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Medizin

Neun Proteine im Blut sagen Herz-Kreis­lauf-Risiko voraus

Donnerstag, 23. Juni 2016

dpa

San Francisco – Der Nachweis von neun Proteinen, die den meisten Ärzten vermutlich völlig unbekannt sind, hat in einer prospektiven Kohortenstudie kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit besser vorhergesagt als der modifizierte Framingham-Score. Der im US-amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2016; 315: 2532-2541) vorgestellte Test dürfte dennoch vorerst nicht in die klinische Medizin eingeführt werden.

Moderne Testverfahren können Abertausende von Genen oder Proteine gleichzeitig im Blut nachweisen. Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden einige Gene aktiviert und Proteine ans Blut abgegeben. Ihr Nachweis in Genomik und Proteomik könnte deshalb genutzt werden, um das kardiovaskuläre Risiko besser vorherzusagen als der Framingham-Score, der auf relativ allgemeinen Angaben (Alter, Geschlecht, Raucherstatus) und wenigen Tests (Gesamt-, und HDL-Cholesterin, Blutdruck) beruht. Die Genomik könnte in Zukunft das lebenslange genetische Risiko vorhersagen, während die Proteomik Aussage in einer bestimmten Lebensphase erlauben sollte.

Ein Team um Peter Ganz von der Universität von Kalifornien in San Francisco hat jetzt einen Proteomik-Test für die Vorhersage von Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit dem modifizierten Framingham-Score verglichen. In einer ersten „Derivationskohorte“ wurde die Konzentration von 1.130 Proteinen im Blut von 938 Teilnehmern der amerikanischen „Heart and Soul“-Studie bestimmt und mit späteren Herz-Kreislauf-Ereignissen in Beziehung gesetzt. Der Nachweis der Proteine wurde mit sogenannten Aptameren durchgeführt, kleinen Oligonukleotiden oder Peptiden, die in ähnlicher Weise wie Antikörper sehr spezifisch an bestimmte Proteine im Blut binden.

Es stellte sich heraus, dass eine Gruppe von neun Proteinen eine recht gute Vorhersage späterer kardiovaskulärer Ereignisse erlaubt. Diese Proteine waren Angiopoietin-2, Matrix-Metalloproteinase-12, der Chemokin (C-C Motif)-Ligand 18, Complement 7, der alpha 1-Antichymotrypsin-Komplex, Angiopoietin-related-Protein 4, Troponin I, der Growth differentiation factor 11/8) und Alpha2-Antiplasmin. Bis auf Troponin I, das in der Herzinfarkt-Diagnostik eingesetzt wird, dürften die Proteine den meisten Kardiologen nicht vertraut sein und ihre pathogenetische Rolle für die Atherosklerose dürfte erst ansatzmäßig verstanden werden.

Dies spielt aber bei der Proteomik keine Rolle. Sie setzt allein auf die Assoziation mit späteren Ereignissen. Dabei müssen die Ergebnisse der Derivationskohorte in einer Validierungskohorte überprüft werden (um statistische Zufallsereignisse auszu­schließen). Diese Prüfung führte das Team um Ganz in der sogenannten HUNT3-Studie durch, einer bevölkerungsbasierten Kohorte aus Norwegen, die Patienten mit bestehender koronarer Herzkrankheit über einen Zeitraum von 4 Jahren beobachtet hat.

Der 9-Protein-Score erzielte dabei passable Ergebnisse. Als Einzeltest war er dem modifizierten Framingham-Score sogar überlegen. Ein Qualitätsmerkmal ist hier ein hoher Wert in der sogenannten C-Statistik, die Sensitivität und Spezifität berücksichtigt und einen C-Wert von 0,5 bis 1 annehmen kann. Ein C-Wert von 0,5 entspricht dem reinen Zufall, ein C-Wert von 1 wäre eine 100-prozentige Treffsicherheit. Der 9-Protein-Score erreichte in der Validierungskohorte einen C-Wert von 0,70, während der modifizierte Framingham-Score nur 0,64 schaffte. Dies zeigt einen gewissen Vorteil des 9-Protein-Scores an.

Dies allein dürfte aber nicht ausreichen, um den Framingham-Score zu ersetzen. Zum einen kann der Framingham-Score ohne großen Aufwand erhoben werden, während die Proteomik Zusatzkosten aufwirft, deren Höhe derzeit nicht bekannt ist. Zum anderen dürfte der Framingham-Score den meisten Ärzten vertrauter sein und die Auswirkungen der einzelnen Parameter erscheinen plausibler als statistische Assoziationen unbekannter Proteine.

Eine Chance hätte der 9-Protein-Score, wenn er in Ergänzung zum Framingham-Score die Vorhersage verbessern würde. Dies ist nach den Ergebnissen von Ganz jedoch nicht erkennbar. Der C-Wert stieg nur von 0,70 auf 0,71 an, so dass ein Zusatznutzen nicht erkennbar ist. © rme/aerzteblatt.de

Kommentare

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Avatar #106067
dr.med.thomas.g.schaetzler
am Donnerstag, 23. Juni 2016, 22:22

"You can say you to me"?

Diese Publikation "Development and Validation of a Protein-Based Risk Score for Cardiovascular Outcomes Among Patients With Stable Coronary Heart Disease" von Peter Ganz et al. mit seinem 9-protein risk score ist selbst als reine Werbe-Verkaufsveranstaltung für einen 9-Protein-Score ein Totalausfall.

Im Abstract geht es los: Es sei nötig 'Behandlungsentscheidungen zu informieren' ["Importance - Precise stratification of cardiovascular risk in patients with coronary heart disease (CHD) is needed to inform treatment decisions"]? Mit diesem Rumpel-Englisch werden Patienten- und Ärzte-Therapie-Entscheidungen depersonalisiert.

Dann werden völlig unterschiedliche, zu verschiedenen Zeiten, Themen und wechselnder Dauer beobachtete Studienpopulationen direkt miteinander verglichen: Randomisiert kontrollierte RCT-Studien? Was war das nochmal?

Nicht nur der linguistisch-mathematisch besetzte Begriff 'Derivation' (derivation = Ableitung, Herkunft, Abweichung, Herleitung) wird grotesk irreführend missbraucht. Die HSS-Kohorte in den USA wurde mit einem Follow-up 2011 über bis zu 11.1 Jahren vom Jahr 2000 bis 2003 eingeschrieben. Die norwegische HUNT3-Kohorte dagegen mit einem Follow-up 2012 über 5,6 Jahre vom Jahr 2006 bis 2008. Was wollte man damit wohl vergleichend darstellen? ["For the derivation cohort (Heart and Soul study), outpatients from San Francisco were enrolled from 2000 through 2002 and followed up through November 2011 (≤11.1 years). For the validation cohort (HUNT3, a Norwegian population-based study), participants were enrolled from 2006 through 2008 and followed up through April 2012 (5.6 years)"].

Zu allem Überfluss hatte man das Ganze auch noch mit dem "Framingham secondary event model" verglichen, nachdem man einige manipulative Anpassungen an die hier vorgestellten Studienpopulationen vorgenommen hatte ["refit to the cohorts in this study"].

Endgültig disqualifiziert sich das Autorenteam bei seinen Schlussfolgerungen mit nur mäßig diskriminativer Akkuratesse ["Conclusions and Relevance - Among patients with stable CHD, a risk score based on 9 proteins performed better than the refit Framingham secondary event risk score in predicting cardiovascular events, but still provided only modest discriminative accuracy"].

Da helfen Neo- und Pseudologien mit "to inform treatment decisions", "derivation cohort" und "modest discriminative accuracy" nicht wirklich weiter. Klare Gedanken brauchen eine klare Sprache.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund
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