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Politik

BGH: Patientenverfügung und -vollmacht müssen konkret sein

Dienstag, 9. August 2016

/dpa

Karlsruhe – Eine Patientenverfügung muss sich konkret zu einzelnen medizinischen Be­handlungen oder zu bestimmten Krankheiten äußern. Die Formulierung, „lebensver­län­gernde Maßnahmen“ seien nicht erwünscht, reicht nicht aus, um eine künstliche Ernäh­rung zu beenden, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Eine Patienten­vollmacht muss zudem deutlich ma­chen, ob die bevollmächtigte Person auch über den Abbruch lebenserhaltender Maß­nah­men entscheiden kann, wie aus dem heute ver­öffent­lichten Beschluss hervorgeht (Az: XII ZB 61/16).

Der XII. Zivilsenat des BGH entschied im Detail, dass eine schriftliche Patienten­verfügung nur dann bin­dend ist, wenn dieser „konkrete Ent­schei­dungen des Betroffenen über die Ein­willigung oder Nichtein­willigung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärzt­liche Maß­nahmen entnommen werden können“. Die Äußerung, „keine lebens­erhal­tenden Maßnahmen“ zu wünschen, sei für sich ge­nommen nicht konkret genug. Eine Kon­kretisierung könne zum Beispiel erfolgen, in­dem bestimmte ärztliche Maßnahmen ge­nannt würden oder Bezug auf Krankheiten oder Behand­lungssituationen genommen werde, so der BGH.

Von vornherein nicht ausreichend sind dem Gericht zufolge allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein The­rapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist.

Dem BGH zufolge dürfen die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Pa­tien­tenverfügung aber auch nicht über­spannt werden. Vorausgesetzt werden könne nur, dass der Betroffene umschreibend festlege, was er in einer bestimmten Lebens- und Be­handlungssituation will und was nicht, so die Richter.

Im vorliegenden Fall befasste sich der für Familienfragen und Betreuungssachen zu­stän­dige XII. Zivilsenat mit einer 1941 geborenen Frau, die einen Hirnschlag erlitten hatte. Noch im Krankenhaus wurde ihr eine Magensonde gelegt, über die sie er­nährt wird und Medikamente verabreicht bekommt. Im Januar 2012 wurde sie in ein Pfle­ge­heim aufge­nommen. Die zu diesem Zeitpunkt noch vorhandene Fähigkeit zu sprechen, verlor sie infolge einer Phase epileptischer Anfälle im Frühjahr 2013.

Die Betroffene hatte 2003 und 2011 zwei wortlautidentische, mit „Patientenverfügung“ betitelte Schriftstücke unterschrieben. In diesen war niedergelegt, dass unter anderem dann, wenn aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibe, „lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben“ sollten. An die Patien­ten­ver­fügung angehängt war eine Vorsorgevollmacht für eine der drei Töchter. Diese er­laub­te es ihr, an Stelle der Mutter mit der behandelnden Ärztin alle erfor­derlichen Ent­schei­­­dun­gen abzusprechen, ihren Willen im Sinne der Patientenverfügung einzu­brin­gen und in ihrem Namen Einwendungen vorzutragen, die die Ärztin berücksichtigen solle.

Außerdem hatte die Betroffene 2003 in einer notariellen Vollmacht dieser Tochter Gene­ral­vollmacht erteilt. Diese berechtigte zur Vertretung auch in Fragen der medizinischen Versorgung und Behandlung. Die Bevollmächtigte könne „in eine Untersuchung des Ge­sundheitszustandes, in eine Heilbehandlung oder in die Durchführung eines ärztlichen Eingriffs einwilligen, die Einwilligung hierzu verweigern oder zurücknehmen.“

Die Voll­macht enthielt zudem die Befugnis, über den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen zu entscheiden – mit dem Zusatz, dass die Betroffene im Falle einer zum Tode führenden Erkrankung keinen Wert auf solche Maßnahmen lege, wenn feststehe, dass eine Besse­rung des Zustands nicht erwartet werden könne.

Die Bevollmächtigte und die die Betroffene behandelnde Hausärztin sind überein­­stim­end der Auffassung, dass der Abbruch der künstlichen Ernährung gegenwärtig nicht dem Willen der Betroffenen entspricht. Demgegenüber vertreten die beiden ande­ren Töchter die gegenteilige Meinung und haben deshalb beim Betreuungs­gericht angeregt, einen sogenannten Kontrollbetreuer zu bestellen, der die ihrer Schwes­­ter erteilten Voll­machten widerruft.

Amtsgericht und Landgericht uneins
Während das Amtsgericht dies abgelehnt hat, hatte das Landgericht eine der beiden auf Abbruch der künstlichen Er­nährung drängenden Töchter zur Betreuerin der Betroffenen bestellt. Die daraufhin eingelegte Rechtsbe­schwer­de der von der Mutter bevollmäch­tig­ten Tochter war nun vor dem BGH erfolgreich.

Der BGH weist den Fall ans Landgericht zurück und stellte klar, dass sich auf der Grund­lage der vom Landgericht getroffenen Fest­stellungen „kein auf den Abbruch der künstli­chen Ernährung gerichteter Behandlungs­wunsch oder mutmaßlicher Wille der Betroffe­nen“ – also aus den Verfügungen kein Sterbewunsch – ergebe. Daher könne derzeit nicht an­genommen werden, dass die Bevollmächtigte sich offenkundig über den Willen ihrer Mutter hinwegsetze, was für die Anordnung einer Kontrollbetreuung erforderlich wäre.

Das Landgericht im baden-württembergischen Mosbach muss nun prüfen, ob die Pa­tientin in der Vergangenheit womöglich Dinge gesagt hat, die auf einen Behandlungs­wunsch hindeuten oder darauf, die künstliche Ernährung abzubrechen.

Dokumente kontrollieren
„Nach dem Beschluss sind Millionen Deutsche aufgefordert, ihre Dokumente zu über­prüfen“, sagte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. An­kreuz­formulare seien in der Regel unzureichend und würden die Verfasser in falscher Sicherheit wiegen. Nach Angaben der Stiftung haben rund dreißig Prozent der Deut­schen bislang eine Patientenverfügung abgefasst. © afp/dpa/kna/may/aerzteblatt.de

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