Medizin
Brustkrebs: Adaptive Randomisierung beschleunigt Entwicklung neuer Medikamente
Montag, 11. Juli 2016
San Francisco – Zwei neue Wirkstoffe, der Kinase-Inhibitor Neratinib und der PARP-Inhibitor Veliparib, haben in einer neuartigen Phase-2-Studie bei bestimmten Patientinnen mit fortgeschrittenem Mammakarzinom den Tumor vor der Operation beseitigt und damit die Chancen auf eine verlängerte Überlebenszeit erhöht. Durch eine adaptive Randomisierung konnte die Zahl der für die Prüfung notwendigen Patientinnen verringert werden.
In der Krebstherapie werden immer häufiger Wirkstoffe eingesetzt, die nur bei einem Teil der Patienten wirksam sind. Die Behandlung kann dadurch effizienter gestaltet werden, und Patienten ohne Aussicht auf einen Therapieerfolg können vor unnötigen Nebenwirkungen bewahrt werden. Die Suche nach dem geeigneten Mittel für die richtigen Patienten ist jedoch schwierig. Es besteht sogar die Gefahr, dass wirksame Mittel in der klinischen Prüfung scheitern, weil sie an den falschen Patienten getestet wurden.
Das I-SPY-Projekt versucht, dieses Problem zu umgehen, indem es ausführliche genetische Untersuchungen des Tumors durchführt und den Therapieerfolg (oder -misserfolg) frühzeitig bewertet. Diese Ergebnisse beeinflussen dann im weiteren Verlauf der Studie die Therapieentscheidungen der Patienten. Durch die adaptive Randomisierung sollen Wirkstoffe oder Kombinationen, die keine Wirkung zeigen, frühzeitig aussortiert werden, um dann mehr Patientinnen mit aussichtsreicheren Wirkstoffen zu behandeln.
Eine Möglichkeit, die Wirkung frühzeitig abzuschätzen, ist die Verlagerung der Chemotherapie in die Zeit vor der Operation (neoadjuvant). Bei vielen Patientinnen sind dann nach der Chemotherapie im resezierten Tumor keine lebenden Krebszellen mehr nachweisbar. Diese komplette pathologische Remission verlängert erfahrungsgemäß die Überlebenszeiten der Patientinnen. Eine Garantie bietet dieser Surrogat-Endpunkt jedoch nicht, weshalb die Wirkstoffe, die in der I-SPY-2-Studienphase bestanden haben, später in einer konventionellen Phase-3-Studie „graduiert“, sprich überprüft werden müssen.
Das I-SPY-Projekt, das von der Universität von Kalifornien in San Francisco mit Fördergeldern von Unternehmern des Silicon Valley gegründet wurde und mit dem Biomarkers Consortium der Foundation for the National Institutes of Health (FNIH), einer privaten Stiftung, kooperiert, testet derzeit eine Reihe von Wirkstoffen. Die ersten beiden Wirkstoffe, die sich in der I-SPY-2-Studienphase als wirksam erwiesen haben, sind Neratinib von Puma Biotechnology in Los Angeles und Veliparib von AbbVie in North Chicago.
Neratinib ist ein Tyrosinkinase-Inhibitor mit ähnlichem Wirkungsansatz wie Lapatinib. Beide blockieren die Weiterleitung von Signalen der Rezeptoren Erb1 (EGFR) und Erb2 (HER2/neu), die von einigen Tumoren gebildet werden. In der I-SPY-2-Studie erzielte Neratinib vor allem bei Patientinnen mit HER2-positiven und hormonrezeptornegativen Tumoren die beste Wirkung.
Nach den von Laura Esserman vom Carol Franc Buck Breast Care Center in San Francisco im New England Journal of Medicine (2016; 375:11-22) vorgestellten Ergebnissen erzielten Patientinnen mit Brustkrebs im Hoch-Risiko-Stadium II oder III zu 56 Prozent eine komplette pathologische Remission, wenn sie zusätzlich zur Standardtherapie mit Neratinib behandelt wurden. Bei einer alleinigen Standardtherapie (mit Trastuzumab) wurde dieser primäre Endpunkt der Studie nur von 33 Prozent der Patientinnen erreicht. Die Forscher schätzen die Chance, dass die Ergebnisse in einer Phase-3-Studie bestätigt werden, auf 79 Prozent.
Der PARP-Inhibitor Veliparib erzielte, wie Esserman in einer zweiten Publikation im New England Journal of Medicine (2016; 375: 23-34) zeigte, die beste Wirkung beim Triple-negativen Mammakarzinom. Diese Tumore haben eine besonders ungünstige Prognose, da sie keine Rezeptoren für Östrogene, Progesteron und Her2/neu bilden. Die Kombination aus Veliparib plus Carboplatin erreichte bei 51 Prozent der Patientinnen mit Brustkrebs im Hoch-Risiko-Stadium II oder III eine komplette pathologische Remission im Vergleich zu 26 Prozent der Patientinnen unter einer Standardtherapie. Esserman schätzt die Erfolgsrate in einer Phase-3-Studie auf 88 Prozent.
Beide Wirkstoffe werden jetzt in Phase-3-Studien untersucht. Sie werden dabei den Standardtherapien hinzugefügt. Für die betroffenen Patientinnen erhöht sich dadurch die Toxizität, und für viele dürfte die Grenze der Verträglichkeit erreicht sein. Neratinib hat in der aktuellen Studie bei einem Drittel der Patientinnen schwere Durchfälle (Grad 3 oder 4) ausgelöst, sodass die Patientinnen inzwischen prophylaktisch mit Loperamid behandelt werden. Unter der Therapie mit Veliparib plus Carboplatin kam es bei 71 Prozent zu einer schweren Neutropenie und bei 12 Prozent zusätzlich zu Fieber. Bei vielen Patienten musste die Dosis einzelner Medikamente reduziert werden. © rme/aerzteblatt.de

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