Medizin
Akute myeloische Leukämie hat mindestens elf genetische Subtypen
Donnerstag, 9. Juni 2016
Hinxton/England – Eine genaue zytogenetische Analyse inklusive der Sequenzierung von 111 bekannten Krebsgenen veranlasst Genom-Forscher im New England Journal of Medicine (2016; 374: 2209-2221), eine neue Klassifikation der akuten myeloischen Leukämie (AML), der häufigsten Form akuter Leukämien bei Erwachsenen, vorzuschlagen.
Krebserkrankungen werden immer seltener nach dem Aussehen ihrer Zellen unter dem Mikroskop als nach den Genen beurteilt, die ihr Wachstum vorantreiben. Dies trifft auch auf die AML zu, an der vor allem ältere Menschen erkranken (Durchschnittsalter 70 Jahre). Die frühere FAB-Klassifikation, die auf morphologische Kennzeichen, die Aktivität weniger Enzyme und aus heutiger Sicht eher oberflächliche zytogenetische Merkmale setzt, wurde 2008 durch die WHO-Klassifikation erstmals durch Analysen einzelner Gene ergänzt.
Elli Papaemmanuil vom Wellcome Trust Sanger Institute in Hinxton bei Cambridge und Mitarbeiter schlagen jetzt eine Klassifikation vor, die vermutlich ohne ein Anfärben der Zellen und ihre Untersuchung unter dem Mikroskop auskäme. Die Forscher haben Leukämie-Zellen von 1.540 Teilnehmern der Deutsch-Österreichischen
Studiengruppe Akute Myeloische Leukämie genetisch untersucht und die Ergebnisse – retrospektiv – mit den Überlebenszeiten der Patienten in Verbindung gesetzt. In 76 Genen oder Regionen wurden 5.234 sogenannte Treibermutationen gefunden. Es handelt sich um Veränderungen in Genen, die das Wachstum oder andere Eigenschaften von Tumorzellen beeinflussen und deshalb als ursächliche Faktoren infrage kommen. Bei 96 Prozent der Patienten fanden die Forscher wenigstens eine Treibermutation, bei 86 Prozent lagen sogar zwei oder mehr Mutationen vor.
Die Forscher schlagen eine Einteilung der AML in elf Subtypen vor, denen in der Studie 81 Prozent aller Leukämien zugeordnet werden konnten. Die häufigste Variante mit einem Anteil von 27 Prozent ist gekennzeichnet durch Mutationen im Gen NPM1. Diese Mutation wird bereits von der geltenden WHO-Klassifikation berücksichtigt. Der neue Subtyp zeichnet sich jedoch durch eine Reihe weiterer Mutationen aus (etwa in den Genen DNMT3A, IDH1, IDH2 und TET2), die die WHO-Klassifikation bisher nicht berücksichtigt.
In der zweit häufigsten Gruppe mit einem Anteil von 18 Prozent kommt es häufig zu Mutationen in Genen, die das Spleißen der RNA regeln (dabei werden verschiedene Genstücke zu einer Messenger-RNA zusammengefügt) oder das Chromatin (im weiteren Sinne die Verpackung der DNA) betreffen. Es folgt an dritter Stelle mit einem Anteil von 13 Prozent ein Subtyp, der durch chromosomale Aneuploidien (also eine chaotische Chromosomenzahl) und Mutationen im Krebsgen TP53 gekennzeichnet ist. Die anderen acht Typen haben jeweils einen Anteil von weniger als 10 Prozent.
Der klinische Wert der neuen Klassifikation ergibt sich zum einen aus einer besseren Prognose der Patienten. Der Chromatin–Spliceosom-Subtyp beispielsweise wurde vor allem bei älteren Patienten mit einem Abfall der Leukozyten und Blasten gefunden, bei denen eine Chemotherapie häufig wirkungslos bleibt oder es frühzeitig zu einem Rezidiv kommt. Zum anderen sollte die genetische Analyse der Tumore anzeigen, bei welchen Patienten eine gezielte Therapie erfolgversprechend ist. Dies könnte beispielsweise bei Tumoren im FLT3- oder RAS-Gen der Fall sein.
Für sie könnte eine Behandlung mit FLT3-Inhibitoren oder Ras-Inhibitoren infrage kommen, die sich derzeit in der klinischen Entwicklung befinden. Der Erfolg dieser oder anderer Wirkstoffe könnte dann wiederum die Klassifikation der AML beeinflussen. Denkbar ist auch, dass sich neben einer Klassifikation nach den Ursachen eine weitere Klassifikation herausbildet, in deren Fokus die Prognose und die Behandlungsergebnisse stehen. © rme/aerzteblatt.de

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