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Politik

Flüchtlings­versorgung: Experten fordern individuelle Behandlung statt Massenscreenings

Freitag, 10. Juni 2016

/dpa

Würzburg – Infektiologen haben darauf hingewiesen, dass medizinische Tests bei Flüchtlingen nicht immer aussagekräftig seien. Je nach Herkunft könnten die Ankommenden unter einem breiten Spektrum an Krankheiten leiden, die der Arzt nicht sofort diagnostizieren kann, warnten die Experten im Vorfeld des 13. Kongresses für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin Mitte Juni in Würzburg. Deshalb forderten sie, eine individuelle Behandlung von Flüchtlingen statt Massenscreenings.

„In der Ausnahmesituation, in der sich Flüchtlinge zweifelsohne befinden, sind gesund­heitliche Belange häufig nicht das dringendste Anliegen, zumal die Sprachbarriere und kulturelle Unterschiede – auch in der Wahrnehmung von Beschwerden – häufig dazu führen, dass Ärzte vorliegende Krankheiten zunächst übersehen“, sagte August Stich, der die Tropenmedizinische Abteilung der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg leitet. Er fordert deshalb, auf Basis der Erfahrungen aus dem „Würzburger Modell“ der Flücht­lingsversorgung, eine individuelle Betrachtung eines jeden Patienten und nieder­schwellige Versorgungsangebote, um dem gesetzlich verankerten Recht der Flüchtlinge auf Gesundheit nachzukommen. Letztendlich spare das sogar Kosten, so Stich.

Auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne in Würzburg leben seit 2008 rund 500 Flüchtlinge, die die Mitarbeiter der Tropenmedizinischen Abteilung der Missions­ärztlichen Klinik medizinisch versorgen. Tagsüber ist dort eine Krankenschwester vor Ort. Sie erfasst medizinische Fragen und Probleme, die Patienten an sie herantragen. Sie bereitet auch die ärztlichen Sprechstunden vor, die ein Team von Fachärzten wechselnd besetzt.

„Eine kleine Gruppe von Psycho- und Traumatherapeuten arbeitet ehrenamtlich mit, da ihre überaus wichtigen Leistungen fast nie über das geltende System abgerechnet werden können“, ergänzt Stich. Erst im engen Kontakt mit den Flüchtlingen sei herausgekommen, woran die meisten Patienten litten. „Viele Erkrankungen konnten wir erst nach mehrmaligem Kontakt mit den Patienten diagnostizieren“, so Stich.

Bedenken, ein derartiges Versorgungsmodell würde die Kosten der medizinischen Betreuung von Flüchtlingen in die Höhe treiben, hätten sich nicht bestätigt. „Der entscheidende, auch ökonomisch wichtige Faktor ist die Tatsache, dass durch das kontinuierliche, niederschwellige Angebot Ordnung und Systematik in die medizinische Versorgung von teilweise schwer kranken Menschen gebracht werden“, verwies der Mediziner. Krankheiten könnten so früher erkannt und behandelt werden, was auf lange Sicht Kosten einspare, so der Infektiologe.

Trotz dieses Erfolgs dürfe das „Würzburger Modell“ nicht Vorbild für eine bundesweite Flüchtlingsversorgung sein, erklärte Hartwig Klinker, Leiter der Infektiologie am Universitätsklinikum Würzburg. „In Würzburg haben die Kollegen versucht, eine staatliche Lücke zu schließen – nicht zuletzt mit freiwilligen Helfern“, so der Kongresspräsident. Stattdessen wäre eine Systemänderung vonnöten, die Asylbewerbern bundesweit und vom ersten Tag der Ankunft an Versicherungsschutz gewährt und einen niederschwelligen Zugang zu Versorgungsstrukturen ermöglicht. © hil/aerzteblatt.de

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