Medizin
Infertilität: Nur jeder zweite sucht medizinische Hilfe
Freitag, 1. Juli 2016
London - Eine von acht Frauen und einer von zehn Männern haben im Verlauf ihres Lebens einen unerfüllten Kinderwunsch erlebt, doch nur jeder zweite von ihnen nahm deshalb medizinische Hilfe in Anspruch. Dies kam in einer Umfrage unter 15.000 Frauen und Männern in Großbritannien heraus, die jetzt in Human Reproduction (2016; doi: 10.1093/humrep/dew123) veröffentlicht wurde.
Die britische National Survey of Sexual Attitudes and Lifestyles (Natsal) gehört zu den weltweit größten Umfragen zum Sexualverhalten der Bevölkerung. In der dritten Umfrage Natsal-3 aus den Jahren 2010 bis 2012 wurde die Zufallsstichprobe von 15.162 Frauen und Männern, sofern sie sexuell aktiv waren, auch danach gefragt, ob sie jemals über 12 Monate oder länger vergeblich versucht hatten, ein Kind zu bekommen. Diese Frage wurde von 12,5 Prozent der Frauen und 10,1 Prozent der Männer bejaht. Wie zu erwarten, hatten jüngere Frauen am seltensten Probleme, schwanger zu werden. In der Altersgruppe der 35 bis 44-jährigen Frauen lag der Anteil jedoch bei 17,7 Prozent. Bei Männern stieg der Anteil etwa ein Lebensjahrzehnt später an.
Die zunehmende Verlagerung des Kindeswunsches in höhere Altersgruppen ist laut Jessica Datta von der London School of Hygiene & Tropical Medicine, die die Daten ausgewertet hat, ein wichtiger Grund für die Zunahme der Infertilität. Die Forscherin sieht darin ein soziales Problem. Frauen, die Karriere machen wollten, würden vor dem Hintergrund eines unsicheren Arbeitsmarktes heute entmutigt. Statt sie vor einer Schwangerschaft zu warnen, sollte besser ein Umfeld geschaffen werden, das Arbeit und Familie vereinbar macht, meint die Forscherin.
Bei Frauen spielt auch der Bildungsstand eine Rolle. Akademikerinnen haben häufiger Probleme mit der Fertilität als Frauen mit niedrigem Bildungsabschluss. Bei Männern war dies nicht zu erkennen. In beiden Geschlechtern waren Personen in höheren beruflichen Positionen häufiger betroffen als andere.
Eine ungewollte Kinderlosigkeit belastet Frauen auch emotional. Die Häufigkeit von Depressionen war erhöht. Bei Männern war ein solcher Zusammenhang nicht erkennbar.
Obwohl es heute für viele Störungen der Fertilität Behandlungsmöglichkeiten gibt, hatten nur 57,3 Prozent der Frauen und 53,2 Prozent der Männer medizinische Hilfe aufgesucht. Auch hier gab es sozioökonomische Einflussfaktoren. Frauen mit einem niedrigen Bildungsniveau würden sich bei einer Infertilität weitaus seltener an einen Arzt wenden als Akademikerinnen, berichtet Datta. Sie vermutet, dass hier irrationale Ängste eine Rolle spielen. Menschen mit niedrigem Bildungsniveau könnten befürchten, von Freunden und Angehörigen als unfruchtbar abgestempelt zu werden. Viele hätten wohl auch Bedenken wegen der Kosten der Behandlung und den damit verbundenen physischen und psychischen Belastungen. © rme/aerzteblatt.de

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