Politik
SPD macht Bürgerversicherung zum Wahlkampfthema
Mittwoch, 29. Juni 2016
Berlin – Die SPD setzt die Gesundheitspolitik ganz oben auf die Wahlkampfagenda. Nachdem kürzlich SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach angekündigt hatte, die Bürgerversicherung werde zum Wahlkampfthema, legte heute SPD-Vize Ralf Stegner nach. Ohne eine Verständigung auf eine Bürgerversicherung sollten die Sozialdemokraten nach der Bundestagswahl kein neues Bündnis mit der Union eingehen, sagte er. Allerdings äußerte er sich skeptisch zu einer Neuauflage der großen Koalition: „Ich hoffe, wir müssen das nicht“, sagte er.
Stegner rief seine Partei dazu auf, vor der Bundestagswahl auf einen Gerechtigkeitswahlkampf zu setzen. Dazu gehörten neben der paritätisch finanzierten Bürgerversicherung und der Absage an eine Zwei-Klassen-Medizin auch gute Arbeit, „von der man auch leben kann“, Chancengleichheit im Bildungssystem sowie eine gerechte Familienpolitik, die unterschiedliche Lebensformen gleichwertig behandele. Auch gelte es, ein weiteres Absinken des Rentenniveaus zu verhindern, sagte Stegner. Insgesamt solle die SPD im Wahlkampf drei bis vier Punkte benennen, die sie auf jeden Fall durchsetzen wolle.
Korrekturen verlangte der SPD-Vize auch in der Steuerpolitik. Als Prioritäten nannte er eine gerechte Besteuerung von Kapitaleinkünften, damit diese nicht länger im Vergleich zu Arbeitseinkommen bevorzugt würden, eine stärkere Besteuerung von Erbschaften als „leistungslosem Vermögenszuwachs“ sowie mehr Steuergerechtigkeit auch zwischen Konzernen und mittelständischen Betrieben.
Beim Streitthema Vermögenssteuer legte sich Stegner dagegen mit Blick auf Probleme bei der Einstufung von Betriebsvermögen nicht fest. Wenn sich diese Probleme lösen ließen, „dann sollten wir es machen“, ihm seien die anderen genannten Punkte aber wichtiger.
Für den bevorstehenden Bundestagswahlkampf sprach sich Stegner für ein eigenständiges Profil der SPD aus. „Wir sollten uns reiben an unserem konservativen Lebensabschnittsgefährten“, sagte er mit Blick auf die Union. Allerdings wandte sich der SPD-Vize auch gegen Spekulationen über andere Koalitionsoptionen. „Wir müssen stark sein, die Bürger wählen Parteien und nicht Koalitionen.“
Vorschläge des Linken-Politikers Gregor Gysi nach Absprachen über ein mögliches Linksbündnis gemeinsam mit den Grünen erteilte Stegner daher eine Absage. © afp/aerzteblatt.de

SPD - so wird das nichts!
Ausgerechnet Bürgerversicherung, Zwei-Klassen-Medizin, Chancengleichheit im Bildungssystem, gerechte Familienpolitik und Absinken des Rentenniveaus zum Wahlkampfthema machen zu wollen, kommt von Experten, die das alles mit der Schröder'schen Agenda 2000 bereits vorexerziert und zunichte gemacht haben.
1. Mit der Bürgerversicherung verdirbt man es sich mit allen Beamtinnen, Beamten und Beihilfeberechtigten im Öffentlichen Dienst. Die Private Krankenversicherung (PKV) und ihre Mitglieder kann man nicht entschädigungslos enteignen. Außerdem müssten dann die Beitragsbemessungsgrenze und die Freistellung sonstiger Einkünfte wegfallen.
2. Die Zwei-Klassen-Medizin wurde mit §12 Sozialgesetzbuch 5 (SGB V) "Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten" (WANZ-Prinzip) auch und gerade von der SPD zementiert. Systematisch überproportionale Zuzahlungen bei unseren einkommensschwächsten Patienten sind die Folge. Gut verträgliche, nicht rezeptpflichtige Präparate sind Selbstzahler-Leistungen.
3. Chancengleichheit und Teilhabe im Bildungssystem werden nach wie vor durch die Herkunft diktiert. Selbst Migranten in 2. und 3. Generation haben weniger Chancen. Niedriglohn, geringfügige Beschäftigungen und Arbeitnehmerüberlassung tun ihr übriges.
4. Die Familienpolitik wird durch eine von der SPD mitentwickelte Familien-Zusatzbelastung geprägt. Familien mit Kindern sind seit rot-grün belastet, während der Spitzensteuersatz (den eh' keiner zahlt) unter Bundeskanzler Schröder gesenkt wurde.
5. Das Rentenniveau ist eine echte SPD-Lachnummer. Reallohnverlust, Mindestlohn, von dem man nicht leben kann, Sozial- und Transferleistungen, Hartz IV-Reservearmee, Einschränkungen bei den Job-Centern wurden als Erfolg als SPD Agenda 2010 gefeiert: Um für dieselben Menschen am Rand der Gesellschaft jetzt als Renten-Retter dazustehen und gewählt werden zu wollen?
Die Schere zwischen Arm und Reich geht in Deutschland immer weiter auseinander. Jede/r, der/die mit Fingerspitzengefühl, emotionaler und sozialer Intelligenz in der hausärztlichen Praxis arbeitet, wird das bestätigen. Und wie schaffen wir es, eine Balance von Solidarität, Verantwortung und Subsidiarität in der Krankenversicherung herzustellen?
O h n e dass sozial Schwache, Kranke, Alte, Junge, Kinder, Erwachsene, Reiche, Arme, Kluge und weniger Kluge ausgegrenzt, diskriminiert und im Krankheitsfall in Existenzangst oder würdeloses Sterben getrieben werden?
Es geht um unsere Zukunft, unsere Kinder, deren umfassende Krankheits-, Ausbildungs- und Risikovorsorge der Staat endlich mit einem angemessenen GKV-Bundeszuschuss garantieren muss; es geht um junge Menschen in der Ausbildung, die für kleines Geld Kranken- u n d Sozialversicherung brauchen; es geht um Gut-, Schlecht- u n d Spitzenverdiener im Reproduktions- u n d Arbeitsleben, aber auch um Rentner/-innen mit dann schwindendem Einkommen und hoher Morbiditätslast, um Geringverdiener, Arbeitslose, Minijobber, ALG-I- und -II-Bezieher.
Eine lupenreine "Bürgerversicherung" existiert bereits über 100 Jahre als Gesetzliche Krankenversicherung (GKV). E i n s c h l i e ß l i c h Herz-Lungen-Nieren-Leber-Hornhaut etc. Transplantationen, einschließlich drug-eluting und bare-metal Stents, einschließlich TAVI, Biologicals, Interferon-, HIV-Medikation, E-Rollstuhl und Carbonprothesen. Einschließlich Beatmungspflege und Palliativversorgung.
Wenn die gute alte SPD noch so einen Hauch von "sozialem Gewissen der Nation" darstellen will, müsste sie im G e g e n s a t z zur Bundesregierung jährlich ungeschönte, unzensierte und unmanipulierte Armutsberichte erstellen. In Kindergärten, Horten, Heimen, Sozialhilfezentren, Schulen, Krankenhäusern, REHA-Einrichtungen, Ferienlagern, Jugendlichen- und Erwachsenenbildung, Seniorenzentren, Begegnungsstätten, Heimen und Hospizen immer nah dran an den Sorgen und Nöten der Bevölkerung sein.
Den intellektuell abgehobenen Streit um Bürgerversicherung vs. Kopfpauschale (hat die FDP Kopf und Kragen gekostet!), um Einheits-Krankenkassen oder Einheitsmedizin mit 3 Pillen à la Lauterbach bzw. die Stegner'sche Misantrophie locken den geprügelten SPD-Wahl-Hund nicht mehr hinter dem Ofen vor.
Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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