Medizin
Neurologen diskutieren Strahlenbehandlung bei Hirnmetastasen
Mittwoch, 6. Juli 2016
Berlin – Einen Vorteil der stereotaktischen Radiochirurgie gegenüber der Ganzhirnbestrahlung bei Hirnmetastasen sieht eine in der Zeitschrift Cancer publizierte retrospektive Studie (2016; doi: 10.1002/cncr.30009). Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) diskutiert die Implikationen der Untersuchung.
Bei der Radiochirurgie werden gezielt nur die Metastasen einmalig präzise mit einer hohen Dosis bestrahlt, das gesunde Hirngewebe wird geschont.
Die Wissenschaftler der University of Washington, Seattle, analysierten Daten von Patienten mit nicht kleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC) oder Mammakarzinom, die zwischen 2007 (Diagnose NSCLC) beziehungsweise 1997 (Diagnose Mammakarzinom) und 2009 an fünf großen US-Krebszentren entweder nach dem einen oder nach dem anderen Regime bestrahlt worden waren. 27,8 Prozent der NSCLC-Patienten (n = 400) und 13,4 Prozent der Patientinnen mit Mammakarzinom (n = 387) hatten nur eine stereotaktische Radiochirurgie zur Behandlung ihrer Hirnmetastasen erhalten. Bis auf wenige Ausnahmen hatten diese Patienten weniger als vier Hirnmetastasen von weniger als vier Zentimetern Durchmesser.
Mit statistischen Mitteln versuchten die Autoren, potenzielle Einflussfaktoren auszugleichen, aufgrund derer Patienten bevorzugt die eine oder die andere Bestrahlung erhalten hatten, etwa Zahl und Größe der Metastasen, Ausbreitung des Tumors, Jahr der Diagnose und behandelnde Klinik. Sie kamen zu dem Schluss, dass Patienten mit weniger als vier Metastasen im Gehirn, die kleiner sind als vier Zentimeter, länger überleben, wenn man primär auf die Ganzhirnbestrahlung verzichtet und stattdessen eine stereotaktische Radiochirurgie anwendet.
„In den letzten Jahren ist die Ganzhirnbestrahlung gegenüber der stereotaktischen Radiochirurgie deutlich in den Hintergrund getreten – zumindest bei Subgruppen von Patienten, insbesondere mit wenigen Läsionen und bei Tumoren, die eher strahlenresistent sind und sich deshalb auch durch Ganzhirnbestrahlung nicht gut kontrollieren lassen“, erklärte der DGN-Experte Michael Weller, Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsspital Zürich. Weller ist auch federführender Autor der Leitlinie „Hirnmetastasen und Meningeosis neoplastica“.
Er betonte aber, da es sich um eine retrospektive Analyse handle, habe die Studie nur begrenzte Aussagekraft. „Die Beobachtung ist grundsätzlich interessant. Aber es bleibt das Problem, dass den Patienten die jeweilige Therapie ja vermutlich aus gewissen Gründen zugeordnet wurde und nicht zufällig. Wenngleich die Autoren sich bemüht haben, prognostische Faktoren zu kontrollieren, können wir aus diesen Daten keine sicheren Rückschlüsse ziehen“, warnte er.
Die wesentlichen Fragen blieben also offen: Ist die Tumorkontrolle bei stereotaktischer Radiochirurgie tatsächlich besser? Oder versterben die Patienten mit Ganzhirnbestrahlung früher, weil diese Bestrahlung ihren kognitiven Zustand so verschlechtert, dass sie weniger Zweit- und Drittlinien-Therapien erhalten, zum Beispiel weniger Chemotherapie? „Um für unsere Patienten wirklich die beste Behandlung auswählen zu können, brauchen wir Daten aus prospektiven randomisierten Studien“, betonte Weller. © hil/aerzteblatt.de

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