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Cybermobbing-­Prävention: Deutschland nur im unteren Mittelfeld

Mittwoch, 1. Juni 2016

/dpa

Berlin – Cybermobbing und Cybergewalt sind in den letzten Jahren von einem Phänomen der Jugendkultur zu einem gesellschaftlichen Problem aller Altersgruppen geworden. Dennoch bleiben präventive Projekte an Schulen eher die Ausnahme, weshalb Deutschland im internationalen Vergleich im unteren Mittelfeld rangiert. Zu diesem Ergebnis kommt der internationale ARAG Digital Risks Survey, der gestern in Berlin vorgestellt und mit Vertretern aus Politik und gemeinnützigen Vereinen diskutiert wurde.

Beleidigt, bloßgestellt, bedroht oder verleumdet, das Ganze mit dem Smartphone dokumentiert und online gestellt. Diese Erfahrung machen immer mehr Menschen – sowohl Kinder als auch Erwachsene. Jeder vierte Jugendliche im Alter von 14 Jahren war bereits Opfer von Cybermobbing. Zwar geben nur 8 % der Erwachsenen an, selbst Opfer von Cybermobbing-Attacken geworden zu sein. Etwa jeder fünfte Erwachsene hat aber bereits bei anderen solche digitalen Übergriffe beobachtet, so die Ergebnisse zweier großer Studien aus 2013 und 2014.

Gesundheitliche Folgen bleiben nicht aus: „Etwa 20 % der Opfer leiden unter dauer­haften psychosomatischen Störungen und haben Suizidgedanken“, sagt Catarina Katzer, Leiterin des Instituts für Cyberpsychologie und Medienethik in Köln und beruft sich dabei auf eine Studie von YouGov und Vodafone. Sie leiden an Kopfschmerzen, Bauch- oder Rückenschmerzen oder Schlafstörungen. Cybermobbing ist daher auch ein Thema, mit dem sich das Gesundheitssystem befassen sollte.

„Smart weapons“ – Cybermobbing wird mobiler
Zu den Ursachen und wie man den Trend stoppen kann, wurden in einer länderübergreifenden Studie 64 führende Wissenschaftler befragt. Sie kamen aus den USA, Großbritannien und Norwegen – den Pionierländern auf dem Gebiet des Cybermobbings. Des Weiteren waren Experten aus Polen und den Niederlanden vertreten, sowie aus dem Süden Europas, Italien und Spanien.

Den meisten Cyber-Tätern mangelt es an digitaler Empathie, sie unterschätzen oder missachten die Auswirkung ihrer Handlungen im Netz. Dieser Meinung sind 88 % der befragten Wissenschaftler. Dabei werden die Opfer immer jünger. „Alles fängt an mit dem Besitz eines Smartphones und das erhalten Kinder heutzutage bereits im Kindergarten“, so Katzer. Cybermobbing wird daher immer mobiler. Das Smartphone entwickelt sich zu einem „Smart weapon“, wie 93 % der befragten Wissenschaftler bestätigen.

Präventionsstatus an den Schulen mittelmäßig
An erster Stelle bemängelt die Studie die lückenhafte Prävention an Schulen. Diese sei in allen Ländern überwiegend mittelmäßig, erklären 45 % der Experten. In manchen Ländern bewerten die Experten den Präventionsstatus sogar als gering bis kaum vorhanden (36%). In Sachen Prävention schneidet Großbritannien am besten ab, schließlich existiert hier seit 2002 ein „education Act“, der alle Schulen verpflichtet gegen Bullying – der englische Begriff für Mobbing – vorzugehen.

Auch Norwegen hat bereits vor zehn Jahren eine Verpflichtung für Schulen eingeführt und die Niederlande haben 2015 per Gesetz alle Schulen verpflichtet, eine dauerhafte Cyber-Mobbing-Prävention durchzuführen. "Den Erfolg dieser Maßnahmen können wir anhand der geringeren Cybermobbing-Prävalenz von drei bis vier Prozent in Norwegen deutlich sehen,“ so Katzer.

"Deutschland hingegen befinde sich in Sachen Prävention nur im unteren Mittelfeld," bemängelt die Studienleiterin. Eine frühere Umfrage unter 10.000 Eltern, Lehrkräften und Schülern aus dem Jahr 2013 hatte ergeben, dass nur 16 % der Schulen ausführlich über Cybermobbing informieren und 10 % peer-to-peer Projekte anbieten. „Wir benö­tigen auch hierzulande ein flächendeckendes Präventionsmanagement, um Cybermobbing-Fälle zu reduzieren“, so Katzer. Derzeit habe Deutschland ausschließlich einzelne Leuchtturmprojekte an Schulen. Ohne verpflichtende Regeln und Kontrolle durch die Politik und Gesetze sieht Katzer allerdings keine Chance für einen flächendeckenden Erfolg. Fast 80 % der befragten Experten stimmen zu.

Facebook und Co in die Pflicht nehmen
Unterstützung fordern die Diskutanten vor allem auch von der Industrie und Social Media Providern. „Die Politik sollte Firmen, die sich mit ihren Produkten gezielt an Kinder und Jugendliche richten, verpflichten Kinderschutzstandards zu erfüllen“, so Julia von Weiler, Geschäftsführerin von Innocence in danger. Im Zusammenhang mit dem Persönlichkeitsrecht fordert auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustiz­ministerin a. D., dass Firmen mit marktbeherrschender Stellung, wie google oder facebook, ihren Verpflichtungen nachkommen und das Thema Cybermobbing stärker in Angriff nehmen. Dieser Ansicht stimmen auch fast alle befragten Experten der Studie zu.

Um Opfer von Cybermobbing zu schützen, sprechen sich die Forscher der Studie zudem für einen obliga­torischen SOS-Button „Mobbing Alarm“ aus. Diesen sollen alle Social Media Provider bereitstellen und mitfinanzieren, damit Betroffene mit nur einem Klick persönliche Hilfe in Anspruch nehmen und Mobbingfälle melden können.

© gie/aerzteblatt.de

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