NewsMedizinKomplizierte Trauer: Antidepressivum kann Wirkung von Psychotherapie nicht (wirklich) steigern
Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...

Medizin

Komplizierte Trauer: Antidepressivum kann Wirkung von Psychotherapie nicht (wirklich) steigern

Freitag, 10. Juni 2016

New York – Eine spezielle Psychotherapie hat in einer randomisierten Studie Patienten mit komplizierter Trauer geholfen, den Tod eines Angehörigen zu überwinden und die Suizidalität zu senken. Die zusätzliche Gabe des Antidepressivums Citalopram hat jedoch nur Wirkung gezeigt, wenn die Patienten unter zusätzlichen Symptomen litten. Die Studie in JAMA Psychiatry (2016; doi: 10.1001/jamapsychiatry.2016.0892) bestätigt, dass komplizierte Trauer eine Störung ist, für die es eine Behandlung gibt. Ein Antidepressivum kann die „Trauerarbeit“ jedoch nicht beschleunigen.

Die komplizierte Trauer (CGD, complicated grief disorder) ist ein neues Krankheitsbild, das noch nicht allgemein anerkannt ist. Die neueste Version DSM-5, dem Diagnose-Manual der American Psychiatric Association (APA), hat es allerdings als „Persistent complex bereavement disorder“ in die Kategorie „Conditions for Further Study“ aufgenommen. Und die Chancen, dass es in den Katalog der anerkannten psychia­trischen Erkrankungen aufgenommen wird, stehen nicht schlecht.

Zwar haben sich die Psychiater noch nicht abschließend auf eine Definition geeinigt. Es besteht jedoch Einigkeit, dass Menschen, die mit einem gewissen zeitlichen Abstand den Tod eines Angehörigen nicht überwunden haben und durch ihre körperlichen oder seelischen Beschwerden davon abgehalten werden, ihre früheren alltäglichen Aufgaben und Aktivitäten wieder aufzunehmen, unter einer komplizierten Trauer leiden.

Hinzu kommt, dass mehrere randomisierte klinische Studien gezeigt haben, das eine psychiatrische Betreuung den Patienten bei der Trauerarbeit helfen kann. Auch die Behandlung (complicated grief treatment, CGT), die das Center for Complicated Grief an der Columbia Universität in New York anbietet, hat in der aktuellen Studie Wirkung gezeigt. In 16 Sitzungen wird zunächst der Verlust analysiert und die Patienten über die Natur der komplizierten Trauer und die Ziele der Therapie aufgeklärt. Es werden Ziele festgelegt, um die Trauer, die die Patienten täglich aufzeichnen und bewerten, langsam abzubauen. Dazu gehört die Beschäftigung mit dem Verstorbenen, mit dem die Trauernden unter anderem imaginäre Dialoge führen.

In der aktuellen Studie wurden an vier Zentren 395 Patienten behandelt. Das Ziel war zum einen die Bestätigung der Wirksamkeit der CGT. Zum anderen wurde untersucht, ob eine zusätzliche Behandlung mit dem Antidepressivum Citalopram, einem Arzneistoff aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) die Wirkung verstärken kann. Es gab vier Gruppen, in denen die Patienten ausschließlich mit Citalopram oder mit Placebos behandelt wurden, oder aber die Psychotherapie mit Citalopram oder mit Placebo kombiniert wurde.

Primärer Endpunkt war die Bewertung der Trauer in einer „Complicated grief–anchored Clinical Global Impression scale“. Wie Katherine Shear und Mitarbeiter berichten, erzielte die alleinige Psychotherapie hier bei 82,5 Prozent eine Wirkung gegenüber 54,8 Prozent in der Placebo-Gruppe. Der Vorteil war statistisch signifikant und die Number needed to treat (NNT) von nur 3,6 Patienten auf die einer mit einem Nutzen durch die Psychotherapie kam, bestätigte, dass die Psychotherapie vielen Patienten nutzen kann.

Eine zusätzliche Gabe von Citalopram erzielte keinen Zusatznutzen. Der Anteil der Patienten mit einer Verbesserung wurde nur auf 83,7 Prozent gesteigert, ein statistisch nicht signifikanter und bei einer NNT von 84 auch kaum klinisch relevanter Vorteil. In der Monotherapie erzielte Citalopram keine bessere Wirkung als eine Placebo-Behandlung. Für die Behandlung der komplizierten Trauer scheint das Mittel demnach nicht geeignet zu sein. Die einzige Ausnahme waren Patienten, die neben der komplizierten Trauer auch depressive Symptome aufwiesen. Citalopram linderte hier die depressiven Symptome, auf die komplizierte Trauer hatte es keinen Einfluss.

Besonders deutliche Auswirkungen hatte die Psychotherapie auf die Häufigkeit suizidaler Gedanken: Zu Studienbeginn hatte noch jeder dritte Patient den Wunsch zu sterben. Unter der Citalopram-Behandlung sank der Anteil auf 17,7 Prozent, das waren kaum weniger als in der Placebo-Gruppe. Unter der Psychotherapie sank der Anteil auf 6,7 Prozent, unter der Kombination Psychotherapie mit Citalopram waren es 3,5 Prozent. Ob sich hier ein gewisser Zusatznutzen von Citalopram zeigt, bleibt in der Publikation unklar. 

Shear und Mitarbeiter scheinen mit der fehlenden Wirkung von Citalopram nicht ganz zufrieden zu sein. Sie schieben dies auf eine FDA-Warnung zurück, die die Dosis im Verlauf der Studie von 60 auf 40 mg senkte. Wenn eine Psychotherapie nicht möglich sei, könnte das SSRI möglicherweise in Verbindung mit einer „unterstützenden“ Behandlung wirksam sein, schreiben sie. Argumente für diese These liefert ihre Studie jedoch nicht. © rme/aerzteblatt.de

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.
LNS
LNS LNS

Fachgebiet

Stellenangebote

    Weitere...

    Aktuelle Kommentare

    Archiv

    NEWSLETTER