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Politik

AOK-Institut kritisiert Ärzteverteilung in Deutschland

Dienstag, 19. Juli 2016

/dpa

Berlin – Die Verteilung der Ärzte in Deutschland kritisiert hat das Wissenschaftliche Ins­titut der AOK (WIdO). Dem sogenannten Ärzteatlas 2016 zufolge steht Deutschland bei der Arztdichte mit 4,1 praktizierenden Ärzten je 1.000 Einwohner international auf einem der Spitzenplätze. „Die Versorgungslage ist durch eine steigende Arztdichte, aber auch durch erhebliche Verteilungsprobleme gekennzeichnet. Die Überversorgung in einigen Regionen bindet Ressourcen, die anderswo fehlen“, sagte Helmut Schröder, stellver­tre­tender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) anlässlich der Veröffentlichung des Atlas.

Bezogen auf die Ebene der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) gebe es nirgendwo eine Unterdeckung, so Schröder. Insgesamt seien zum Beispiel 44 Prozent aller Pla­nungs­bereiche bei Hausärzten rechnerisch überversorgt. Es gebe also insgesamt mehr Hausärzte, als im Rahmen der Bedarfsplanung nötig wären. „Allerdings zeigen sich zum Teil enorme regionale Unterschiede: Einer Unterversorgung oder drohenden Unterver­sorgung in einigen Landstrichen steht eine deutliche Überversorgung insbesondere in Ballungsgebieten und für Ärzte in attraktiven Regionen gegenüber“, so Schröder.

Deutliche Kritik an der WIdO-Analyse übte die Kassen­ärztliche Bundesvereinigung (KBV). Der Ärzteatlas be­rücksichtige wichtige Trends in der Versorgung nicht, zum Beispiel die Tendenz zur Teilzeit und die steigende Zahl angestellter Ärzte in der ambulanten Versorgung. Die WIdO-Zahlen lieferten daher ein falsches Bild, weil die Zahl der tatsächlich geleisteten Arztstunden sehr viel weniger gestiegen sei, als es die Ärzte- und Psycho­therapeutenzahlen auf den ersten Blick nahelegten, hieß es aus der KBV.

Aus der aktuellen Ärztestatistik der KBV geht hervor: Insgesamt nahmen im Jahr 2015 167.316 Ärzte und Psychotherapeuten an der vertragsärztlichen Ver­sor­gung teil. Davon waren 144.769 Ärzte und 22.547 psy­chologische Psychotherapeuten. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Gesamtzahl um 2.369 erhöht (1,4 Prozent). Wegen des anhaltenden Trends zu Anstellung und Teilzeit ist die Zahl der Arztstunden jedoch lediglich um 0,2 Prozent gestiegen.

„Ein weiteres Problem ist der Mangel an grundversorgenden Ärzten“, erläuterte KBV-Spre­cher Roland Stahl gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Die steigende Zahl der Ärzte und Psychotherapeuten gehe überwiegend auf das Konto hochspezialisierter Fachärzte und von Psychotherapeuten. „Grundversorgende Ärzte – allen voran Haus­ärzte – sind jedoch rar“, so Stahl.

Die Ärztestatistik der KBV zeigt: Der Rückgang der Hausärzte setzte sich 2015 mit minus 0,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr fort. Ihre Zahl sinkt damit auf 51.765. Das sind 1.170 Hausärzte weniger als noch 2009. Besonders stark war der Rückgang im Saarland (minus 1,9 Prozent verglichen mit 2014) und in Schleswig-Holstein (minus 1,7 Prozent).

Auch in einigen anderen Arztgruppen hat sich die Zahl der Mediziner verringert, etwa bei den Frauenärzten (minus 0,1 Prozent), Kinder- und Jugendärzten (minus 0,2 Prozent) und Nervenärzten (minus 0,8 Prozent).

Der Geschäftsführer des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Dominik von Stillfried, erklärte im Hinblick auf die Ergebnisse des AOK-Instituts, Niedergelassene seien in Deutsch­land bei allen regionalen Unter­schieden gleichmäßig verteilt. In anderen Bereichen der Daseinsvorsorge bestünden „wesentlich größere Ungleichgewichte, insbe­sondere bei kommunalen Investitionen“.

Von Stillfried betonte zudem, dass Rufe nach einem Abbau eines angeblichen Arztüber­schusses ein völlig falsches Signal setzen. „Gemäß einer Analyse des Versorgungsatlas steigt der Versor­gungsbedarf aufgrund der demographischen Entwicklung gerade in den Ballungszentren in den nächsten fünf bis zehn Jahren an“, betonte er. Außerdem habe sich gezeigt, dass ein engmaschiges Netz an praktizierenden Ärzten die Versorgungs­qualität erhöhe und die Kosten im Gesundheitssystem signifikant senke.

Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, hielt dem AOK-Verband entgegen: „Hausärzte in Ballungsgebieten versorgen häufig auch Patien­ten aus den umliegenden ländlichen Regionen mit.“ © hil/EB/dpa/aerzteblatt.de

Kommentare

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Avatar #106067
dr.med.thomas.g.schaetzler
am Mittwoch, 20. Juli 2016, 22:26

AOK-WIdO ein Betriebs-Kindergarten?

Würde sich der WIdO-Versorgungsatlas auf AOK-Betriebs-Kindergärten beziehen, müsste nach einfachen personal- und betriebs-wirtschaftlichen Regeln, die auch für das Wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen (WIdO) nachvollziehbar wären, wegen Urlaub, Krankheit, Aus-/Fort-/Weiterbildung und tariflichen Arbeitsbefreiungen mit einer Ü b e r z a h l von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gearbeitet werden: Um einen 100-prozentigen Versorgungsgrad der anvertrauten Kinder zu erreichen.

Die niedergelassenen haus- und fachärztlich tätigen Ärztinnen und Ärzte leisten dagegen an 365 Tage im Jahr einen 24-Stunden-Dienst nach dem gesetzlichen Sicherstellungsauftrag in der ambulanten ärztlichen Versorgung.

Der Ärzteatlas des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) berücksichtigt in keinster Weise zusätzliche Nacht- und Bereitschafts-Dienste, Urlaub, Aus-/Fort-/Weiterbildung, Krankheit, REHA, Umzug, Heirat, Geburten, Mutterschutz, Erziehungsurlaub, bzw. Termine wie Beerdigungen, EDV-Systemschulungen, KV, Ärztekammer, Steuerberater, Finanzamt, Anwalt, Bank, Autowerkstatt.

Stattdessen berücksichtigt er eine tendenziöse OECD-Vergleichs-Studie mit untauglichen Bundesärztekammer-Daten, die alle noch lebensfähigen Ärztinnen und Ärzte aufaddiert, welche Patienten ihre Hilfe, egal in welchem Umfang und mit welcher Qualifikation auch immer, offerieren [OECD Health Statistics 2015, WIdO].

Für das laufende Jahr werden je nach Bundesland 253 Arbeitstage bei einer 5-Tage-Woche berechnet (http://www.schnelle-online.info/Arbeitstage/Anzahl-Arbeitstage-2015.html). Zieht man davon 30 Arbeitstage für einen tarifnahen Erholungsurlaub überwiegend überalterter Haus- und Fachärzte ab; dazu 10 Tage für Pflicht-Fortbildungen; weitere 10 Tage anteilig für Krankheit, Kinder kriegen, Mutterschutz und REHA, kommt man auf nur noch 203 Arbeitstage pro Jahr.

Berücksichtigt man 10 Tage für zusätzliche Not- und Bereitschaftsdienste bzw. Sondereinsätze pro Jahr mit nachfolgendem Freizeizausgleich und die Tatsache, dass nicht alle Vertragsarztpraxen und ärztlichen MVZ-Mitarbeiter mit 100 Prozent GKV-Einsatz in Vollzeit tätig sind, können erst ab einem Versorgungsgrad von 150 Prozent die notwendigen und planbaren 100 Prozent Versorgungsleistungen und der Sicherstellungsauftrag erbracht und erfüllt werden: Alles andere führt zu einer Unterversorgung.

Mit der geradezu kindischen Milchmädchenrechnung des "Ärzteatlas des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO)" könnte nicht einmal die Personal-Planung und -Entwicklung einer Kindertagesstätte bewältigt werden, geschweige denn die Personalabteilung beim WIdO selbst kalkulieren.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund
Avatar #560064
nocure
am Mittwoch, 20. Juli 2016, 13:01

Selbst Schuld-AOK

Ein ehemaliger Spitzenfunktionär, Herr Knieps, bei der AOK, später Berater bei der ehemaligen BMG Schmidt hat auf einer Veranstaltung 2008 in Potsdam und Berlin, in dessen Rahmen eines dere ersten größeren MVZ vorgestellt wurde sinngemäß zu der Frage "Er wisse ja wohl schon, wenn man zentriere, dieses i. Sinne des Wortes eine Ausdünnung in der Fläche bedeuten würde, ob das im Sinne des BMG sei?", Er sagte, ja dass sei schließlich gewollt. Auf die Nachfrage, dass eine Region, wie z.B. der mittlere Odenwald damit nur noch eine Versorgung am Rande (Bergstraße) oder in großen Städten hätte, ob das damit bewusst eingeplant würde, wurde mit JA! geantwortet.
Also Ihr Heuchler und Lügner - Ihr wollt dieses System, so wie es langsam aber sicher in Fahrt kommt. Alles zentriert, nicht wohnortnah, jedenfalls nicht zu den jetzigen Bedingungen.
Pfui Spinne, sich dann so klagend zu äußern, wenn ein ehemaliger Chefstrage der AOK daran nicht ganz unschuldig ist und die Entwicklung angestossen hat.
Avatar #109757
Loewenherz
am Mittwoch, 20. Juli 2016, 09:52

recht so (Über/Unterversorgung)

Über/Unterversorgung geht Hand in Hand mit dem Trend der Gesellschaft zur Urbanisierung (bzw. Suburbisierung) und ist vor allem ein Problem der Strukturschwachen Gegenden, die in kommenden Jahren auch weiter an Bewohnern verlieren werden. Die Frage "und wo soll mein Partner dann arbeiten" stellt sich in diesen Regionen häufig.
Nebenher muss ich ehrlich gestehen: Es geht mir langsam wirklich - von allen Seiten her - auf den Zeiger, dass sowohl Versicherer und KVen als auch niedergelassene Hausärzte seit Jahren in den Pot der Attraktivität und des Ansehens der Allgemeinmediziner spucken, und weiter jammern es gäbe langsam zu wenige. Auch hier gilt das, manchen wohl intellektuell grob überfordernde, Prinzip von Ursache und Wirkung.
Avatar #697854
Dr.Bayerl
am Mittwoch, 20. Juli 2016, 08:55

Staphylococcus rex, Sie haben recht

Das reale Beispiel der Staatsmedizin war die DDR
und die große Überraschung bei der Wiedervereinigung auch (nicht nur) für westdeutsche AOK´s war, dass es dort nicht zu wenig, sondern "zu viel" Personal gab.
So viel wollten die dann doch nicht bezahlen.
Avatar #691359
Staphylococcus rex
am Dienstag, 19. Juli 2016, 22:49

Warum keine staatlichen Arztpraxen?

Wenn die Krankenkassen so sehr über den Mangel an Hausärzten in unterversorgten Regionen jammern, stellt sich automatisch die Frage, warum werden dann dort nicht einfach Allgemeinarztpraxen unter kommunaler Trägerschaft eröffnet?

Aus meiner Sicht ist die Antwort einfach. Für die gleiche Versorgungsleistung sind staatliche Arztpraxen einfach teurer. Der selbstständige niedergelassene Arzt befindet sich vom Augenblick der Niederlassung in einer Reihe von Abhängigkeiten: Der Praxiskredit macht ihn für viele Jahre abhängig von der GKV, weder kann er streiken noch kann er einfach wegziehen. Auch hat er die volle Personalverantwortung und alle Vorhaltekosten, er muss also für alle seine Entscheidungen als Unternehmer geradestehen. Die einzige freie Wahl (und auch die soll offensichtlich beschnitten werden) ist die Wahl des Ortes der Niederlassung. Danach ist der Niedergelassene Arzt auf Jahrzehnte allen Grausamkeiten seitens der GKV und des Gesetzgebers hilflos ausgeliefert, wenn man bösartig wäre, könnte man dies als besondere Form der Leibeigenschaft bezeichnen.

Der Deal für den Kassenarzt sah über viele Jahrzehnte so aus: ein sicheres Einkommen im Tausch gegen die Entscheidungsfreiheit. Über viele Jahre war der Kassenarztsitz ein goldener Käfig, nur ist dieser Käfig mittlerweile rostig geworden, und wenn sich jemand für diesen Käfig auf Jahrzehnte verschuldet, dann sucht er sich ein Exemplar mit möglichst wenig Rost.

Was passiert nun, wenn der Allgemeinmediziner nicht Inhaber der Praxis ist, sondern nur angestellt? Erstens wird er ein angemessenes Facharztgehalt einfordern und bekommen. Zweitens hat er feste Arbeitszeiten. In privater Niederlassung sind unbezahlte Überstunden Privatsache, ein angestellter Arzt wird sich dies nur begrenzt gefallen lassen. Und sollte jemand auf die Idee kommen, ihm das Gehalt zu kürzen oder mit zusätzlicher Bürokratie zu drangsalieren, dann kann er kündigen und sich eine neue Arbeit suchen, schliesslich ist er nicht an die Scholle gebunden. Das finanzielle Risiko für Personal und Vorhaltekosten hat dann der Träger, z.B. die Kommune.

Das wir bisher kein staatliches Gesundheitssystem in Deutschland haben liegt also daran, dass ein staatliches System entweder weniger Leistung für das gleiche Geld bringt oder bei gleicher Leistung mehr Kosten produzieren wird. Deshalb werden Kassen, KV und Kommunen auch zukünftig lieber jammern als selbst die Verantwortung zu übernehmen.
Avatar #79783
Practicus
am Dienstag, 19. Juli 2016, 21:24

Die AOKen

sollten nicht jammern - haben sie doch die finanzielle Austrocknung der Hausärzte durch poltische Interventionen maßgeblich zu verantworten. Die Facharztschwemme gäbe es nicht, hätte nicht die AOK ihren Versicherten immer den unmittelbaren Zugang zum Facharzt als "soziale Emanzipation" der armen Pflichtversicherten mit den privilegierten Privatpatienten verkauft...
So fehlen überall die Hausärzte, und die Fachärzte produzieren unter der Last der unselektiert einströmenden Patienten immense Kosten.
Liebe AOKen - wer bestellt, soll gefälligst auch bezahlen und nicht herumjammern, man hätte sich die bestellte Runde Schampus für alle nicht so teuer vorgestellt...
LNS
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