Politik
Gruppennützige Forschung: Abstimmung erneut vertagt
Dienstag, 5. Juli 2016
Berlin – Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will die gruppennützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschen – wie zum Beispiel Demenzkranken – erleichtern. Obwohl sich Union und SPD erst kürzlich auf eine gemeinsame Position geeinigt haben, wächst der Widerstand der Kritiker. Wie aus Unions- und SPD-Kreisen zu vernehmen ist, wird die bereits schon einmal auf kommenden Freitag verschobene Abstimmung zum Thema erneut vertagt. Der Bundestag werde sich mit dem Gesetz erst nach der Sommerpause befassen, hieß es.
Erst gestern hatten zwölf Mitglieder der Ethik-Kommission des Landes Berlin den Entwurf für verfassungswidrig erklärt. Nach deren Einschätzung verletzt das Gesetz die Würde der Demenzkranken. „An einwilligungsunfähigen Erwachsenen darf dann geforscht werden, wenn die Medikamentenerprobung gerade ihnen selbst nützen kann“, heißt es in einer Stellungnahme an die Mitglieder des Bundestags. „Der potenzielle Nutzen für Betroffene ist daher kein gesetzliches Kriterium, das der Gesetzgeber nach Belieben ersetzen oder verändern kann. Vielmehr liegt in ihm die zentrale verfassungsrechtliche Legitimation von Forschung an Einwilligungsunfähigen.“
Der Berichterstatter für medizinische Ethik der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU, Hubert Hüppe (CDU), hatte zudem in einem Brief an Ingrid Fischbach, Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), eine „qualifizierte öffentliche und parlamentarische Diskussion“ und eine Verschiebung der Abstimmung gefordert.
Hüppe betonte dazu, dass es keinen Zeitdruck gebe, weil die Verordnung erst ab Oktober 2018 gelte. Er warf zugleich dem Netzwerk der Koordinierungszentren für Klinische Studien (KKS-Netzwerk) vor, den Bundesgesundheitsminister tendenziös zu beraten. Gröhe beruft sich auf Aussagen des Netzwerks, nach denen gruppennützige Studien notwendig seien, um Medikamente gegen Demenz zu erproben.
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Wie Medien berichten, haben der Behindertenbeauftragte der Unionsfraktion, Uwe Schummer (CDU), die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sowie die Gesundheitspolitikerinnen Kordula Schulz-Asche (Grüne) und Kathrin Vogler (Linke) gemeinsam einen weiteren Änderungsantrag zu dem umstrittenen Gesetzentwurf vorgelegt. Sie fordern, „den heutigen Schutzstandard für Menschen in ihrer schwächsten Phase zu sichern“, sagte Schummer. Die Initiatoren konnten demnach für ihren Änderungsantrag mehr als hundert Unterzeichner aus allen Fraktionen gewinnen.
Die Bundesregierung will in engen Grenzen Arzneimittelversuche an nichteinwilligungsfähigen Patienten erlauben, von denen diese voraussichtlich keinen Nutzen mehr haben. Dazu müssen die Betroffenen bei noch klarem Bewusstsein ihre Bereitschaft in einer speziellen Verfügung dokumentiert haben und sich zuvor ärztlich beraten lassen. Der Gesetzentwurf soll eine EU-Verordnung umsetzen. © may/kna/afp/aerzteblatt.de

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