Medizin
Training in virtueller Realität hilft Senioren, Stürze zu vermeiden
Sonntag, 14. August 2016
Tel Aviv – Die Erweiterung eines konventionellen Laufbandtrainings um eine Komponente der virtuellen Realität (VR) hat in einer randomisierten klinischen Studie die Zahl von Stürzen bei älteren Menschen deutlich gesenkt. Die Technik ließe sich laut der Publikation im Lancet (2016; doi: 10.1016/S0140-6736(16)31325-3) in bestehende Reha-Programme integrieren und sie könnte als Angebot auch für Fitness-Zentren interessant sein.
Etwa 30 Prozent der eigenständig lebenden über 65-jährigen erleidet mindestens einmal im Jahr einen Sturz, bei Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen, Demenz oder Parkinson-Krankheit sind es laut anderer Studien sogar 60 bis 80 Prozent. Oft kommt es zu Verletzungen, die den Verlust der Unabhängigkeit, Behinderungen eine Institutionalisierung oder sogar den Tod zur Folge haben.
Auch ohne Verletzungen führen die Stürze zu einer tiefen Verunsicherung und zu Depressionen. Die Angst vor weiteren Stürzen hat nicht selten zur Folge, dass die Senioren das Haus nicht mehr verlassen. Die Passivität fördert Muskelschwäche und Gleichgewichtsstörungen und leistet dadurch weiteren Stürzen Vorschub.
Eine Reha-Behandlung kann dies häufig verhindern. Zu den möglichen Übungen gehört das Training auf einem Laufband. Ein Forscherteam um Anat Mirelman vom Sourasky Medical Center in Tel Aviv hat untersucht, ob eine Erweiterung des Laufbandtrainings um eine VR-Komponente die Ergebnisse verbessern kann. Dazu wurden die Laufbewegungen der Füße auf dem Laufband von einer Kamera aufgenommen und in eine virtuelle Landschaft projiziert, die den Patienten vor dem Laufband auf einer großen Leinwand gezeigt wurde. Die Patienten sehen die Bewegungen ihrer eigenen Füße auf dem Bildschirm und ihre Aufgabe besteht darin, einen virtuellen Raum zu durchschreiten und dabei Hindernissen oder Personen aus dem Weg zu gehen, ohne zu stürzen.
An der Studie nahmen an fünf Standorten in Belgien, Israel, Italien, den Niederlanden und Großbritannien 282 Senioren im Alter von 60 bis 90 Jahren teil. Alle Teilnehmer waren in den sechs Monaten vor Studienbeginn mindestens zweimal gestürzt. Bei 43 lagen leichte kognitive Einschränkungen vor, 130 Teilnehmer litten an einem Morbus Parkinson, alle waren jedoch noch in der Lage, fünf Minuten ohne fremde Hilfe zu gehen.
Die Teilnehmer wurden auf zwei Gruppen verteilt, in einer absolvierten sie das konventionelle Laufbandtraining, in der anderen „tauchten“ sie in die virtuelle Realität ein. Jede Übungseinheit dauerte etwa 45 Minuten, und im Durchschnitt absolvieren die Teilnehmer jeder Gruppe innerhalb von sechs Wochen 16 Trainingseinheiten. Der primäre Endpunkt war die Zahl der Stürze in den nächsten sechs Monaten im Vergleich zum gleichen Zeitraum vor Beginn des Trainings.
Laut Mirelman kam es in der Gruppe mit dem reinen Laufbandtraining zu einem Rückgang von 10,7 auf 8,3 Stürze über den Verlauf von sechs Monaten. Bei einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 5,55 bis 12,31 Stürzen war dies ein nicht signifikanter Rückgang. In der Gruppe, die auf dem Laufband mit VR-Komponente trainierte, nahm die Zahl er Stürze von 11,9 auf 6,0 Stürze in sechs Monaten ab. Bei einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 4,36 bis 8,25 war dies ein signifikanter Rückgang. Im direkten Vergleich der beiden Gruppen verringerte die VR-Komponente das Sturzrisiko um 42 Prozent (relative Inzidenzrate 0,58; 0,36−0,96).
Die virtuelle Realität hat nach Einschätzung von Mirelman die kognitiven und motorischen Fähigkeiten der Patienten verbessert, wovon auch die Patienten mit leichten kognitiven Einschränkungen und Morbus Parkinson profitierten. In beiden Gruppen kam es zu einen Rückgang der Stürze. Die Teilnehmerzahl war allerdings für eine aussagekräftige Analyse in diesen beiden Untergruppen zu klein.
Die Kosten für die VR-Einheit lag bei etwa 4.000 Euro. Für Privatpersonen ist dies sicherlich zu viel Geld, für Reha-Einrichtungen könnte sich eine Investition jedoch lohnen. Auch für private Fitness-Studios könnte die Ausrüstung bei einer hohen Auslastung interessant sein, glaubt die Forscherin. Kosten-Nutzen-Berechnungen stehen jedoch noch aus. © rme/aerzteblatt.de

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