Politik
Kein Konsens für europaweit einheitliche Bewertung neuer Arzneimittel
Mittwoch, 20. Juli 2016
Berlin – Innerhalb der Europäischen Union (EU) gibt es Bemühungen der Health Technology Assessment (HTA)-Organisationen, bei der Bewertung neuer Arzneimittel enger zusammenzuarbeiten. Das erklärte der Leiter der Abteilung Arzneimittel im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), Thomas Müller, in der vergangenen Woche auf dem Spreestadt-Forum in Berlin.
Müller berichtete, dass die nationalen HTA-Organisationen im Rahmen der sogenannten Joint-Action-Programme der EU bereits seit einigen Jahren zusammenarbeiten. Zunächst seien dabei vor allem Informationen darüber ausgetauscht worden, wie in den einzelnen Ländern neue Arzneimittel bewertet werden. Ein solches Health Technology Assessment nimmt in Deutschland der G-BA vor. Im Unterschied zu den Zulassungsbehörden untersucht er dabei nicht den Nutzen eines neuen Medikamentes, sondern seinen Zusatznutzen gegenüber der Standardtherapie.
Vorbild für eine Vereinheitlichung der Bewertungen sei die europaweit einheitliche Zulassung neuer Arzneimittel durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA), sagte Müller. Deren Akzeptanz in Europa sei mittlerweile sehr groß. Es sei nun vorstellbar, dass analog dazu aus den nationalen Organisationen eine EU-HTA-Organisation gemacht werde. Nach Darstellung von Müller gibt es dabei drei Bereiche, in denen eine solche Institution tätig werden könnte: Bei der Generierung von Informationen, bei der Bewertung der neuen Medikamente und bei der Findung eines einheitlichen Preises.
HTA-Organisationen wollen mehr Einfluss auf das Design klinischer Studien
„Bislang haben vor allem die Zulassungsbehörden einen wesentlichen Einfluss auf den Inhalt klinischer Studien“, sagte Müller. „Auch die HTA-Organisationen wollen aber einen Einfluss darauf bekommen, welche Evidenz mithilfe der Studien gewonnen wird. Denn wir wollen in den klinischen Studien die Daten sehen, die wir brauchen, um eine Bewertung vornehmen zu können.“ Dies sei ein gemeinsames Interesse aller nationalen HTA-Organisationen.
Wenn die EU einheitliche Vorgaben für klinische Studien machen würde, wäre die Größe Europas für die Unternehmen ein Argument, auf diese Bedingungen einzugehen. Demgegenüber würde kein Unternehmen eine klinische Studie zu Vorgaben machen, die nur eine einzelne Nation innerhalb der EU gestellt habe. Um europaweite Vorgaben zu konsentieren, würden dabei die HTA-Organisationen eng mit der EMA zusammenarbeiten.
Für eine europaweit einheitliche Bewertung neuer Arzneimittel gebe es hingegen keinen Konsens, räumte Müller ein. „Vor allem die kleinen EU-Länder erhoffen sich von einer Zusammenarbeit der HTA-Organisationen Daten, die sie selbst nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand generieren könnten. Dagegen steht die Phalanx der Länder, die bereits eigene HTA-Institutionen aufgebaut haben, wie Großbritannien, Frankreich oder Deutschland, und die nun fürchten, dass sie im Zuge einer Zentralisierung Kompetenzen und Verantwortlichkeiten verlieren werden.“ Dieser Konflikt sei noch nicht gelöst.
Keine einheitliche Bewertung
Zudem seien die Marktbedingungen in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. In Deutschland gebe es zum Beispiel einen sehr schnellen und freien Zugang neuer Arzneimittel in den Markt. In vielen anderen Ländern sei das nicht so. Auch werde in England zum Beispiel ganz anders über Rationierung diskutiert als in Deutschland.
„Die HTA-Organisationen haben primär die Aufgabe, die wirtschaftliche Versorgung im System sicherzustellen“, sagte Müller. Da gebe es aber unterschiedliche Ansätze. In Großbritannien werde die Wirtschaftlichkeit extrem in den Vordergrund gestellt. Der G-BA sei da etwas verhaltener. Insofern werde es voraussichtlich keine EU-weite verbindliche Bewertung neuer Arzneimittel geben. Wahrscheinlicher sei es, dass Bewertungen einzelner HTA-Organisationen, wie des G-BA, auf Englisch übersetzt und damit anderen Nationen zugänglich gemacht werden könnten.
Gesprochen werde auch über eine einheitliche Preisbildung innerhalb der EU. Denn heute gebe es extreme Unterschiede zwischen den echten Arzneimittelpreisen in den unterschiedlichen Ländern, also den Preisen, die nach Abzug aller Abgaben tatsächlich gezahlt würden. Das führe derzeit zum Beispiel dazu, dass Länder wie Griechenland zu Exporteuren von Arzneimitteln würden, weil es über das Preisgefälle attraktiv für die dortigen Krankenhäuser sei, die Medikamente wieder zu verkaufen. © fos/aerzteblatt.de

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