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Ausland

Südafrikas Kampf gegen Aids: Etappensieg und etwas Selbstgefälligkeit

Freitag, 8. Juli 2016

/dpa

Kapstadt – In Südafrika ist die HIV-Situation immer noch katastrophal. Geschätzte sieben Millionen Menschen leben dort mit dem Virus. Jeder Fünfte zwischen 15 und 49 Jahren ist nach Angaben der Vereinten Nationen mit dem Aids-Erreger infiziert. Nur in wenigen anderen Ländern sieht es noch schlimmer aus – etwa in Botsuana oder Swasiland. Doch es gibt Hoffnung: Die Zahl der Neuninfektionen ist seit den 1990er-Jahren drastisch ge­sunken. Der Anteil der Menschen, die in Behandlung sind, steigt stetig. Immer weniger Menschen sterben an der Immunschwächekrankheit Aids.

Nach 16 Jahren kommt die Welt-Aids-Konferenz nun wieder nach Südafrika. Wissen­schaftler und Experten tagen vom 18. bis zum 22. Juli in Durban – dieses Mal unter viel besseren Vorzeichen. „Der große Kampf wurde gewonnen“, sagte Wolfgang Preiser von der Stellenbosch Universität in Kapstadt. Der Virologe forscht dort zu HIV und Aids.

Wandel auf Druck von außen
Ein Kampf war es damals wirklich. Die 2000er-Jahre waren vor allem geprägt von der Leugnung der Krankheit. Der damalige Präsident Thabo Mbeki weigerte sich, einen Zu­sammenhang zwischen HIV und Aids anzuerkennen. Südafrikas ehemalige Gesundheits­ministerin Manto Tshabalala-Msimang warb dafür, mit Knoblauch, Kartoffeln und Rote Bete die Widerstandsfähigkeit zu stärken, statt auf Medikamente zu setzen.

Mbekis Regierung stellte lebensnotwendige Medikamente nicht zur Verfügung. Zehntau­sende starben. Kaum einer erhielt antiretrovirale Medikamente, die eine Vermehrung der Viren im Körper und damit das Fortschreiten der Krankheit langfristig verhindern können. Erst Mitte des Jahrzehnts änderte sich die Politik langsam – unter internationalem Druck und durch das Engagement von Aktivisten im Land.

Verschärft wurde die Lage in den 1990er-Jahren durch die Weigerung vieler Männer, Kondome zu benutzen, erklärte Hanspeter Reihling von der Universität Amsterdam, der zum Thema Männlichkeit und Aids forscht. Dahinter standen Vorurteile gegenüber dem Verhütungsmittel.

Schwarze Südafrikaner hätten darin häufig ein von Weißen erfundenes Mittel zur Unter­drückung gesehen, dass ihre Fortpflanzung eindämmen solle. „Das war vor allem ein Dis­kurs nach dem Ende des Apartheidregimes.“ Es sei anfänglich ein Problem gewesen, das zur Ausbreitung der Epidemie beigetragen habe. „Heute spielt das eigentlich keine Rolle mehr.“

Junge Frauen gefährdet
Die schwarze Bevölkerung des Landes ist aktuell viel stärker von Aids betroffen als die weiße. Häufig werden noch immer vor allem schwarze Männer aus Townships im Alltag diskriminiert, fänden schlechter einen Job, erklärt Reihling. Diese Schwäche im Beruf glichen viele im Privaten mit vermeintlicher Stärke aus. „Dazu gehört es auch, nicht so stark auf Gesundheitsfürsorge zu achten und keine Verletzlichkeit zu zeigen.“ Allerdings sei es ein Fehler, beim Thema Aids immer nur auf die schwarze Bevölkerung, speziell Männer, zu schauen. „Das verschärft die Stigmatisierung nur“, sagte der Experte.

Besonders gefährdet sind außerdem junge Frauen in den Armenvierteln: Ihnen fehlt die nötige Bildung sowie die soziale und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Das Problem be­ginnt schon bei Teenagern – oft mit den sogenannten „Sugar Daddies“ – älteren Män­nern, die ungeschützten Geschlechtsverkehr mit jüngeren Frauen suchen. „Lasst unsere jungen Mädchen in Ruhe“, forderte Vizepräsident Cyril Ramaphosa im Juni zum Start einer neuen Kampagne, die Mädchen vor HIV schützen soll.

Aufklärungskampagnen notwendig
Generell setzt man in Südafrika auf Aufklärung. Ein großer Teil des Budgets für Gesund­heit fließt in die Behandlung von Aids und Aufklärungsprogramme. „Hier bräuchte man trotzdem mal eine richtige PR-Kampagne“, kritisierte Preiser. Kondome seien immer noch schwieriger an den Mann zu bringen als teure Smartphones. Mit der Entwicklung in den vergangenen Jahren ist er dennoch zufrieden. „Früher wurden nur die Schwerkranken behandelt“, sagte er. Heute sei man viel weiter – die Behandlung beginne früher, bei infizierten Babys etwa werde sofort eine lebenslange Therapie gestartet. Der Zugang zu Medikamenten sei generell besser.

Ziel der Regierung und des Aidsprogramms UNAIDS der Vereinten Nationen ist es, dass bis zum Jahr 2020 rund 90 Prozent der Infizierten von ihrer Infektion wissen – und 90 Prozent von ihnen eine Therapie erhalten. Es läuft inzwischen fast so gut, dass den Ak­tivisten im Kampf gegen Aids etwas der Schwung fehlt. „Die haben viel erreicht in der Vergangenheit“, sagte Preiser. „Aber gerade ist da so ein bisschen die Luft raus, es fehlt der Gegner.“

16 Jahre nach Südafrikas erster Welt-Aids-Konferenz hat man es sich vielleicht ein bisschen zu bequem gemacht. Das Problem wirkt weniger akut als in den 1990er-Jahren – obwohl die Zahlen immer noch alarmierend sind. Nur knapp die Hälfte aller Betroffenen erhält überhaupt eine antiretrovirale Therapie. Der Anteil hat sich damit zwar in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt. Am Ziel aber ist Südafrika noch lange nicht.

1,1 Millionen Tote 2015
Insgesamt kostet die Immunschwächekrankheit Aids noch immer mehr als eine Million Menschen im Jahr das Leben. Nach Schätzungen der UN-Organisation UNAIDS waren 2015 weltweit 36,7 Millionen Menschen mit dem Aids-Erreger HIV infiziert, die meisten von ihnen leben in afrikanischen Ländern südlich der Sahara. Insgesamt starben 1,1 Millionen Menschen an den Folgen von Aids, 2005 waren es noch zwei Millionen. In Deutschland gibt es nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) rund 83.400 HIV-Infizierte (Stand November 2015), etwa 13.200 von ihnen wissen aber noch nichts davon. Die Sterberaten sind vergleichsweise gering: 2014 gab es etwa 480 HIV-Tote.

Bislang haben sich geschätzte 78 Millionen Menschen mit HIV infiziert, knapp die Hälfte ist an den Folgen von Aids gestorben. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Zahl der Neuansteckungen zwischen 2000 und 2015 um 35 Prozent zurückgegangen. UNAIDS geht weltweit von 2,1 Millionen Neuinfektionen im Jahr 2015 aus. In Deutschland steckten sich laut RKI 2014 schätzungsweise 3.200 Menschen mit HIV an.

© dpa/aerzteblatt.de

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