Medizin
Flüchtlinge: Screening auf HIV und Syphilis nicht gerechtfertigt
Montag, 18. Juli 2016
Stuttgart/München – Sexuell übertragbare Erkrankungen wie Syphilis oder HIV treten bei Flüchtlingen genauso häufig auf wie in der deutschen Bevölkerung. Ärzte diagnostizieren laut Berichten in der DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift (DOI: 10.1055/s-0041-110629) jedoch vereinzelt Erkrankungen, die hierzulande in Vergessenheit geraten sind – zum Beispiel das Läuserückfallfieber.
Alle Flüchtlinge, die in den letzten Jahren nach Deutschland gereist sind, werden medizinisch untersucht. Ein Standardverfahren gibt es bislang nicht. Zur Aufnahmeuntersuchung gehört jedoch eine Röntgenuntersuchung der Lunge, um eine Tuberkulose zu erkennen, sowie Bluttests auf häufige Infektionen. In Norddeutschland wurde den Flüchtlingen im August 2015 auch ein Test auf Syphilis und HIV angeboten.
Wie die Autorin Alexandra Jablonka von der Medizinischen Hochschule Hannover mitteilt, waren nur ein Mann mit dem Erreger der Syphilis und zwei Frauen mit HIV infiziert. Die beiden sexuell übertragbaren Erkrankungen sind damit unter Flüchtlingen nicht häufiger verbreitet als unter der einheimischen Bevölkerung. Jablonka hält deshalb ein generelles Screening aller Flüchtlinge auf HIV und Syphilis für nicht gerechtfertigt.
Erhöhtes Risiko für Läuserückfallfieber bei Flüchtlingen vom Horn von Afrika
In einer weiteren Publikation berichten Andreas Wieser und Michael Seilmaier von der LMU Ludwig-Maximilians-Universität in München über das sogenannte Rückfallfieber. Dabei unterscheidet man zwischen dem Zecken- und dem Läuserückfallfieber. Das Zeckenrückfallfieber tritt vor allem bei Touristen auf. Das Läuserückfallfieber war im 1. und 2. Weltkrieg häufig verbreitet. Weltweit erkrankten damals mehrere Millionen Menschen, von denen viele starben. Es wird durch Bakterien der Gattung Borrelia hervorgerufen. In Deutschland kommt die Erkrankung heute nur noch selten vor. Aktuell tritt es in den gebirgigen Gebieten Ostafrikas und eventuell im Sudan auf.
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Aus diesen Ländern kamen mehrere Flüchtlinge, die am Krankenhaus Schwabing in München wegen eines Rückfallfiebers behandelt wurden. Einige Patienten mussten sogar auf der Intensivstation behandelt werden. Ein Patient konnte trotz Einsatz massiver intensivmedizinischer Therapie nicht gerettet werden und starb.
Die Flüchtlinge hatten die Bakterien durch Körperläuse erworben, weshalb die Erkrankung auch als Läuserückfallfieber bezeichnet wird. Insgesamt wurden in Bayern von Juli bis Dezember 2015 letzten Jahres 42 Fälle diagnostiziert. Die Patienten stammten allesamt ursprünglich vom Horn von Afrika und waren nach teilweise längeren Aufenthalten in Libyen über das Mittelmeer und Italien nach Deutschland gelangt. Da Mediziner unter dem Mikroskop lediglich Spirochäten nachweisen können, nicht aber die Spezies, empfehlen dei Autoren, sich bei Verdacht auf Rückfallfieber-Borreliose an eine lokale tropenmedizinische Einrichtung zu wenden.
Symptome bei Läuserückfallfieber
- Fieber und Schüttelfrost
- ausgeprägte Kopf- und Gliederschmerzen
- teilweise trockener Husten
- häufig leicht- bis mäßige Jarisch-Herxheimer-Reaktion am ersten Therapie-Tag mit Antibiotika
- Nachweis über Spirochäten im gefärbten Blutausstrich, eine Speziesidentifikation ist nicht möglich.
Therapie
- Tetrazykline und bei Kindern Penicilline
- schlecht oder gar nicht wirksam: Rifampicin, Sulfonamide, Fluorchinolone, Aminoglycoside und Metronidazol
- Bei Jarisch-Herxheimer-Reaktion: Volumengabe und gegebenfalls zusätzliche kurzzeitige Katecholamintherapie
- Viele Patienten sind in der ersten Woche intubationspflichtig.
- unter stationärer Überwachung
Die Infektion erfolgt durch das Zerquetschen der Läuse beim Kratzen. Die freigesetzten Bakterien gelangen über die zerkratzte Haut ins Blut, wo sie sich rasch vermehren. Der erste Fieberschub tritt nach vier bis acht Tagen auf. Da die meisten Flüchtlinge auf ihrem Weg bis nach Deutschland länger unterwegs sind, hält es Wieser für ausgeschlossen, dass sie sich in ihrer Heimat infizierten. Wahrscheinlicher sei eine Infektion in Libyen, wo viele Flüchtlinge vor der Überfahrt über das Mittelmeer auf engem Raum zusammenleben.
Dekontamination wichtig
Um eine Ausbreitung in Deutschland zu verhindern, sollten alle Flüchtlinge mit Herkunft Horn von Afrika nach der Ankunft sofort ihre Kleidung wechseln und bei mindestens 60 Grad waschen, rät der Autor. Gegenstände, die mit Läusen in Kontakt gekommen sind, sollten in Plastiktüten versiegelt oder eingeschweißt werden. Um Läuse und deren Eier unschädlich zu machen, sollte diese Dekontamination bei nicht textilen Gegenständen drei Tage und für textile Gegenstände 14 Tage andauern. Alternativ können die kontaminierten Gegenstände auch für mindestens drei Tage eingefroren werden. © gie/aerzteblatt.de

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