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Politik

Montgomery warnt vor Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht

Mittwoch, 10. August 2016

/dpa

Berlin – Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will Medienberichten zufolge im Kampf gegen den Terror auch die ärztliche Schweigepflicht aufweichen. Die Bundes­ärz­te­kammer (BÄK) warnt eindring­lich vor diesem Schritt. „Die angespannte innen­politische Sicherheitslage darf nicht zu vor­schnellen politischen und rechtlichen Maßnahmen ver­leiten“, mahnte BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery.

Das Patientengeheimnis diene dem Schutz der Privatsphäre der Patienten und werde als Grundrecht durch die Verfassung geschützt. Nur eine weitgehend uneingeschränkte ärzt­liche Schweigepflicht schaffe die Voraussetzungen für das unerlässliche Vertrauens­ver­hältnis zwischen Patienten und Ärzten. Montgomery betonte zugleich, dass die Ärzte­schaft einem konstruktiven Dialog mit der Politik und den Behörden über konkrete Fall­situationen offen gegenüber steht.

Die Bundesärztekammer verwies darüber hinaus auf die rechtlichen Grundlagen für die Schwei­ge­pflicht: Nach dem Berufsrecht der Ärztekammern haben Ärzte über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist – auch über den Tod des Patienten hinaus – zu schweigen. Gemäß Paragraf 203 Strafgesetzbuch können Ärzte sogar zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden, wenn sie ihre Schweige­pflicht ver­letzen.

Ärzte dürfen jedoch Auskunft geben, insbesondere wenn sie von der Schweigepflicht entbunden wurden oder soweit die Offenbarung zum Schutze eines höherwertigen Rechts­gutes erforderlich ist. Wann dies den Bruch der Schweigepflicht rechtfertigt, kann nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden, so Mont­go­mery. Um Straftaten gegen Rechtsgüter wie die Freiheit und die körperliche Unver­sehrt­heit zu verhindern, dürfen Ärzte im Wege des „rechtfertigenden Notstandes“ nach Para­graf 34 Strafgesetzbuch von der Schweigepflicht abweichen.

Kritik von Ärzten und Psychotherapeuten
Unterstützung erhält Montgomery vom Hartmannbund. „Alle notwendigen und sinnvollen Regelungen zur Verhinderung möglicher Straftaten sind bereits durch das Strafgesetz­buch ausreichend geregelt“, sagte der Vorsitzende Klaus Reinhardt. Eine weitere Aufw­eichung der Schweigepflicht – auch für andere Geheimnisträger – eröffne deshalb eine gefährliche Debatte. „Wenn der Innenminister hier also zusätzlichen Handlungsbedarf sieht, dann wäre er gut beraten, dieses Thema mit einem hohen Maß an Fingerspitzen­gefühl und im Dialog mit der Ärzteschaft zu behandeln“, so Reinhardt.

Aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychoso­matik und Nervenheilkunde (DGPPN) kann eine Aufweichung der Schweigepflicht dazu führen, dass Menschen in psychischen Krisen und psychisch Erkrankte seltener und vielleicht zu spät professionelle Hilfe suchen – oder wenn sie in Behandlung sind, aus Angst nicht über ihre aggressiven Gedanken und Impulse sprechen. „Es entsteht ein Teufelskreis. Denn unzureichende Behandlung kann der Grund sein, warum Menschen mit psychischen Erkrankungen in seltenen Fällen überhaupt gewalttätig werden“, sagte DGPPN-Präsidentin Iris Hauth. Je eher, je kontinuierlicher und je vertrauensvoller man Menschen mit psychischen Erkrankungen behandele, desto größer seien die Chancen auf einen Therapieerfolg – und desto kleiner sei das Gewaltrisiko.

Die Bild-Zeitung hatte unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtet, de Maizière wolle mit der Gesetzesänderung zur ärztlichen Schweigepflicht um Zustimmung bei Ärzten und dem Gesundheitsministerium werben und so „die dringend nötige Rechts­klarheit schaffen“.

Weitgehende Gesetzesverschärfungen geplant
Berichten des Redaktionsnetzwerks Deutschland zufolge gliedert sich die Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht in ein ganzes Maßnahmebündel der Innenministern von CDU und CSU ein. Ziel soll es sein, die Be­hör­den mit massi­ven Ge­setzesver­schär­fun­gen für eine robustere Abwehr von Extremis­mus und Terrorismus rüsten, hieß es.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will demnach sogar noch vor der Bun­destags­wahl im kommenden Jahr neue Maßnahmen zum Anti-Terror-Kampf durchsetzen. Bereits morgen wolle der Minister ein Paket vor­stellen, das die Koa­lition auch ohne Zu­stimmung des Bundesrats in Kraft setzen könnte, berichteten Kölner Stadt-An­zei­ger und Bild.

De Maizière plane mit dem Vorstoß einen „größeren Aufschlag“, zitierte der Stadt-Anzei­ger einen Unionspolitiker. Teil des Maßnahmenpakets mit dem Titel „Erhöhung der Sicher­­heit in Deutschland“ seien Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung sowie zur Beschränkung der Duldung von Flüchtlingen, die ihre Abschiebung gezielt verhinderten. Ausländische „Gefährder“ und straffällige, ausreisepflichtige Ausländer sollten schneller abgeschoben werden können, berichtete die Bild. Dazu wolle de Maizière einen neuen Grund für Abschiebungen einführen – „die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“.

Sowohl für ausländische Gefährder als auch für straffällige, ausreisepflichtige Ausländer solle künftig auch das Schnellverfahren bei Asylantrag und Abschiebung gelten. Die Plä­ne des Innenministeriums sähen dabei auch vor, dass Menschen, die sich ihrer Abschie­bung widersetzen oder sie mutwillig verzögern, das Bleiberecht entzogen werde, berich­tete Bild.

Ein führender SPD-Parlamentarier erklärte gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger, de Maizière werde mit dem Paket den kürzlich von Bundeskanzlerin Angela Mer­kel (CDU) präsentierten Neun-Punkte-Plan konkretisieren. Dieser war eine Reaktion auf die Ge­walt­taten von Würzburg, Reutlingen und Ansbach, die von Flüchtlingen begangen wurden.

Linke empört
Die Bundestagsfraktion Die Linke zeigt sich angesichts der Vorschläge empört. „Was die Unions-Innenminister fordern, läuft auf eine Trumpisierung der deutschen Sicherheits­politik hinaus“, erklärte der stellvertretender Vorsitzender der Fraktion, Jan Korte. Offen­bar gebe es bei der Union nun kein Halten mehr. „Wer die Abschaffung der doppel­ten Staatsbürgerschaft, die Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht und die Verschärfung der Vorratsdatenspeicherung fordert, hat jeglichen innenpolitischen Skrupel verloren“, so Korte.

Der baden-württembergische Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) warnte vor einer Lockerung und Schnellschüssen. Die ärztliche Schweigepflicht sei ein hohes Gut, sagte er. Lucha forderte alle Beteiligten auf, besonnen zu handeln, sich mit populistischen For­derungen zurückzuhalten und stattdessen auf ein sorgsames Miteinander hinzu­wirken. © may/afp/aerzteblatt.de

Kommentare

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Avatar #594506
lupus1955
am Donnerstag, 11. August 2016, 12:26

Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht

Eine Lockerung wird überwiegend als straffrei mitteilen können und dürfen betrachtet. Der Schritt hin zu mitteilen müssen von was auch immer ist dann nicht mehr weit...
Avatar #582750
M. Malone
am Donnerstag, 11. August 2016, 12:26

Kirche im Dorf lassen!

Ärzte sind auch nur Menschen(mit allen Schwächen wie die Selbstbedienung bei den KVen gezeigt hat) und sollten nicht zu unfehlbaren "Halbgöttern" hochstilisiert werden.
Genau so wie bei berechtigtem Interesse die Krankenversicherung oder der Arbeitgeber eine Überprüfung durch den MDK verlangen kann muß und sollte auch der Staat begründet das Recht haben
Diagnosen und Atteste durch Auskunftsverlangen und eigene Beurteilung zu überprüfen.
Dahinter steht das Recht der Bürgergesellschaft(die i. R. der angesprochenen Regelungen f. Alimentierung, Versorgung etc in Anspruch genommen wird)die natürlich das Recht hat Grenzen zu setzen auch unter Beschränkung des Individualrechts.
Avatar #88255
doc.nemo
am Donnerstag, 11. August 2016, 11:45

Rechtssicherheit bitte!

"Wann dies den Bruch der Schweigepflicht rechtfertigt, kann nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden, so Mont­go­mery."
Das ist doch der Knackpunkt! Wer entscheidet denn "im konkreten Einzelfall"? Bislang der Arzt, und notfalls muss er seine Entscheidung vor Gericht rechtfertigen, und das kann zu einer völlig anderen Überzeugung gelangen (Vor Gericht und auf hoher See... Sie wissen schon!) - und natürlich immer erst im Nachhinein. Deshalb braucht der Arzt absolute Rechtssicherheit, und die hat er am ehesten, wenn er per Gesetz oder Verordnung zur Auskunft verpflichtet ist. Ohne Zweifel gibt es höherwertige Rechtsgüter, die über der Schweigepflicht stehen.
Avatar #106067
dr.med.thomas.g.schaetzler
am Donnerstag, 11. August 2016, 00:28

Bei "Law and Order" punkten zu wollen,

bedeutet nicht, gleichzeitig den Verstand abzugeben. Wie viele Fälle gibt es denn, bei denen IS-Terroristen oder einfach nur Amokläufer im Dunstkreis von Schützenvereinen mit ihren Haus-, Fach- bzw. Klinik-Ärztinnen und -Ärzten vorher ausführlich ihre Attentatspläne erörtert haben, Herr Bundesinnenminister?

Wenn ich Ihre tiefen Augenringe und die konjunktivitische Reizung sehe, sollten Sie besser erstmal ausschlafen, das verbessert Ihr "Outcome" und Ihre "Performance".

Was ausgerechnet Ärzte zum Anti-Terrorkampf beitragen sollen, außer selbstverständlich ohne zusätzliches Honorar und öffentliche Anerkennung den Opfern zu helfen, Notfall-OPs, Erstversorgung und Krisenintervention (das bayrische Traumanetzwerk war vorbildlich!) bzw. Nachsorge zu organisieren, aber auch die überlebenden Täter medizinisch zu behandeln, bleibt ein ministerielles Geheimnis.

Ärztinnen und Ärzte und das gesamte Personal in der Gesundheits - und Krankenversorgung machen kompetent i h r e n Job. Machen Sie Ihren, Herr Bundesinnenminister, aber lassen Sie die eh' schon löchrige ärztliche Schweigepflicht aus dem Spiel!

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund
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