Politik
Risikostrukturausgleich: Bayern fordert erneut Regionalkomponente
Freitag, 24. Juni 2016
Berlin – Bayern dringt weiter auf eine Korrektur des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA). Mit einem neuen, zweiten Gutachten zum Thema bekräftigte Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) gestern in Berlin ihre Forderung nach einer Regionalkomponente. Der Morbi-RSA werde derzeit bei der Krankenkassenfinanzierung einer „fairen Zuweisung nicht gerecht“, sagte sie bei der Vorstellung des Gutachtens.
Das zeigt ihrer Ansicht nach, dass Bayern nicht nur auf der Ausgabenseite Geld verliert, sondern auch auf der Einnahmenseite Versichertengelder aus Bayern in andere Bundesländer abfließen. Bayerische Beitragszahler seien damit doppelt belastet, so Huml. Diese hätten von 2011 bis 2014 insgesamt gut 5,5 Milliarden Euro mehr geleistet. Die Ministerin erklärte, Solidarität sei in Ordnung, aber die Zuweisungen für die Versicherten in Bayern müssten mindestens gedeckt sein.
Dass dies nicht der Fall ist, geht ebenfalls aus dem Gutachten der beiden Gesundheitsökonomen Volker Ulrich (Universität Bayreuth) und Eberhard Wille (Universität Mannheim) sowie dem Juristen Gregor Thüsing (Universität Bonn) hervor. Demnach ist es in Bayern durch den bestehenden Morbi-RSA zwischen 2009 und 2014 zu einer Unterdeckung in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro gekommen. Dieser Fehlbetrag zwischen Leistungsausgaben der Krankenkassen und Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds gefährde die Versorgungsinfrastruktur, so Huml.
Sie forderte, dass die Benachteiligungen für die in Hochlohn- und Hochpreisregionen wie Bayern tätigen Krankenkassen und deren Versicherte „endlich abgebaut werden“. Die Daten, die für das Gutachten analysiert wurden, stammen von bayerischen Versicherten der Techniker Krankenkasse, der DAK-Gesundheit, einigen Betriebskrankenkassen, der IKK Südwest und der AOK Bayern. Die Marktabdeckung beträgt den Autoren zufolge rund 80 Prozent.
Zum Hintergrund
Der Risikostrukturausgleich (RSA) wurde 1994 mit dem Ziel eingeführt, einen fairen Wettbewerb zwischen Krankenkassen zu ermöglichen. Risikoselektion, also ein Kampf um junge, gesunde Versicherte, sollte minimiert werden. Als Faktoren für die Berechnung eines Finanzausgleichs werden zum Beispiel Alter, Geschlecht und Krankheiten herangezogen.
Wille betonte bei der Vorstellung des Gutachtens, es gehe mit dem Regionalfaktor nicht darum, die Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) infrage zu stellen, sondern „ausschließlich darum, regionale Unterschiede im Wettbewerb auszugleichen“. Der Morbi-RSA solle exogene, nicht von den Kassen beeinflussbare Faktoren nivellieren. Dazu gehören laut Gutachten etwa die Einkommen der Versicherten. Auch Einflussgrößen auf Angebotsseite wie eine qualitativ hochwertige Infrastruktur im ambulanten und stationären Sektor und Pflegebereich sowie regional unterschiedliche Kosten für medizinische Leistungen sind demnach von den Kassen nicht zu beeinflussen. Diese Größen würden derzeit nicht genügend im Morbi-RSA für einen Finanzausgleich berücksichtigt, so Wille.
Er wies zugleich darauf hin, dass die Ergebnisse zeigten, dass es auch innerhalb von Bayern Unterschiede in den Zuweisungen gibt. Demnach sind vor allem die kreisfreien Großstädte unterdeckt. Wie der Regionalfaktor konkret umgesetzt werden kann, da scheiden sich die Geister. Während sich Huml für einen Faktor auf Länderebene aussprach, ist dieser für Wille zu groß gewählt. Die Optimallösung ist nach Ansicht des Wissenschaftlers das niederländische Modell, das sich an regionalen Komponenten orientert. Damit würden etwa viele Großstädte eine Region bilden. Für realistisch hält es der Wissenschaftler aber eher, sich grob an den Kreisen in Deutschland zu orientieren.
Dass es kein rein bayerisches Problem, sondern ein systemisches ist, unterstrich Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender der DAK Gesundheit. „Es geht nicht um Bayern, sondern um Risikoäquivalenz im RSA“, sagte er. Der BKK Landesverband Bayern pochte vor allem auf schnelle Lösungen. Es müsse „kurzfristig“ etwas passieren, mahnte Sigrid König, Vorsitzende des BKK Landesverbands.
Unterstützung für einen Regionalfaktor kommt auch von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) und der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG). „Wir sind schwer für eine regionale Komponente“, betonte der KVB-Vorsitzende Wolfgang Krombholz per Videobotschaft aus München. Die Daten sprächen eine klare Sprache. Siegfried Hasenbein, Geschäftsführer der BKG, erachtet die regionale Komponente als „notwendig“. Das heiße aber auch, dass von den Kassen in Vergütungsvereinbarungen regionale Kostenunterschiede akzeptiert werden müssten.
Dass der Politik das Verfassungsrecht bei der Einführung einer Regionalkomponente nicht im Wege steht, betonte Gregor Thüsing. Die kurze Antwort auf die Frage, ob ein solcher Faktor verfassungskonform sei, sei „Ja“, sagte er. Huml ließ durchblicken, dass sie als nächsten Schritt eine Bundesratsinitiative anstrebt. Zunächst wolle man jedoch die Reaktionen auf das Gutachten abwarten, sagte sie.
Die regionalen Unterschiede, die das Gutachten aus Bayern aufgreift, sind nicht der einzige Punkte beim Krankenkassenfinanzausgleich, über den derzeit debattiert wird. Diese Woche hatte das IGES-Institut ein Papier vorgestellt, das einen Reformbedarf bei den Zuweisungen für Krankengeld sieht. Arbeiten, die Anfang des Jahres den Morbi-RSA untersuchten, hatten Verwerfungen bei Erwerbsminderungsrentnern ausgemacht. Diskutiert wird zudem darüber, ob die Auswahl der 80 Krankheiten im Morbi-RSA für Verzerrungen im Wettbewerb sorgt. © may/aerzteblatt.de

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