranke Schlanke. Bei Kranken müssen Normgewicht, Übergewicht und dynamische krankheitsbedingte Gewichtsveränderungen differenzierter als lediglich mit dem BMI untersucht und diskutiert werden.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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