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Politik

Psychiatrische Versorgung: Länder wollen Prävention ausbauen

Dienstag, 26. Juli 2016

Sonnenblumen liegen unweit des Tatorts in Ansbach. /dpa

München – Nach der Axt-Attacke von Würzburg, dem Amoklauf von München und dem Bombenanschlag von Ansbach will Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) die psychiatrische Versorgung für Menschen in Krisensituationen verbessern. Deshalb strebe sie „einen schnellstmöglichen flächendeckenden Ausbau der Krisendienste für Menschen in psychischer Not“ an, sagte Huml heute in München. Diese könnten auch Anlaufstelle für Angehörige sein, „die nicht mehr weiter wissen“.

„In den meisten Fällen gibt es im Vorfeld Hilferufe von den Tätern an ihr Umfeld“, so die Ministerin. Wichtig sei ihr, dass die Menschen – die Angehörigen, Freunde, Lehrer – hinschauen und Hilfe suchten. Die Krisendienste böten professionelle Krisenintervention. Die Ministerin zeigte sich bestürzt über die Vorfälle der vergangenen Tage mit mehreren Toten und zahlreichen Verletzten: „In meinen Gedanken bin ich bei den Menschen in München und Ansbach.“

Neben Bayern will auch Rheinland-Pfalz eine Ausweitung der psychischen Betreuung von Schülern und jungen Flüchtlingen prüfen. „Was tun wir für Menschen, die psychische Erkrankungen haben, sind wir gut genug in der Prävention, an unseren Schulen?“, fragte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in Mainz. Das Kabinett werde sich bis in zwei Wochen einen Überblick darüber verschaffen, was noch notwendig sei, kündigte sie an. Dabei werde auch geprüft, ob es teils zu lange dauere, bis junge Menschen einen Therapieplatz erhielten.

Unterschiedliche Taten
Bei dem Sprengstoffanschlag von Ansbach gehen die Ermittler inzwischen von einer isla­mistisch motivierten Tat aus. Die Polizei stieß gestern bei der Auswertung eines Mobil­te­le­­­fons des bei der Explosion getöteten Selbstmordattentäters, des 27-jährigen syrischen Flüchtlings Mohammad D., auf ein Video, in dem dieser einen Terroranschlag „im Namen Allahs“ androhte und sich zur Dschihadis­ten­­­­miliz Islamischer Staat (IS) bekannte. Die Bun­desanwaltschaft übernahm die Ermittlun­gen und sucht nun nach möglichen Kompli­zen.

Laut Bundesanwaltschaft zündete Mohammad D. am Sonntagabend gegen 22.10 Uhr in der Nähe eines Open-Air-Musikfestivals einen Sprengsatz, den er in seinem Ruck­sack mitführte. Bei dem Anschlag wurden nach jüngsten Polizeiangaben 15 Menschen ver­letzt, davon einige schwer. Der Mann hatte zuvor offenbar versucht, auf das Festival­ge­lände zu gelangen, auf dem sich in der mittelfränkischen Stadt etwa 2.500 Besucher versammelt hatten. Er wurde aber abgewiesen, weil er keine Eintrittskarte hatte.

Die IS-nahe Agentur Amaq bezeichnete den Ansbacher Täter in einer auch auf Deutsch veröffentlichten Meldung im Internet als „Soldaten“ der Miliz und sprach von einer „Märty­rer­operation“. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte bei einer Pressekonferenz in Nürnberg, für ihn sei „unzweifelhaft“ erwiesen, dass es sich „um ei­nen Anschlag, um einen Terroranschlag mit entsprechend islamistischem Hintergrund“ handele. Es ist der erste Selbstmordanschlag auf deutschem Boden.

Mohammad D. war vor zwei Jahren als Flüchtling aus Syrien nach Deutschland einge­reist. Sein Asylantrag war nach Behördenangaben vor einem Jahr abgelehnt worden, seither lebte er als geduldeter Flüchtling in Ansbach. Dem Bundesinnenministerium zu­folge sollte der Verdächtige nach Bulgarien abgeschoben werden. Seit wann die Ab­schie­­bung anstand und warum sie nicht vollzogen wurde, war unklar. Außerdem galt er als psychisch instabil, aktenkundig sind zwei Selbstmordversuche. Wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft gestern mitteilte, stand er „unter Betreuung“. In Akten aus einem „Un­terbringungsverfahren“ sei von „depressiven Episoden“ die Rede.

Amoklauf in München
Der Todesschütze von München, der 18-jährige Deutschiraner David S., der am Frei­tag neun Menschen und dann sich selbst erschoss, soll nach bisherigen Erkenntnissen eben­falls in psychiatrischer Behandlung gewesen sein. Zwei Monate lang war er statio­när untergebracht. S. beschäftigte sich seit mindestens einem Jahr mit dem Thema Amok­läufe und bereitete seine Tat vor. Dass viele seiner Opfer ausländischer Herkunft waren, ist nach Einschätzung der Ermittler Zufall.

Bereits am 18. Juli hatte ein 17-jähriger Flüchtling mit einer Axt und einem Messer Rei­sende in einem Regionalzug bei Würzburg angegriffen und verletzte fünf Menschen schwer. Er hatte vermutlich islamistische Motive. Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) bean­sprucht den Angriff für sich. Polizisten erschossen den Jugendlichen. Unsicher­heit be­stand nach der Tat über seine Herkunft, er soll entweder aus Afghanistan oder Pakistan stammen.

Landesärztekammer warnt vor Stigmatisierung
Mutmaßliche Depressionen von Tätern sollten nach Ansicht der Landesärztekammer Hessen nicht als Auslöser von Amokläufen dargestellt werden. Mit Blick auch auf den Anschlag in München warnte Präsident Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach davor, Menschen mit Depressionen zu stigmatisieren. Es gebe keine Hinweise dafür, dass de­pressive Menschen häufiger Gewalttaten begingen als andere Menschen. „Die Stigmati­sierung depressiv Erkrankter ist daher nicht nur falsch, sie ist auch gefährlich für die Be­troffenen“, teilte er gestern mit. „Es muss alles dafür getan werden, dass sich Menschen mit Depressionen nicht zurückziehen.“

Ähnlich äußerte sich Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche De­pressi­onshilfe und Leiter der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig. Er sieht die Gefahr, dass sich die Bluttaten der vergangenen Tage zu einer Stigmatisierung depressiver Menschen führen und sich infolge wieder mehr Be­troffene das Leben nehmen. Menschen mit Depressionen hätten kein erhöhtes Risiko, dass sie andere angreifen, so Hegerl. „Eher das Gegenteil ist der Fall.“

Der Facharzt für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie begründete, diese Men­schen neigten zu Schuldgefühlen und kämen daher „überhaupt nicht auf den Gedanken, Unbeteiligte zu erschießen“. „Schuldgefühle sind sogar ein Diagnosemerkmal der De­pression“, sagte er. Hergerl wies darauf hin, dass es für Betroffene ein Problem sei, wenn zwischen Depressionen und Gewalt eine Verbindung hergestellt wird. Dann hätten diese Menschen Angst, dass sie als gefährlich angesehen werden. „Die Hürde, zum Arzt zu gehen, wird viel höher. Die Gefahr, dass mehr Menschen in der Isolation gefangen und unbehandelt bleiben, steigt dadurch“, so Hergerl.

Mehr Prävention gefordert
Das Demokratiezentrum Baden-Württemberg forderte unterdessen ein stärker aus­ge­bautes regionales Frühwarnsystem, um eine Radikalisierung Jugendlicher rechtzeitig zu erkennen. „Viele kleine Puzzleteile können einen Hinweis darauf geben, dass jemand anfängt, sich zu radikalisieren“, sagte der Landeskoordinator Günter Bressau. „Wir brauchen noch mehr Präventionsangebote, die nicht erst greifen, wenn Anschläge wie jetzt in Bayern stattgefunden haben.“

Viele Jugendliche radikalisierten sich nicht zuallererst aus religiösen Gründen, sondern weil sie das Gefühl hätten, in der Gesellschaft mit demokratischen Mitteln nichts bewirken zu können, sagte Bressau. Sie seien oft ausgegrenzt worden oder hätten Versagenser­fahrungen gemacht. „Eine zu schnelle Einordnung, dass jemand Islamist ist, halte ich für schwierig. Oft geht es vielmehr um persönliche Hassgefühle.“

„Die jüngsten Gewalttaten in Würzburg, München und Ansbach stellen leider traurig unter Beweis, wie wichtig Präventionsarbeit in unserer Gesellschaft ist“, erklärte Baden-Württembergs Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha (Grüne). „Dabei geht es beispielsweise darum, junge Menschen im Umgang mit Medien zu bilden, sie vor Radi­ka­lisierungstendenzen zu schützen und zu sensibilisieren sowie sie gegen Mobbing zu stärken.“

Belastungsreaktionen sind eine normale Reaktion
Die Bayerische Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kin­der- und Jugendlichenpsychotherapeuten wiesen darauf hin, dass die fürchterlichen Erfahrun­gen der vergangenen Taten in Bayern bei vielen Betroffenen eine akute Belas­tungsreaktion auslösen könnten. Dazu gehörten das wie­der­holte ungewollte Wieder­er­le­ben des Geschehens, anhaltende innere Aufge­wühltheit, erhöhte Schreckhaftigkeit, Ge­fühle von Angst, innerer Taubheit oder Niederge­schla­gen­heit, Konzentrations­stö­run­gen und Gereiztheit. Das seien „gewissermaßen nor­male Re­ak­tionen auf ein unnormales Er­eignis“, so die Kammer. Häufig heilten diese Re­aktionen nach einigen Wochen aus. In rund einem Drittel der Fälle blieben die Symptome jedoch bestehen und mündeten in eine posttraumatische Belastungsstörung.

Die Kammer rät, wenn die Beschwerden zu belastend sind oder sich nicht zurück­bildeten, professionelle psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Psycho­thera­peu­ten­kammer Bayern hat sich an ihre Mitglieder in München und Ansbach gewandt mit der Bitte, kurzfristig zusätzliche Behandlungsplätze für Betroffene bereitzustellen. In den nächsten Tagen kann in der Kammergeschäftsstelle unter der Telefonnummer 089/515555-243 erfragt werden, welche Psychotherapeuten kurzfristig Termine für Betroffene des Amok­laufes in München und des Anschlages in Ansbach anbieten. Die Nummer ist montags bis freitags 9 Uhr bis 13 Uhr und zusätzlich dienstags, mittwochs und donners­tags zwischen 14 Uhr und 15.30 Uhr geschaltet. © may/EB/dpa/afp/aerzteblatt.de

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