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Politik

Bundestag berät über Cannabis als Medizin

Montag, 11. Juli 2016

Berlin – Der Bundestag hat Ende letzter Woche den Gesetzentwurf zur Änderung betäubungs­mittel­rechtlicher und anderer Vorschriften in erster Lesung beraten. Der Entwurf sieht vor, dass bestimmte Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen im Einzelfall Cannabis als Therapiealternative nutzen können.

„Wir wollen, dass für Schwerkranke die Kosten für Cannabis als Medizin von ihrer Kran­kenkasse übernommen werden, wenn ihnen nicht anders geholfen werden kann“, sagte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). So könnten Cannabisarzneimittel zum Beispiel in der Schmerztherapie bei bestimmten chronischen Erkrankungen oder im Verlauf einer Krebsbehandlung mit Chemotherapie bei schwerer Appetitlosigkeit und Übel­keit sinnvoll zur Linderung der Beschwerden eingesetzt werden.

„Wem Cannabis wirklich hilft, der soll Cannabis auch bekommen können, in qualitätsge­sicherter Form und mit einer Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen“, erklärte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler (CSU). Sie appellierte an alle Beteiligten, den Gesetzentwurf „Cannabis als Medizin“ sachlich und zielorientiert zu diskutieren und ihn schnell zu verabschieden. „Bei allem ist mir aber eines wichtig: Can­nabis als Medizin ja, Cannabis zum Freizeitkonsum nein. Selbst die besten Arzneimittel sind keine geeigneten Genussmittel“, so die Drogenbeauftragte.

Der Gesetzentwurf sieht im Detail Änderungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vor. Geplant ist, die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln auf Cannabisbasis in der gesetzlichen Krankenversicherung zu erweitern, die bislang grundsätzlich auf zuge­lasse­ne Fertigarzneimittel im jeweils zugelassenen Anwendungsgebiet begrenzt war. Das be­zieht sich vor allem auf Cannabis in Form getrockneter Blüten. Zukünftig soll in Deutsch­land zudem ein staatlich überwachter Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken erfolgen können, um die Versorgung mit Cannabisarzneimitteln in kontrollierter Qualität zu ermöglichen. Die damit verbundenen Aufgaben übernimmt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als staatliche „Cannabisagentur“.

Die Bundesärztekammer (BÄK) und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzte­schaft (AkdÄ) haben grundsätzlich das Vorhaben des Bundesministeriums für Gesund­heit begrüßt, eine erweiterte Verordnungsfähigkeit cannabinoidhaltiger Arzneimittel zu schaffen. Eine Verordnungsfähigkeit von Cannabis in Form von getrockneten Blüten und Extrakten lehnen sie jedoch ab. Nach Auffassung von BÄK und AkdÄ ist die Umstufung von Cannabis als Pflanze oder von Pflanzenteilen weder begründet noch erforderlich.

Für den medizinischen Einsatz von Medizinal-Cannabisblüten fehle es an ausreichender wissenschaftlicher Evidenz, so die Begründung. Es sei zudem zu berücksichtigen, dass der Gebrauch von Medizinalhanf keine genaue Dosierung der medizinisch wirksamen Kom­ponenten von Cannabis erlaubt und dessen Gebrauch als Joint mit den gesund­heit­lichen Gefahren des Tabakrauchens verbunden ist. BÄK und AkdÄ sehen auch nicht die Notwendigkeit, eine „Cannabisagentur“ zur Kontrolle des Anbaus und Handels einzu­rich­ten, da der Nutzen des therapeutischen Einsatzes von Medizinal-Cannabisblüten nicht durch wissenschaftliche Evidenz belegt sei.

Auch der Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland (BVSD) hat im Grundsatz den aktuellen Ge­setzesentwurf „Cannabis als Medizin“ begrüßt. Er löse mit seiner prinzipiellen Möglich­keit zur Verschreibung und vor allem Erstattung von Cannabisblüten und Cannabisex­trak­ten ein lange währendes Versorgungsproblem für Patienten in der Palliativver­sor­gung und mit schwerwiegenden Erkrankungen, heißt es dazu aus dem Verband.

Allerdings kritisierten die Schmerzmediziner, dass die Verschreibungs- und Erstattungs­fähigkeit eine Genehmigung der Krankenkasse für die Erstverordnung voraussetzt. Be­reits heute zeige sich am Beispiel der verschreibungs- und erstattungsfähigen Cannabis­extrakte, dass Krankenkassen mit einer solchen Erstattungsbeantragung sehr unter­schied­lich verfahren. Von einer strikten Ablehnung über eine sehr zögerliche, gelegent­lich erst durch hartnäckiges Nachfragen erteilte Genehmigung bis hin zu sehr raschen positiven Entscheidungs- und Bewilligungsprozessen sei seitens der Krankenkassen jedes Bewilligungs- oder Ablehnungsverhalten zu beobachten. Mit dem nun im Gesetz­entwurf bestätigten Verfahren seien Ärzte und Patienten diesen sehr unterschiedlichen Genehmigungsprozessen weiterhin ausgesetzt. © hil/aerzteblatt.de

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Kommentare

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Avatar #79783
Practicus
am Mittwoch, 13. Juli 2016, 23:33

Geisterdebatte

Natürlich sollte man so ehrlich sein und zugeben, dass der Cannabis-Hype seine Ursache darin hat, um über diese Hintertür einen Einstieg in die Legalisierung zu öffnen.
Aber: Cannabis wurde aus bloßer Willkür verboten - es war Teil des Narcotic Acts, dessen Unterzeichnung die Voraussetzung für die Aufnahme in den Völkerbund bzw später die UN war!
Bundesrichter Thomas Fischer hat das in seiner Zeit-Kolummne gut dargestellt.
Wir brauchen Cannabis nicht unbedingt als Medizin aber wir brauchen eine Entkriminalisierung der Droge Cannabis!
120.000 Tabak-Opfer pro Jahr, 74.000 Alkoholtodesfälle. Totalausfall des Jugendschutzes bei Cannabis durch den Schwarzmarkt an jeder Ecke, zerstörte Lebenswege durch absurde Konsumentenverfolgung(95% aller Verurteilungen wegen Besitz und Kleinhandel) - und die Begründung: 800 "cannabisinduzierte Psychosen" pro Jahr! Und dank des Verbots der relativ harmlosen Ursubstanz massenhafte Verbreitung synthetischer Analoga mit mehrhundertfacher Wirkung und unbekannten enormen Risiken, schon für Kinder im Internet bestellbar...
Lieber ehrlich fordern "gebt das Hanf frei"
Übrigens: In allen Ländern SANK nach der Cannabislberalisierung der Cannabiskonsum Jugendlicher!
Avatar #648552
Nb1date
am Dienstag, 12. Juli 2016, 14:13

Richtig!

"Die bisher erteilten Genehmigungen zum Eigenanbau von Cannabis vernachlässigen wesentliche, lebenspraktische Hürden: Wie soll jemand, der schwer krank, Teilhabe-gemindert, Mobilitäts-, Belastungs- und Schmerz-eingeschränkt ist, die relativ komplizierte und aufwändige Cannabis-Anbau-Logistik bewerkstelligen? Ist er dann gar nicht so schwer krank?"
"Sondern wie bei allen Medikamenten kommt es auf Qualität, Standardisierung, exakte Dosierung und Galenik an. Damit wird ausschließlich auf medizinisch-schmerztherapeutische Effekte fokussiert. Denn es geht nicht um Permissivität oder Förderung von Drogenkarrieren ("legalize it"?), sondern um die Erweiterung palliativ- und schmerzmedizinischer Handlungsoptionen."

Sehr gut auf den Punkt gebracht!
Avatar #106067
dr.med.thomas.g.schaetzler
am Dienstag, 12. Juli 2016, 11:43

Bundestagsdebatte "stoned"?

Wenn der Deutsche Bundestag letzte Woche einen Gesetzentwurf zur Änderung betäubungs­mittel­rechtlicher und anderer Vorschriften in erster Lesung beraten hat, um u. a. bestimmten Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen im Einzelfall mit ärztlich verordnetem Cannabis als Therapiealternative besser helfen zu können, ist das eine illusionäre Verkennung der Tatsachen.

Die bisher erteilten Genehmigungen zum Eigenanbau von Cannabis vernachlässigen wesentliche, lebenspraktische Hürden: Wie soll jemand, der schwer krank, Teilhabe-gemindert, Mobilitäts-, Belastungs- und Schmerz-eingeschränkt ist, die relativ komplizierte und aufwändige Cannabis-Anbau-Logistik bewerkstelligen? Ist er dann gar nicht so schwer krank?

Soll bei der "Verordnung häuslicher Krankenpflege" nach GKV-Vordruckmuster 12a etwa der Pflegedienst diese Aufgabe mit übernehmen? Was ist, wenn der Cannabis-Eigenanbau nur minderwertige Erntequalität bringt, unsachgemäß weiterverarbeitet oder unwirksam wird? Wenn Patienten bettlägerig ihren "Stoff" gar nicht mehr erreichen und ernten können?

Haben die Beteiligte etwa zu viel im "Handbuch für biodynamische Selbstversorger" gelesen? Antibiotika-Pilze werden doch auch nicht zu Hause, im Wintergarten, auf Balkon, Terrasse oder im Gewächshaus in der Petrischale (Nobelpreis A. Fleming für die Penicillinentdeckung) gezüchtet.

Sondern wie bei allen Medikamenten kommt es auf Qualität, Standardisierung, exakte Dosierung und Galenik an. Damit wird ausschließlich auf medizinisch-schmerztherapeutische Effekte fokussiert. Denn es geht nicht um Permissivität oder Förderung von Drogenkarrieren ("legalize it"?), sondern um die Erweiterung palliativ- und schmerzmedizinischer Handlungsoptionen.

In meiner hausärztlichen Praxis habe ich in einigen Einzelfällen mit (teurem) Tetrahydrocannabinol (THC) als Dronabinol (ATC A04AD10) und seinen antiemetischen, appetitstimulierenden, schmerzlindernden, entzündungshemmenden, muskelentspannenden, dämpfenden und psychotropen Eigenschaften als Heil- und Linderungsversuch gearbeitet, wenn mögliche Alternativen unwirksam waren. Doch Vorsicht: Es wirkt zentral sympathomimetisch. Die Wirkung setzt in ca. 60 Minuten ein. Psychotrope Effekte halten 4-6 Stunden, die Appetitstimulation bis zu 24 Stunden an.

Das Betäubungsmittelrezept (BTM) kann mit dem Rezepturarzneimittel folgendermaßen ausgestellt werden:

BTM-Rezeptur für Dronabinoltropfen in Neutralöl 2,5 %:
Dronabinol 0,25 g
Neutralöl ad 10,00 g NRF 11,4 (Oleum neutrale Miglyol 812)

Dosierung einschleichend beginnend mit 2 x 3 Tropfen (2 x 2,5 mg) tgl.

Zur Beachtung: In der GKV n i c h t erstattungsfähig (Regress!). Ausschließlich privat verordnungsfähig. Dosierung gemäß schriftlicher Gebrauchsanweisung.
Die höchstmögliche Verschreibungsmenge beträgt 500 mg Dronabinol pro Monat.
Hersteller von Dronabinol: Bionorica Ethics und THC Pharm.

Wo also liegt das Problem?

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Vgl.: http://news.doccheck.com/de/blog/post/2115-cannabis-mit-medizinischem-biss/
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