Medizin
Frühgeburt: Keine Neuroprotektion durch EPO
Mittwoch, 18. Mai 2016
Zürich – Eine Behandlung mit hochdosiertem humanem Erythropoetin (rhuEPO) kann die kognitive Entwicklung von extrem Frühgeborenen nicht verbessern. In einer randomisierten klinischen Studie im US-amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2016; 315: 2079-2085) waren im Alter von zwei Jahren keine Unterschiede zur Placebo-Gruppe erkennbar.
Extrem Frühgeborene sind häufig in der Hirnentwicklung benachteiligt. Im Extremfall lassen sich in der Kernspintomographie manchmal sogar Veränderungen der weißen Hirnsubstanz nachweisen, die als Enzephalopathie der Frühgeborenen bezeichnet werden. Bislang gibt es keine Möglichkeit, die Entwicklungsstörung zu verhindern. Eine Behandlung mit rhuEPO wird seit einiger Zeit als Möglichkeit diskutiert. Das blutbildende Hormon wird seit längerem zur Behandlung der Frühgeborenenanämie eingesetzt.
Viele Neonatologen haben den Eindruck, dass die Therapie nicht nur die Blutarmut beseitigt, sondern die neuropsychologische Entwicklung der Säuglinge fördert. Tierexperimentelle Studien bestätigten den Eindruck. Seit einigen Jahren werden randomisierte klinische Studien zu dieser Frage durchgeführt, darunter auch eine an fünf Schweizer Kliniken. An den Unikliniken Basel, Genf und Zürich sowie den Kantonskliniken Aarau und Chur wurden zwischen 2005 und 2012 insgesamt 448 Frühgeborene (mittlere Gestationsalter 29,0 Wochen) auf eine Therapie mit rhuEPO oder Placebo randomisiert.
Die Mediziner wählten eine relativ hohe Dosis von 3000 IU/kg, da das Hormon die Bluthirnschranke nur teilweise überschreitet. Die Kinder erhielten drei Infusionen. Die erste innerhalb von drei Stunden nach der Geburt, die zweite 12 bis 18 Stunden und die dritte 36 bis 42 Stunden nach der Geburt.
Zunächst sah es so aus, als könnten die EPO-Infusionen die Hirnentwicklung fördern. In einer nicht-randomisierten Subgruppe von 165 Kindern zeigten die Säuglinge, die hoch-dosiert mit rhuEPO behandelt wurden, vorteilhafte Entwicklungen (JAMA 2014; 312:817-824). Dieser Eindruck hat sich jedoch in den abschließenden Ergebnissen nicht bestätigt, wie Giancarlo Natalucci vom Universitäts-Spital Zürich und Mitarbeiter jetzt berichten.
Die Forscher untersuchten alle Kinder der Studie im Alter von zwei Jahren mit den Bayley Scales of Infant Development, einem pädiatrischen Entwicklungstest für Kleinkinder. Primärer Endpunkt war der Mental Development Index, der die kognitiven Leistungen misst. Der Normalwert beträgt 100 Punkte. Die Kinder, die nach der Geburt mit rhuEPO behandelt worden waren erreichten 93,5 Punkte. In der Placebo-Gruppe waren es sogar 94,5 Punkte. Der Unterschied von einem Punkt war statistisch nicht signifikant (er hätte ohnehin für einen Vorteil der Placebo-Behandlung gesprochen). Auch im Psychomotor Development Index (PDI) und anderen sekundären Endpunkten gab es keine Hinweis auf einen Nutzen der Behandlung.
Die Studie ist die bisher größte Studie zur erhofften neuroprotektiven Wirkung von EPO, jedoch nicht die einzige. In China wird in der „Effect of Erythropoietin on Preterm Brain Injury“-Studie (NCT02036073) die gleiche Fragestellung wie in der Schweiz untersucht. Die amerikanische PENUT-Studie (Preterm Erythropoietin Neuroprotection Trial) ist laut Natalucci bereits abgeschlossen (NCT02036073). Die Schweizer Forscher untersuchen derzeit in der EpoRepair-Studie, ob die Behandlung einer ausgewählten Gruppe von sehr Frühgeborenen mit intraventrikulären Blutungen vom Grad 2 oder schlimmer nutzen kann (NCT02076373). © rme/aerzteblatt.de

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