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Ärzteschaft

119. Deutscher Ärztetag: Politische Forderungen bilden den Abschluss

Freitag, 27. Mai 2016

/Maybaum

Hamburg – Der 119. Deutsche Ärztetag in Hamburg hat zum Abschluss zahlreiche Beschlüsse gefasst, die sich unter anderem an die Politik wenden. Eine Zusammen­fassung der wichtigsten behandelten Themen.

Die Delegierten kritisierten unter anderem scharf die im E-Health-Gesetz vorge­sehenen Sanktionen. Diese sollen laut Gesetz greifen, wenn die Selbst­verwaltung Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) wie das Versicher­ten­stammdaten­management nicht innerhalb bestimmter Fristen umsetzt.

Der Druck, politisch motivierte Termine einzuhalten, erhöhe die Gefahr, dass unausge­reifte Technik in den Praxen und Krankenhäusern ausgerollt werde, warnten die Dele­gier­ten. Der Ärztetag betonte, seitens der Selbstverwaltung seien die notwendigen Vorarbeiten längst erfolgt. Es sei nicht gerechtfertigt, die Organe der Selbstverwaltung für Termin- und Qualitätsprobleme der Industrie zur Rechenschaft zu ziehen.

Grundsätzlich begrüßt der Ärztetag aber die Ausrichtung des E-Health-Gesetzes. „Dadurch kann es gelingen, die bisher häufig von technischen Aspekten und Verwal­tungs­anwendungen getriebene Einführung der elektronischen Gesundheitskarte und TI in Richtung einer medizinischen Sinnhaftigkeit zu korrigieren“, heißt es in der Ent­schließung. Besorgt zeigten sich die Delegierten aber über die hohen Kosten für die eGK.

Kritik übten sie auch an den gesetzlichen Krankenkassen. Diese hätten vor der Ausgabe der eGK versäumt, die Übereinstimmung von eingesandtem Foto und persönlichen Daten des Versicherten zu prüfen. „Für jede sichere elektronische Kommunikation ist jedoch der Nachweis einer sicheren digitalen Identität durch die ausgebende Stelle unabdingbare Voraussetzung“, stellte das Ärzteparlament klar.

In einer weiteren Entschließung hat sich der Ärztetag dafür ausgesprochen, bei der Weiterentwicklung der Qualitätssicherung bereits vorhandene Strukturen der Selbst­verwaltung effektiv zu nutzen und die Ärztekammern intensiv zu beteiligen. Die Dele­gierten wiesen darauf hin, dass das Krankenhausstrukturgesetz mit der Einführung bisher kaum erprobter Instrumente wie der sogenannten Qualitätsindikatoren erhebliche Ressourcen binde. Um die Aufgaben nur ansatzweise bewältigen zu können, seien insbesondere die Landesgeschäftsstellen für Qualitätssicherung und deren Lenkungs­gremien zu nutzen, weiterzuentwickeln und angemessen zu finanzieren.

Die Delegierten betonten außerdem, dass der Fokus nicht auf Qualitätsmessung, sondern auf der Qualitätsverbesserung liegen müsse. Notwendig seien dafür unter anderem Personalmindeststandards in den Kliniken.

Zudem unterstützt der 119. Deutsche Ärztetag die Entwicklung von „Klug-Entschei­den“-Empfeh­lungen (KEE) zur indikationsgerechten Versorgung von Patienten. Diese Empfehlungen könnten dazu beitragen, die Versorgungsqualität kontinuierlich zu verbessern, so die Delegierten.

Der Ärztetag verlangte, dass Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses von 1934 körperlich und seelisch geschädigt oder ermordet wurden, juristisch als Opfer des NS-Regimes anerkannt werden. Die deutsche Ärzteschaft will dazu beitragen, dass diese Menschen für ihr erlittenes Leid die ihnen zustehende Anerkennung erfahren, betonten die Delegierten.

Das Ärzteparlament forderte die Bundesregierung außerdem auf, das Rauchen in Autos zu verbieten, wenn Kinder und Jugendliche mitfahren. Die Delegierten wiesen darauf hin, dass zahlreiche wissenschaftliche Studien einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Passivrauchbelastung und schwerwiegenden gesundheitlichen Risiken von Kindern und Jugendlichen nachweisen konnten. Aufgrund der hohen Konzentration zahlreicher teils krebserzeugender Toxine sei Rauchen im Fahrzeug als Gefährdung des Kindes­wohls und schwerwiegendes Risiko für die Gesundheit von Kindern anzusehen, betonten die Delegierten.

Der Ärztetag hat die Krankenkassen als Arbeitgeber und die politisch Verantwortlichen dazu aufgefordert, die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes sicherzustellen. Die gesamte Bereitschaftsdienstzeit müsse weiterhin als Arbeitszeit gewertet werden, so das Ärzteparlament. Eine Lockerung des Arbeitsschutzes für Ärzte und das Pflegepersonal gefährde nicht nur die Gesundheit der Beschäftigten, sondern auch die Patienten­sicherheit. „Personalmangel darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden“, stellten die Ärztetags-Delegierten klar.

Der Ärztetag ist für die Unabhängigkeit der Ethik-Kommissionen eingetreten. Die Delegierten fordern eine zustimmende Stellungnahme der zuständigen Ethikkommission als zwingende Voraussetzung für die Genehmigung einer klinischen Prüfung. Der Ärztetag forderte zudem, dass die Registrierung der Ethik-Kommissionen transparent und interessenkonfliktfrei durch eine unabhängige, vorzugsweise im jeweiligen Bundesland zu bestimmende Stelle erfolgt. Die Bundesärztekammer hatte im Rahmen der parlamentarischen Beratungen für ein Viertes Gesetz zur Änderung arzneimittel­rechtlicher und anderer Vorschriften ausführlich schriftlich Stellung zu dem Entwurf genommen.

Die Delegierten konnten ihre Anträge elektronisch einreichen. /Maybaum

Der 119. Deutsche Ärztetag hat gefordert, die im Vertrag von Lissabon garantierte Souveränität der Mitgliedstaaten bei der Gestaltung ihrer Gesundheits- und Sozialsysteme zu respektieren und die Gesundheitssysteme nicht durch EU-Normen zu regulieren. Besonders abzulehnen seien die Versuche des Europäischen Komitees für Normung, auch ärztliche Tätigkeiten beziehungsweise Gesundheitsdienstleistungen zu normen. Mit Blick auf europäische Entscheidungen haben die Delegierten die Bundes­regierung und die Europäische Kommission außerdem aufgefordert, keiner weiteren Verlängerung der Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat zuzustimmen.

Die Ärztetags-Delegierten fordern verbindliche Personalschlüssel für Intensiv- und Intermediate-Care-Stationen. Eine Pflegekraft auf einer Intensivstation für Erwachsene solle maximal zwei Patienten betreuen dürfen. Für acht bis zwölf Betten einer Intensiv­station seien bei einer 40-Stunden-Woche mindestens sieben Arztstellen erforderlich, neben der Stelle des Leiters und dessen Ausfallkompensation. Jede Klinik, die im Krankenhausbedarfsplan aufgeführt ist, habe mit einem Ausfallkonzept sicher­zustellen, dass diese Personalschlüssel auch bei kurzfristigem Krankheitsausfall eingehalten werden, so die Delegierten.

Nach Ansicht der Ärzteschaft ist die Einwilligung nach Aufklärung eine der wesentlichen Bedingungen der ethischen Zulässigkeit jeder medizinischen Behandlung und Forschung. Nicht jeder sei gleichermaßen in der Lage, dieses Recht für sich wahrzu­nehmen, beispielsweise Kinder und Jugendliche, psychisch Kranke oder Menschen mit geistigen Behinderungen. Der 119. Deutsche Ärztetag forderte die politischen Entscheidungsträger auf, diesen Anspruch der Patienten strukturell und finanziell zu unterstützen. Richtungsweisend sollte die im Deutschen Ärzteblatt vom 15. April 2016 bekannt gemachte Stellungnahme „Entscheidungsfähigkeit und Entscheidungsassistenz in der Medizin“ der zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer sein.

Die Delegierten befassten sich auch mit der medizinischen Indikation von medizin-fremden Erwägungen und Einflüssen. Sie sprachen sich dafür aus, diese davon freizuhalten und ihre Bedeutung als Kernelement der ärztlichen Tätigkeit und Identität sowie als normatives Korrektiv zu stärken. Die medizinische Indikation als wesentliches Instrument für eine evidenzbasierte, sichere und effiziente Patientenversorgung sei unabdingbare Voraussetzung für ärztliches Handeln und Kernelement der ärztlichen Tätigkeit. Neben der Einwilligung des Patienten stelle sie eine zentrale Voraussetzung ärztlicher Maßnahmen dar.

In einer weiteren Entschließung wurde die Bundesregierung aufgefordert, Sorge zu tragen, dass operative Eingriffe bei Neugeborenen, Säuglingen und Kindern grundsätzlich nur unter effektiver Sedierung und Schmerzausschaltung durch einen Arzt durchgeführt werden dürfen.

Zudem sprach sich das Ärzteparlament für bessere Bedingungen für Hausärzte bei der allgemeinen ambulanten palliativen Versorgung aus. Im Mittelpunkt aller Bemühungen zur Verbesserung der Palliativversorgung müsse der Patient stehen, der selbstbestimmt entscheide, wo er die letzte Lebensphase verbringen möchte. „In der Regel werden Patienten den Wunsch haben, in der häuslichen beziehungsweise vertrauten Umgebung zu sterben“, stellten die Delegierten fest. Aus diesem Grund sei es notwendig, die Versorgungsmöglichkeiten im ambulanten Bereich insbesondere durch Hausärzte auszubauen.

Verbesserungsbedarf konstatierte die Ärzteschaft auch bei der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV). Hier müssten die Hausärzte neben den Palliativmedizinern und spezialisierten Pflegediensten obligatorisch als Netzwerkpartner eingebunden werden. Um den Patienten möglichst wenig Versorgerwechsel zuzumuten, müsse der Hausarzt auch in der stationären oder teilstationären palliativen Versorgung weiterhin Ansprechpartner bleiben können.

Außerdem forderten die Abgeordneten bessere strukturelle Rahmenbedingungen für die Versorgung von Menschen mit Varianten/Störungen der Geschlechtsentwicklung (DSD). Besonderer Bedarf bestehe bei der Etablierung und Finanzierung von Kompetenzzentren für DSD. Solche Zentren könnten eine somatische und psychische Beratung, Diagnostik und Behandlung in einem speziell dafür qualifizierten, interdisziplinären Team sicherstellen. Der Ärztetag begrüßte ausdrücklich die Initiative der Bundesregierung, in einer interministeriellen Arbeitsgruppe regulatorische und strukturelle Maßnahmen für eine bessere Versorgung von Menschen mit DSD auf den Weg zu bringen.

Schließlich hat das Ärzteparlament Erfurt als Austragungsort für den 121. Deutschen Ärztetag vom 8. bis 11. Mai 2018 bestimmt. © EB/aerzteblatt.de

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