Politik
Ambulantisierung kommt – aber nur im Krankenhaus
Donnerstag, 9. Juni 2016
Berlin – In Deutschland wird es künftig eine verstärkte Ambulantisierung von Krankenhausleistungen geben. Davon zeigte sich Ulrich Orlowski, Abteilungsleiter „Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung“ im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), überzeugt. Das bedeute aber nicht unbedingt, dass Behandlungen in die vertragsärztliche Versorgung verlagert würden. Vielmehr fände eine Verschiebung von Leistungen innerhalb des stationären Sektors statt, prognostizierte er gestern in einer Diskussionsrunde auf dem Hauptstadtkongress 2016.
Krankenhäuser würden intern ab 2017 auf den mit dem Krankenhausstrukturgesetz eingeführten Fixkostendegressionsabschlag bei Mehrleistungen reagieren. Aus Sicht von Orlowski ist viel Spielraum für die Ambulantisierung vorhanden. Er wies darauf hin, dass zum Beispiel in Dänemark 95 Prozent der Leistenbrüche und Knieendoskopien ambulant stattfinden würden. In Deutschland seien es gerade einmal 14 beziehungsweise 24 Prozent. „Das ambulante Potenzial des stationären Sektors ist ein ganz erhebliches“, betonte der BMG-Abteilungsleiter.
Funktionale Brücke schlagen
Hans-Joachim Helming, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB), machte deutlich, dass beim Thema Ambulantisierung Krankenhäusern und Niedergelassenen zugleich Ängste genommen werden müssten. Es gelte, Konkurrenzsituationen zu entschärfen und ein durchlässiges System zu entwickeln, sagte er. In Brandenburg versuche man bereits, eine „funktionale Brücke zwischen ambulant und stationär“ zu schlagen.
Der KV-Chef verwies auf das „KV RegioMed Zentrum“ am Sana Klinikum in Templin. Mit dem Projekt habe sich die KV um Mittel aus dem Innovationsfonds beworben. Das geriatrische Zentrum zeige, wie Kliniken und Vertragsärzte Hand in Hand die Versorgung organisieren könnten. Zur Eröffnung des Zentrums im Jahr 2014 hatte Helming betont, dass ältere Menschen eine ganzheitliche therapeutische Versorgung in Kombination mit einem patientenorientierten Fallmanagement benötigten. Dafür sei eine professionelle Koordination aller Partner unter ärztlicher Leitung erforderlich.
Unterschiedliche Versorgungsnotwendigkeiten
Für die im KV RegioMed Zentrum behandelten Patienten wird laut KV ein individueller Therapieplan zur geriatrischen ambulanten Rehabilitation erarbeitet. Ihnen steht zudem eine speziell für die Gruppe geriatrischer Patienten weitergebildete Agnes-zwei-Fachkraft und ein Fahrdienst zum Zentrum zur Verfügung. „In der Uckermark ist mit einer Zunahme der über 65-jährigen in den nächsten 15 Jahren um 43 Prozent zu rechnen. Das bedeutet eine große Herausforderung für die ambulante wie stationäre Medizin und bedarf neuer Strukturen“, erläuterte damals Horst-Michael Arndt, Direktor des Sana Klinikums Templin.
Orlowski glaubt indes nicht, dass sich ein solches Konzept flächendeckend in Deutschland etablieren würde. Er könne sich zwar eine sektorübergreifende Ambulantisierung in strukturschwachen Regionen vorstellen. In Ballungsgebieten werde das aber nicht funktionieren. „Man muss sich klarmachen, dass die Bedingungen für die Versorgung hochunterschiedlich sind“, betonte er. Seiner Meinung nach wird die Ambulantisierung vor allem auf eine sektorale Entwicklung beschränkt bleiben, die „an den Vertragsärzten vorbeiläuft“.
Verlagerung ganz zu Vertragsärzten „illusorisch“
Der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem bezweifelte zudem, dass sich die Krankenhäuser fünf Millionen Fälle wegnehmen ließen, dies halte er für „illusorisch“. Bei der Zahl berief sich der Wissenschaftler auf eine Studie, die versucht hat, die Zahl der ambulant-sensitiven Eingriffe herauszufinden.
Wasem machte grundsätzlich klar, dass das Thema „hochrelevant, hochspannend, aber auch hochschwierig“ sei. Er forderte mehr Forschung darüber, welche Leistungen überhaupt ambulant-sensitiv seien. Darüber hinaus müsse man die Ursachen von zu vielen stationären Aufenthalten bekämpfen. Probleme gebe es zum Beispiel bei der Sicherstellung ambulanter Notdienste, den zunehmend von Patienten als Alternativzugang zum Gesundheitssystem genutzten Krankenhausambulanzen, die zugleich eine „Staubsaugerfunktion“ für die stationäre Versorgung hätten.
Darüber hinaus sieht Wasem Defizite bei Anschlussbehandlungen und innerhalb der Haus-Facharzt-Versorgungskette. Als „sekundären Treiber“ bezeichnete Wasem zudem die sektorale Trennung der Finanzierung. Fraglich sei jedoch, wie ein Finanzierungssystem aussehen könne und wer in einem System zwischen den Sektoren die Gesamtverantwortung trage. © may/aerzteblatt.de

Bericht nicht korrekt
Prof. Dr. Jürgen Wasem
Sehr geehrter Herr Prof. Wasem,
wir haben dies korrigiert, da ist uns leider ein Fehler unterlaufen.
beste Grüße Redaktion DÄ

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