Medizin
Neugeborenenikterus: Studie sieht mögliches Krebsrisiko durch Phototherapie
Mittwoch, 25. Mai 2016
San Francisco – Die Phototherapie, eine probate und bisher als weitgehend risikolos angesehene Behandlung des Neugeborenenikterus, geht laut zwei Studien in Pediatrics (Online) mit einer erhöhten Zahl von Krebserkrankungen im ersten Lebensjahr einher. In einer der beiden Studien bleiben die Assoziationen auch nach statistischer Korrektur signifikant, in der anderen nicht.
Bei den meisten Neugeborenen kommt es in den ersten Lebenstagen zu einem Anstieg des unkonjugierten Bilirubins, was zu einer leichten Gelbfärbung der Haut führt. Ursache ist ein vermehrter Abbau des fetalen Hämoglobins, der die Kapazitäten der Leber in den ersten Lebenstagen überfordert. Ein leichter Neugeborenenikterus ist physiologisch und ungefährlich und aufgrund der antioxidativen Eigenschaften von Bilirubin vielleicht sogar gesund.
Bei sehr hohen Konzentrationen kann es zu einer Ausfällung von Bilirubin kommen, was im Nervensystem zu bleibenden Schäden führen kann. Eine mögliche Spätfolge sind Hörstörungen. Der Extremfall Kernikterus kann sogar zum Tode führen. Die deutschen Fachgesellschaften schätzen in einer interdisziplinären Leitlinie, dass in Deutschland mit zwei bis sieben Kernikterusfällen pro Jahr zu rechnen wäre.
Dies wird durch die breite Anwendung der Phototherapie verhindert. Die Leitlinie sieht zwar enge Grenzen für diese Therapie vor. In der Praxis wird die Phototherapie jedoch zunehmend großzügig eingesetzt. Unter den Versicherten von Kaiser Permanente, einer Health Maintenance Organization (HMO) mit Sitz in Oakland, ist der Anteil der Neugeborenen, die eine Phototherapie erhalten, seit 1995 von 2,7 auf 15,9 Prozent gestiegen.
Nicht alle Forscher halten die Phototherapie für völlig unbedenklich. Die Wellenlänge des bei der Phototherapie eingesetzten blauen Lichts befindet sich in der Nähe des UV-Bereichs, für den eine Schädigung der DNA nachgewiesen ist. UV-Licht ist ein wichtiger Risikofaktor von Hautkrebs.
Dieser droht den Neugeborenen durch die Phototherapie in den ersten Lebenstagen ganz sicher nicht. Viele Zellen des kindlichen Körpers sind jedoch besonders anfällig gegenüber mutagenen Reizen. Der Epidemiologe Thomas Newman von der Universität von San Francisco in Kalifornien hat deshalb untersucht, ob Neugeborene, die in den ersten Lebenstagen eine Phototherapie erhalten haben, im ersten Lebensjahr häufiger an Krebs erkranken.
Krebserkrankungen sind im Kindesalter sehr selten. Um eine Häufung nachzuweisen, musste Newman deshalb größere Datenmengen analysieren. Seine erste Analyse führte er an den Versicherten von Kaiser Permanente durch. Dort wurde bei 60 von 39.403 Kindern (25 pro 100.000 Personenjahre) nach einer Phototherapie eine Krebserkrankung diagnostiziert.
Unter den 460.218 Kindern ohne Phototherapie kam es zu 651 Krebserkrankungen (18 pro 100.000 Personenjahre). Newman ermittelt eine relative Inzidenz Rate (IRR) von 1,4. Für Leukämien insgesamt (IRR 2,1), die akute myeloische Leukämie (IRR 4,0) und Leberkrebs (IRR 5,2) waren die Assoziationen zunächst hoch signifikant. Nach der Berücksichtigung von Begleitfaktoren verschwanden die Risiken jedoch. Newman ermittelte eine Hazard Ratio von 1,6 (0,8-3,5) für alle Leukämien, 1,9 (0,6-6,9) für akute myeloische Leukämie und von 1,4 (0,2-12) für Leberkrebs.
War der Datenpool von Kaiser Permanente zu klein, um eine Assoziation belegen zu können? Newman wiederholte die Studie an den Daten des California Office of Statewide Health Planning and Development, das alle Kinder des Staates umfasst. Erneut fand er ein leicht erhöhtes Krebsrisiko: Nach einer Phototherapie erkrankten 58 von 178.017 Kindern (32,6 pro 100.000 Personenjahre) ohne Phototherapie waren es 1.042 von 4.966.832 Kindern (21,0 pro 100.000 Personenjahre). Dies ergab ein relatives Risiko von 1,6 mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall 1,2 bis 2,0. Leider standen Newman für diese Analyse kaum Angaben zu möglichen Begleitfaktoren zur Verfügung. Dies mag erklären, warum in einer adjustierten Propensity-Analyse ein leicht erhöhtes Krebsrisiko übrig blieb. Danach geht die Phototherapie mit einem um 40 Prozent erhöhten Krebsrisiko einher (adjustierte Odds Ratio, AOR 1,4; 1,1-1,9). Für die myeloische Leukämie betrug die AOR sogar 2,6 (1,3-5,0) und für einen Wilms-Tumor der Nieren 2,5 (1,2-5,1).
Sollte die Phototherapie tatsächlich Krebs erzeugen, was die Studie nicht abschließend beweisen kann, dann wäre das Risiko für das einzelne Neugeborene verschwindend gering: Newman ermittelt eine Number needed to harm von 10.638 Kindern, von denen eines nach der Phototherapie zusätzlich an Krebs erkranken würde. Bezogen auf die Bevölkerung müsste mit 9,4 zusätzlichen Krebserkrankung auf 100.000 phototherapierte Kinder gerechnet werden.
Das ist wenig und die Nutzen-Risiko-Bilanz durch vermiedene Komplikationen einer neonatalen Hyperbilirubinämie würde laut Newman vermutlich positiv ausfallen. Dies würde allerdings nur für die Kinder zutreffen, bei denen die Phototherapie medizinisch indiziert ist. Die Ergebnisse sind deshalb unbeachtet einer nicht abschließend bewiesenen Kausalität eine Mahnung an die Pädiater, die Phototherapie nur dann durchzuführen, wenn sie auch angezeigt ist, findet die Editorialistin Lindsay Frazier vom Dana-Farber Cancer Institute in Boston. © rme/aerzteblatt.de

ein hoch interessanter Hinweis
Ich hoffe auch, dass man jetzt nicht aus dem guten gleich wieder was schlechtes macht.
Das Thema hängt ja auch zusammen mit der Empfehlung der "späten Abnabelung", die wieder die neonatalen Hyperbilirubinämie begünstig.
Bei der hier angeführten "Statistik" mit der gut erkennbaren Problematik der (fehlenden) Confounder, würde ich aber eher einem erfahrenen Geburtshelfer vertrauen.

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