Politik
Kompromiss zur Forschung an nicht Einwilligungsfähigen zeichnet sich ab
Mittwoch, 22. Juni 2016
Köln – Die Unionsfraktion hat sich auf einen Vorschlag geeinigt, unter welchen Voraussetzungen Forschung an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen, wie beispielsweise Demenzkranken, erlaubt werden kann, auch wenn diese selbst nicht von den Forschungsergebnissen profitieren.
Nach dem Willen von CDU und CSU müssen die Betroffenen zu einer Zeit, in der sie noch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte waren, nach ärztlicher Aufklärung gruppennütziger Forschung zugestimmt und dies in einer von der Patientenverfügung unabhängigen Probandenverfügung dokumentiert haben. Der Vorschlag ähnelt demjenigen, den der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach ins Gespräch gebracht hatte. Danach muss sich der Betroffene bei klarem Verstand mit einer gemeinnützigen Forschung an seiner Person einverstanden erklären und von einem Arzt über Risiken und Vorteile aufgeklärt werden. Das Dokument soll zusammen mit einer Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung aufbewahrt werden.
Die Debatte um die gruppennützige Forschung an nicht Einwilligungsfähigen hatte sich am Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften entzündet, über das der Bundestag ursprünglich am 9. Juni abstimmen sollte. Dieser erlaubte derartige Studien in engen Grenzen, und zwar wenn der Betroffene im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gruppennütziger Forschung zustimmt und eine entsprechende Patientenverfügung verfasst hatte.
Mit dem Gesetz wird deutsches Recht an die EU-Verordnung über klinische Prüfungen (Nr. 536/2014) angepasst. Diese sieht für die Teilnahme nicht einwilligungsfähiger Personen an gruppennützigen Studien lediglich die Zustimmung eines gesetzlichen Vertreters vor. Die Verordnung stellt allerdings auch klar, dass die Prüfungsteilnehmer nur einem geringen Risiko und einer minimalen Belastung ausgesetzt werden dürfen.
Schutz der Probanden hat oberste Priorität
In einer Fragestunde des Bundestages betonte heute die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Ingrid Fischbach, dass allein auf Druck von deutscher Seite die EU-Verordnung den Mitgliedstaaten einräume, in der Frage der Forschung an nicht Einwilligungsfähigen strengere nationale Regelungen zu erlassen. Sie betonte zugleich, dass die Beratungen über einen Kompromissvorschlag in den Fraktionen noch andauerten.
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In der Fragestunde kritisierten einige Abgeordnete den Willen der Bundesregierung, die gruppennützige Forschung an nicht Einwilligungsfähigen in engen Grenzen zu erlauben. Katja Dörner (Bündnis 90/Die Grünen) warnte, die Bundesregierung unterlaufe mit ihrem Gesetzentwurf einen Beschluss des Bundestages von 2013 (Drucksache 17/12183), wonach bei der Forschung an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen und an Personen in Notfallsituationen ein direkter individueller Nutzen Voraussetzung sein müsse. Hubert Hüppe (CDU) bezweifelte grundsätzlich die Notwendigkeit von gruppennützigen Studien an nicht Einwilligungsfähigen.
Fischbach räumte ein, dass der Bundesregierung keine Zahlen über klinische Studien an nicht Einwilligungsfähigen in Ländern vorliegen, in denen diese erlaubt sind. Das gehe aus den Statistiken nicht hervor. Sie betonte zugleich, dass der Schutz der Probanden in jedem Fall oberste Priorität habe. Klinische Forscher hätten jedoch deutlich gemacht, dass es beispielsweise bei Demenz große Forschungslücken im Spätstadium der Erkrankung gebe, die man nicht durch die Forschung an noch Einwilligungsfähigen schließen könne.
Der Bundestag will in seiner letzten Sitzungswoche vor der parlamentarischen Sommerpause über den Gesetzentwurf im Bundestag abstimmen. Das bestätigten Vertreter beider Koalitionsfraktionen in Berlin. Da es sich dabei um eine ethisch schwierige Frage handelt, wollen Union und SPD die Abstimmung als Gewissensentscheidung freigeben. Heute zeichnete sich ab, dass es zu einem gemeinsamen Antrag von Union und SPD kommen könnte. Allerdings ist in beiden Fraktionen damit zu rechnen, dass es abweichende Voten gibt. Die letzte Sitzungswoche vor der Sommerpause findet vom 4. bis 8. Juli statt. © dpa/HK/aerzteblatt.de

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