Medizin
Die meisten Schlaganfälle weltweit auf unterschiedliche Weise vermeidbar
Montag, 18. Juli 2016
Hamilton – Zehn modifizierbare, also im Prinzip vermeidbare Risikofaktoren sind weltweit für neun von zehn Schlaganfälle verantwortlich. Die Gewichtung der Risikofaktoren fällt nach den Ergebnissen der erweiterten INTERSTROKE-Studie im Lancet (2016; doi: 10.1016/ S0140-6736(16)30506-2) jedoch unterschiedlich aus.
Dass die meisten Schlaganfälle vermeidbar sind, hatte vor sechs Jahren bereits die erste Phase der INTERSTROKE-Studie gezeigt (und die Global Burden of Disease Study kam 2013 zu ähnlichen Ergebnissen). Die INTERSTROKE-Studie basierte damals auf dem Vergleich von 3.000 Schlaganfallpatienten aus 22 Ländern mit einer gleich großen Zahl von Gesunden oder Patienten mit anderen Krankheiten. Für die neue Publikation konnte das Team um Martin O'Donnell und Salim Yusuf vom Population Health Research Institute an der McMaster Universität in Hamilton insgesamt 13.447 Schlaganfallpatienten (davon 10.388 mit ischämischem Schlaganfall und 3.059 mit einer intrazerebralen Blutung) und 13.472 Kontrollen aus 32 Ländern rekrutieren.
Ergebnis: Der mit Abstand wichtigste Risikofaktor ist eine arterielle Hypertonie. Diese Personen haben ein dreifach erhöhtes Risiko auf einen Schlaganfall (Odds Ratio 2,98; 95-Prozent-Konfidenzintervall 2,72-3,28). Da eine arterielle Hypertonie in den meisten Gesellschaften stark verbreitet ist, beträgt das attributable Risiko für die Bevölkerung (PAR) 47,9 Prozent. Mit anderen Worten: Fast die Hälfte aller Schlaganfälle ist die Folge eines über Jahre zu hohen Blutdrucks. Da die arterielle Hypertonie in westlichen Gesellschaften seltener ist (vielleicht auch weil die Patienten häufiger medikamentös behandelt werden), ist die PAR mit 38,8 Prozent niedriger als etwa in Afrika (52,5 Prozent) oder in Südostasien (59,6 Prozent).
An zweiter Stelle steht bereits der Bewegungsmangel. Wer vier Stunden in der Woche Sport treibt oder anderweitig körperlich aktiv ist, kann sein Schlaganfallrisiko um 40 Prozent senken: Die Odds Ratio beträgt 0,60 (0,52-0,70), das PAR 35,8 Prozent. Die globalen Unterschiede sind hier noch deutlicher als bei der arteriellen Hypertonie. In Afrika ist Bewegungsmangel nur für 4,7 Prozent aller Schlaganfälle verantwortlich, in China (wo offenbar wenig Sport betrieben wird) sind es 59,9 Prozent. In Westeuropa und Nordamerika beträgt das PAR 17,7 Prozent.
In den westlichen Ländern sind Übergewicht und Adipositas das größere Problem. Ein Taille-Hüfte-Verhältnis im oberen Drittel ist hier für 36,7 Prozent aller Schlaganfälle verantwortlich, in Ost- und Zentraleuropa beträgt das PAR nur 2,8 Prozent. Das globale PAR ist 18,6 Prozent. Die Odds Ratio beträgt 1,44. Das individuelle Risiko ist demnach weitaus geringer als bei einer arteriellen Hypertonie oder bei Bewegungsmangel. Die große Verbreitung von Übergewicht und Adipositas in der Bevölkerung macht Übergewicht und Adipositas aber zu einem Public-Health-Problem.
Eine ungesunde Ernährung leistet ebenfalls einen wichtigen Beitrag: Menschen im oberen Drittel des modifizierten „Alternative Healthy Eating Index“, einer vom US-Landwirtschaftsministerium entworfenen Bewertung, hatten ein um 40 Prozent vermindertes Schlaganfall-Risiko (Odds Ratio 0,60; 0,53-0,67). In westlichen Ländern ist ungesunde Ernährung für 33,3 Prozent der Schlaganfälle verantwortlich, in Afrika nur für 0,7 Prozent.
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Der wichtigste individuelle Risikofaktor sind kardiale Erkrankungen, sprich Vorhofflimmern oder -flattern: O'Donnell und Yusuf ermitteln eine Odds Ratio von 3,17 (2,68–3,75). Auch hohe Cholesterinwerte (Marker ist hier ein Apolipoprotein, ApoB/ApoA-Quotient) stellen ein Risiko dar (Odds 1,84; 1,65-2,06), ebenso psychosoziale Faktoren (Odds Ratio 2,20; 1,78-2,72) und ein Diabetes mellitus (Odds Ratio 1,16; 1,05-1,30). Die globalen PAR für diese Faktoren betrugen: 9,1 Prozent (kardiale Faktoren), 26,8 Prozent (Cholesterin), 17,4 Prozent (Psychostress) und 3,9 Prozent (Diabetes).
Last, but not least hilft der Verzicht auf das Rauchen (Odds Ratio 1,67; 1,49-1,87, PAR 12,4 Prozent) und einen übermäßigen Alkoholkonsum (Odds Ratio 2,09; 1,64-2,67, PAR 5,8 Prozent) dabei, einen Schlaganfall zu vermeiden.
Wer alle diese Vorgaben (frühzeitig) befolgt, dürfte nach medizinischem Ermessen sein Schlaganfall-Risiko senken, wenn auch vielleicht nicht um 90 Prozent. Die Ergebnisse einer retrospektiven Fall-Kontroll-Studie lassen diese Aussage eigentlich nicht zu. Erforderlich sind prospektive Interventionsstudien. Zumindest für die Behandlung von arterieller Hypertonie, hohen Cholesterinwerten und dem Vorhofflimmern dürfte es eine ausreichende Evidenz aus randomisierten klinischen Studien geben. © rme/aerzteblatt.de

"ZU VIELE LÄNDER VERDERBEN DEN BREI"?
Dass die meisten Schlaganfälle vermeidbar sind, aber konkret doch nicht vermieden werden können, hatte vor sechs Jahren bereits die erste Phase der INTERSTROKE-Studie gezeigt. Die INTERSTROKE-Studie basierte auf dem Vergleich von 3.000 Schlaganfall-Patienten.
Für die neue Publikation konnte das internationale Team von Martin O'Donnell bis Salim Yusuf vom Population Health Research Institute an der McMaster Universität in Hamilton 13.447 Schlaganfallpatienten (davon 10.388 mit ischämischem Schlaganfall und 3.059 mit einer intrazerebralen Blutung) und 13.472 Kontrollen aus 32 Ländern auswerten.
Aber auch in "Global burden of stroke and risk factors in 188 countries, during 1990–2013: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2013" von Valery L Feigin et al. wurden soziodemografisch, kulturell und ökonomisch völlig unterschiedliche Länder und deren Krankheits-, Lebens- und Arbeitsbedingungen in ebenso allgemeine wie einheitliche Intepretations-Muster gezwängt, dass eine differenzierte Einzelanalyse unmöglich war.
• 188 Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer wurden über 14 Jahre evaluiert und deren völlig unterschiedliches Schlaganfall- und Risikofaktoren-Geschehen detektiert ["high-income countries and low-income and middle-income countries, from 1990 to 2013"].
• Deshalb gibt es auch keine Schlussfolgerung 'Conclusion', sondern nur eine (relativ unverbindliche) Auslegung der Daten "Interpretation" bzw. Suggestionen: ["Interpretation - Our results suggest that more than 90% of the stroke burden is attributable to modifiable risk factors, and achieving control of behavioural and metabolic risk factors could avert more than three-quarters of the global stroke burden"]. Und nicht 90% Modifizierung der Risikofaktoren, sondern nur 75% wegen endogener Zwangsläufigkeit des Schlaganfall-Geschehens.
• Luftverschmutzung spielt zweifelsfrei eine große Rolle. Aber eben nicht betrügerische Abgasmanipulationen an VW-Dieselaggregaten in industrialisierten Ländern, sondern offene Feuerstellen in den einfachen Behausungen der Schwellen- und Entwicklungsländer ["Air pollution has emerged as a significant contributor to global stroke burden, especially in low-income and middle-income countries, and therefore reducing exposure to air pollution should be one of the main priorities to reduce stroke burden in these countries"].
• Offene häusliche Feuerstellen lassen sich nicht 'per ordre de mufti' abstellen, sondern werden Jahrzehnte bestehen bleiben, ebenso wie man Bewohner an schmutzigen Hauptverkehrsstraßen der Metropolen und Ballungsgebiete nicht einfach zwangsweise in Villen und Gartenanlagen der Reichen umsiedeln kann.
• "stroke-related disability-adjusted life-years (DALYs) associated with potentially modifiable environmental, occupational, behavioural, physiological, and metabolic risk factors in different age and sex groups worldwide" negiert völlig Alterungs-, Degenerations- und Hirnabbau-Prozesse bzw. Verlust an Elastizität cerebraler Blutgefäße. Diese lassen sich gerade nicht modifizieren.
• Das "stroke-related disability-adjusted life-years (DALYs)" verkommt zur Beliebigkeit, wenn 17 direkt benennbare Risikofaktoren mit 6 Risiko-Häufungen ('cluster') und 3 verschiedenen Inputs bzw. hohem BMI, systolischem Bluthochdruck und hohem Gesamtcholesterin kombiniert werden sollen ["17 risk factors (air pollution and environmental, dietary, physical activity, tobacco smoke, and physiological) and six clusters of risk factors by use of three inputs: risk factor exposure, relative risks, and the theoretical minimum risk exposure level...high body-mass index (BMI), through other risks, such as high systolic blood pressure (SBP) and high total cholesterol"].
Diese LANCET-Publikation http://www.thelancet.com/journals/laneur/article/PIIS1474-4422%2816%2930073-4/fulltext
scheitert mit ihrem völlig übersteigerten Anspruch, beim Schlaganfall alles mit allem global erklären und gleichzeitig modifizieren zu wollen, ohne auf die einzelnen Bedingungen in 188 verschiedenen Ländern dieser Welt näher eingehen zu wollen. Das ist u. a. rausgeworfenes Geld der Bill und Melinda Gates Stiftung ["Funding - Bill & Melinda Gates Foundation, American Heart Association, US National Heart, Lung, and Blood Institute..."].
Der "Global and regional effects of potentially modifiable risk factors associated with acute stroke in 32 countries (INTERSTROKE): a case-control study" geht es da kaum anders.
Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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