Vermischtes
Bundesarbeitsgericht: Mindestlohn auch für Bereitschaftsdienste fällig
Donnerstag, 30. Juni 2016
Erfurt – Arbeitnehmer haben nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts auch bei Bereitschaftsdiensten Anspruch auf den Mindestlohn von derzeit 8,50 Euro pro Stunde. Das hat das der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgericht gestern in Erfurt in seinem zweiten Grundsatzurteil seit Mindestlohn-Einführung vor eineinhalb Jahren entschieden (5 AZR 716/15). Das Mindestlohngesetz differenziere nicht zwischen regulärer Arbeitszeit und Bereitschaftsstunden, sondern sehe eine einheitliche Lohnuntergrenze vor, hieß es zur Begründung.
Für den Präzedenzfall sorgte ein Rettungssanitäter aus dem Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen, der seine Klage jedoch persönlich verlor. Zwar sei Bereitschaftszeit mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten, urteilten die Richter. Der Anspruch des Klägers hierauf sei aber erfüllt.
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Der Kläger ist als Rettungsassistent im Rahmen einer Vier-Tage-Woche in Zwölfstundenschichten durchschnittlich 48 Stunden wöchentlich beschäftigt. Es fallen regelmäßig Bereitschaftszeiten an. Das Bruttomonatsgehalt beläuft sich auf 2.680,31 Euro nebst Zulagen. Der Assistent hatte argumentiert, durch das Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes sei die arbeitsvertraglich einbezogene tarifliche Vergütungsregelung unwirksam geworden. Deshalb stehe ihm die übliche Vergütung von 15,81 Euro brutto je Arbeitsstunde zu. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Die Richter des Bundesarbeitsgerichts rechneten nun vor, dass bei maximal 228 Arbeitsstunden, die der Rettungsassistent mit Vollarbeit und Bereitschaftszeiten in einem Monat tatsächlich habe leisten könne, die gezahlte Monatsvergütung den gesetzlichen Mindestlohn (228 Stunden zu 8,50 Euro = 1.938,00 Euro brutto monatlich) nicht nur erfülle, sondern diesen sogar übersteige. Ein Anspruch auf weitere Vergütung bestehe nicht. Die arbeitsvertraglich einbezogene tarifliche Vergütungsregelung sei nicht wegen des Inkrafttretens des Mindestlohngesetzes unwirksam geworden. © dpa/EB/aerzteblatt.de

Einerseits konsequent, andererseits halbherzig
In dem o.g. Beispiel fehlt z.B. der Anteil der Aktivstunden, um die Feinheiten nachzuvollziehen, trotzdem kann man ein paar Beispielrechnungen aufmachen. Bei einem Bruttoeinkommen von 2680 € und einem Stundenlohn für Aktivstunden von 15,81 € hätte man 169,5 Aktivstunden, wenn die Gesamtarbeitszeit 228 Stunden im Monat beträgt, wäre die Differenz für den Arbeitgeber für umsonst. Wenn dagegen die Bereitschaftszeiten mit 8,50 € bezahlt würden, dürfte der Mitarbeiter maximal 101,5 Stunden im Monat aktiv arbeiten. Bei dieser Beispielrechnung bekommt der Mitarbeiter für seine Bereitschaftszeiten mindestens den Mindestlohn, wenn er weniger als 101,5 Aktivstunden hat, er bekommt weniger als den Mindestlohn, wenn er zwischen 101,5 bis 169,5 Aktivstunden hat und er arbeitet für umsonst in seiner Bereitschaftszeit, wenn er über 169,5 Aktivstunden im Monat hat.
Das o.g. Beispiel zeigt aber auch, wie sehr die aktuelle Rechtssprechung dem natürlichen Rechtsempfinden der betroffenen Menschen widerspricht. Wenn zusätzliche Leistungen, sei es Urlaubsgeld oder die Bezahlung von Bereitschaftszeiten nachträglich mit dem Mindestlohn verrechnet werden, ist dies einfach eine große Mogelpackung. Ein Urlaubsgeld, welches mit dem Mindestlohn verrechnet wird (siehe o.g. Link in diesem Artikel), verdient nicht diesen Namen und ist eine Vorspiegelung falscher Tatsachen (wenn man schon das hässliche Wort Betrug nicht in den Mund nehmen möchte).
Noch problematischer wird es bei Bereitschaftsdiensten. Es sind schliesslich keine Berufsanfänger oder Hilfsarbeiter, die diese Bereitschaftsdienste leisten. Das ist ausgebildetes Fachpersonal, die auf Abruf verantwortungsvolle Aufgaben erfüllen müssen. Aus meiner Sicht ist es eine Schande, dass hier überhaupt eine Diskussion zum Thema Mindestlohn notwendig ist. Ich persönlich möchte mein Leben nicht in die Hände einer Person geben müssen, die mit einem Mindestlohn abgespeist wird und deshalb in einer kritischen Situation nicht mit vollem Einsatz dabei ist. Die Arbeiten im Gesundheitssystem gehören zu den Sozialberufen, und die werden leider schlecht bezahlt. Mittlerweile ist das Thema Mindestlohn für mich kein Thema, aber ich erinnere mich an meine AiP-Zeit, und damals hätte ein Mindestlohn durchaus Konsequenzen für mich gehabt. Unter dem Gesichtspunkt der Wertschätzung menschlicher Arbeit ist die Entscheidung des Gerichts als halbherzig zu werten, wenn schon Mindestlohn, dann ohne Einschränkung für alle Formen der Arbeit, und im Sinne des Transparenzgebots dürfte ein Arbeitgeber nur das als Zusatzleistung deklarieren, was wirklich zusätzlich gezahlt wird.

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