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Medizinischer Fakultätentag: Debatte um den Masterplan Medizinstudium 2020 spitzt sich zu

Montag, 30. Mai 2016

dpa

Würzburg – Mit Spannung sehen die Medizinischen Fakultäten dem angekündigten Masterplan Medizinstudium 2020 entgegen, über den in den nächsten Wochen eine politische Einigung erzielt werden soll. Die Diskussionen um ihn spitzen sich derzeit zu.

„Die grundsätzlich guten Gespräche mit Vertretern aus Politik und Ministerien sowie anderen Verbänden zum Masterplan, der auch eine Verankerung der Wissenschaft­lichkeit im Medizinstudium vorsehen soll, werden leider von Diskussionen zur Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium und zur Landarztquote überlagert“, bedauerte Matthias Frosch, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg, am zweiten Tag des 77. oMFT in Würzburg.

Der MFT begrüße die Anstrengungen der Politik, die Ausbildung der künftigen Ärzte weiterzuentwickeln. Es sei notwendig, die Curricula dahingehend zu überarbeiten, dass sie künftige Ärztegenerationen auf die geänderten Versorgungsstruk­turen vorbereiten. Es sei dabei jedoch geboten, neben der Diskussion über die Allge­meinmedizin auch auf die Auswahl der Studienplatzbewerber, die inhaltliche und praxis­nahe Ausrichtung des Medizinstudiums und die Wissenschaftlichkeit in der Ausbildung einzugehen, also auf die Punkte, die die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag für die Ausarbeitung des Masterplans Medizinstudium 2020 vereinbart hatte.

„Vieles davon könnte auch mit der aktuellen ärztlichen Approbationsordnung (ÄAppO) umgesetzt werden“, ist Frosch überzeugt. Eine nochmalige Änderung der ÄAppO sei aus seiner Sicht nicht nötig. Als ein Beispiel führte er den verstärkten Praxisbezug und die Tätigkeit der Medizinstudierenden im ambulanten Bereich an. Beides könne unter der Schirmherrschaft der Universitäten gewährleistet werden. „Aber die Fakultäten, die die Verantwortung für die Ausbildung haben, müssen auch die Kontrolle haben, wer welche Inhalte vermittelt“, betonte der Dekan.

Entwurf des Masterplans ist noch vertraulich
Antje Beppel vom Bundesgesundheitsministerium versuchte in Würzburg, die Wogen zu glätten und warb um Verständnis für die wenigen Informationen, die derzeit zum Stand der Beratungen zum Masterplan nach außen dringen. „Wir haben Vertraulichkeit verein­bart, bis alle Details geklärt sind“, sagte sie und verriet lediglich, dass ein Entwurf mit vielen konkreten Vorschlägen bereits vorliege. Dessen roter Faden weiche zudem von der ursprünglichen Gliederung ab. Abschließend diskutiert werden soll der Entwurf im Juni in der Kultusminister- und in der Gesundheitsministerkonferenz. „Dieser Prozess ist noch offen. Aber sicher ist: Es wird ein Paket geben.“

Gleichzeitig betonte Beppel die Notwendigkeit der Umsetzung des Masterplans: „Die medizinische Ausbildung ist derzeit gut, aber sie ist auf die Hochleistungsmedizin ausge­richtet“, bemängelte sie. Es müsse auch der Bereich der Grund- und Regelversorgung im Medizinstudium abgebildet sein. Mit dem Masterplan wolle man einerseits die Heraus­forderungen für die nächste Ärztegeneration definieren und die richtigen Weichen stellen sowie andererseits weitere Maßnahmen zur Sicherstellung der flächendeckenden ärztlichen Versorgung ergreifen.

Beppel verwies auf bereits erfolgte politische Maß­nahmen, wie beispielsweise Vergütungsanreize, Förderung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin oder die Aufhebung der Residenzpflicht. „Möglicherweise sind diese jetzt ausgeschöpft. Jetzt müssen wir weitere Ansätze finden“, sagte sie.

Davon überzeugt, dass eine Reform des Medizinstudiums notwendig ist, ist auch Ferdinand Gerlach, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Die rasante „Ambulantisierung“, die derzeit stattfinde, werde bei der Medizinerausbildung derzeit kaum berücksichtigt, sagte Gerlach. Die Hochschulambu­lanzen spiegelten die allgemeine Versorgungssituation und die geläufigen Krankheits­bilder nicht ausreichend wider. „Die spätere Anwendung des hier Gelernten würde Über­therapie begünstigen“, meint er. Studierende in Belgien hätten deshalb für eine feste Verankerung des Faches Allgemeinmedizin im Studium gestreikt. „Unsere Diskussion würde dort gar nicht stattfinden“, ist Gerlach überzeugt.

„Wir brauchen in Deutschland mehr Breite und Tiefe in der Ausbildung, sowie einen Blick auf das breite, gewöhnliche Krankheitsspektrum, auf Impfungen, Früherkennungs­untersuchungen, Haus-, Alten­heim-, Pflegeheimbesuche, Multimorbidität, Multime­dikation, Gesprächsführung und auf eine ressourceneffektive Medizin. „Ausbildung in vertragsärztlichen Praxen fördert auch die Kooperation zwischen den Ärzten. Dass Hochschulambulanzen vielerorts überlaufen, ist ein Fehlzustand, der abgelöst werden muss“, betonte der Allgemeinmediziner von der Universität Frankfurt.

DEGAM nimmt Abstand von der Forderung eines Pflichtquartals Allgemeinmedizin
Die DEGAM, die immer einen Pflichtabschnitt Allgemeinmedizin im praktischen Jahr gefordert hat, sei zu einem Kompromiss bereit, erklärte Gerlach als DEGAM-Präsident beim oMFT in Würzburg. „Wir wünschen uns immer noch eine obligatorische Prüfung für alle Studierenden und eine longitudinale Verankerung der Allgemeinmedizin im Studium, aber wir sind bereit, sachgerechte Kompromissformulierungen im Masterplan zu unter­stützen. „Als sinnvollen Kompromiss zwischen den konträren Positionen könnten wir uns ein ambulantes Quartal in vertragsärztlichen Praxen in Verbindung mit einer mündlich-praktischen Prüfung im Fach Allgemeinmedizin im abschließenden Staatsexamen (M3) für alle Studierenden vorstellen“, erklärte Gerlach.

Es sei der DEGAM dabei wichtig, dass ein ambulantes Quartal nicht ausschließlich in spezialisierten Hochschulambulanzen stattfinde. Sollte dieser Kompromissvorschlag umgesetzt werden, wäre die DEGAM zudem mit der Streichung der für alle Studierenden derzeit obligatorischen, vierwöchigen Famulatur in hausärztlichen Praxen einverstanden.

Eine Landarztquote indes lehnt auch die DEGAM ab: „Sie wäre eine Stigmatisierung des Fachs Allgemeinmedizin. Wir sollten uns deshalb jetzt inhaltlich-fachlich einigen, damit Politik uns keine Maßnahmen aufdrängt“, betonte Gerlach. Einer Realisierung der Pläne bis 2020 steht bei schrittweiser Vorbereitung Gerlach zufolge nichts im Wege: 5.000 nach den Qualitätskriterien der DEGAM zertifizierte Lehrpraxen stünden für die Umsetzung bereits zur Verfügung. „Die Umstellung ist realistisch“, sagte Gerlach in Würzburg. „Wir müssten etwa 2.500 neue Lehrärzte für die Allgemeinmedizin rekrutieren. Es stehen aber ausreichend Ärzte zur Verfügung, so dass wir uns immer noch auf die motiviertesten und geeignetsten Ärzte konzentrieren können.“

Myriam Heilani, stellvertretende Bundeskoordinatorin der Arbeitsgemeinschaft Medizi­nische Ausbildung der Bundesvertretung der Medizinstudierenden Deutschlands (bvmd), forderte eine weitere Förderung der in den Modellstudiengängen bereits erprobten Verschränkung von praktischen und theoretischen Studienanteilen. Das Medizinstudium solle nach Ansicht der Studierenden alle Bereiche der ärztlichen Tätigkeit umfassen, also auch die ambulante und primärärztliche Versorgung, erklärte sie.

Medizinstudierende wollen mehr Freiheit im Studium
Besonders eindringlich forderte Heilani vor den Dekanen beim 77. oMFT in Würzburg aber auch mehr Freiheit im Medizinstudium: „Wir freuen uns, dass die DEGAM von ihrer Forderung nach einem Pflichtquartal Abstand genommen hat“, sagte sie und verwies auf die jüngsten Proteste der Studierenden in vielen Universitätsstädten. Die Freiheit des Studiums werde bei der Erwähnung der akademischen Freiheit allzu leicht vergessen.

„Die Medizin ist das verschulteste Studium, das Sie finden“, rief die Medizinstudentin im sechsten Semester aus Frankfurt/Main den Dekanen zu. „Viele von uns empfinden das Studium als Korsett: Es gibt immer mehr Präsenzpflicht und obligatorische Praktika. Dies schnürt uns die Luft zum Atmen ab.“ Diese Enge könne kein eigenständiges Denken hervorrufen.

Heilani: „Wir wollen mehr Perspektiven. Behalten Sie bei Ihren Plänen die Akzeptanz der Studierenden im Blick und beziehen Sie uns ein!“ Präferiert werde von den Studierenden eine Fokussierung auf ein Kerncurriculum. Das schaffe die nötigen Freiräume und ermögliche interprofessionelles Lernen. „Wir befürchten, dass der Masterplan nur viel heiße versorgungspolitische Luft ist und unser Studium zum Spielball von politischen Meinungen wird. Wir aber brauchen echte Reformen!“ © ER/aerzteblatt.de

Kommentare

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Avatar #109757
Loewenherz
am Dienstag, 31. Mai 2016, 18:11

Falsche Zielsetzung

Der NC als alleiniges Selektionskriterium ist gar nicht mal so blöd: Wer, neben den wenigen wirklich begabten, bereit ist seine "besten Jahre" statt mit Sozialkontakten und Feiern mit dem Lernen im Notenanspruch zu verbringen, ist später auch prinzipiell bereit im Studium so weiter zu machen, und vor allem sich dann auch im Krankenhaus unterdrücken und für eine Hand voll Ausbildung von seinem Arbeitgeber ausbeuten zu lassen. Das Leben der medizinischen Arbeitsdrohne, vollkommen krank, aber leider genau das, was unser System braucht.
Avatar #710870
TomKat
am Dienstag, 31. Mai 2016, 06:46

Falsche Zielsetzung

Das Studium und die Selektion der Studierenden ist völlig auf die Hochleistungungsmedizin ausgerichtet. Man braucht aber nicht nur Rennpferde, sondern auch die Ackergäule,die die alltägliche Arbeit machen.Wenn das so weiter geht, wird es in der Fläche keine Ärzte mehr geben.
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