Medizin
Osteoporose: Neuer Wirkstoff Abaloparatid verhindert Knochenbrüche
Mittwoch, 17. August 2016
Lakewood – Das Hormon-Analogon Abaloparatid, das wie Teriparatid den Knochenaufbau fördert, hat in einer randomisierten Studie im US-amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2016; 316: 722-733) die Knochenmineraldichte von postmenopausalen Osteoporose-Patientinnen gesteigert und im Vergleich zu Placebo die Zahl der vertebralen Frakturen deutlich gesenkt. Ein Unterschied zu Teriparatid war die geringere Rate von Hyperkalzämien. Der Hersteller darf auf eine rasche Zulassung in den USA und in Europa hoffen. Ob er eine kostengünstigere Alternative zu dem hochpreisigen Teriparatid-Präparat anbieten wird, bleibt abzuwarten.
Teriparatid, eine auf 34 Aminosäuren verkürzte rekombinante Variante des humanen Parathormons, wurde bereits 2003 in Deutschland zugelassen. Obwohl das Mittel im Gegensatz zu den Bisphosphonaten, die die Knochenresorption hemmen, eine anabole Wirkung hat, sprich den Wiederaufbau von Knochensubstanz fördert, wird es derzeit kaum eingesetzt.
Der Grund sind die bis zu 35-fach höheren Tagestherapiekosten, die in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zum zusätzlichen Nutzen stehen. Der gemeinsame Bundesausschuss hat die Anwendung auf Patientinnen mit schwerer Osteoporose (mindestens zwei neue Frakturen in den letzten 18 Monaten) beschränkt, die Bisphosphonate und Raloxifen nicht vertragen.
Teriparatid, das Lilly als Forsteo anbietet, wird demnächst Konkurrenz von Abaloparatid erhalten, das die Firma Radius aus Waltham, Massachusetts entwickelt hat. Abaloparatid ist ein synthetisches Peptid. Es besteht ebenfalls aus 34 Aminosäuren. Es ahmt aber nicht die Wirkung des Parathormons (PTH), sondern des PTH-related Protein (PTHrP) nach. Beide Wirkstoffe wirken zwar am gleichen Rezeptor (PTH-Rezeptor Typ 1), allerdings in anderer Weise. Der Unterschied soll darin bestehen, dass Teriparatid neben der anabolen auch eine leichte katabole Wirkung auf den Knochenstoffwechsel hat, was zu einem Anstieg des Kalziumspiegels führt. Diese Nebenwirkung soll bei Abaloparatid nicht vorhanden sein oder wenigstens deutlich schwächer ausfallen.
Der Hersteller ließ Abaloparatid in einer Phase 3-Studie testen, an der 2.463 postmenopausale Frauen an 28 Zentren in zehn Ländern (keine deutsche Beteiligung) teilnahmen. Die Patienten hatten eine verminderte Knochendichte und radiologische Nachweise von mindestens zwei leichten Frakturen (oder wenigstens eine mittelschwere bis schwere Fraktur).
Sie wurden im gleichen Verhältnis auf drei Studienarme randomisiert, in denen sie tägliche subkutane Injektionen von Teriparatid, Abaloparatid oder Placebo erhielten. (Ein Placebo-Arm ist bei diesem Schweregrad ethnisch bedenklich, er wurde mit der geringen Behandlungsrate von Frauen mit Osteoporose im Allgemeinen gerechtfertigt). Ein weiterer Schwachpunkt ist, dass nur der Vergleich mit Placebo verblindet wurde, was mit der fehlenden neutralen Verpackung von Teriparatid erklärt wurde.
Primärer Endpunkt der Studie war der Anteil von neuen vertebralen Frakturen im Verlauf der 18-monatigen Behandlung. Er trat, wie Paul Miller vom Colorado Center for Bone Research in Lakewood, Colorado, und Mitarbeiter berichten, im Placebo-Arm bei 30 Patienten (4,22 Prozent) auf, unter der Behandlung mit Teriparatid dagegen nur bei 6 Patienten (0,84 Prozent) und unter der Behandlung mit Abaloparatid nur bei 4 Patienten (0,58 Prozent) auf. Im Vergleich zu Placebo war die Frakturrate um 86 Prozent vermindert. Die Hazard Ratio von 0,14 war mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,05 bis 0,39 hoch signifikant. Im Vergleich zu Teriparatid dürfte es keinen signifikanten Unterschied gegeben haben.
Bei den nicht-vertebralen Frakturen war der Vorteil von Abaloparatid nicht so eindeutig. Im Placebo-Arm kam es zu 33 Frakturen (4,7 Prozent), unter der Behandlung mit Teriparatid waren es 24 Frakturen (3,3 Prozent) und unter der Behandlung mit Abaloparatid 18 Frakturen (2,7 Prozent). Miller errechnet eine Hazard Ratio von 0,57, die mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,32 bis 1,00 nicht signifikant war. Möglicherweise wären die Ergebnisse bei einer größeren Teilnehmerzahl eindeutig ausgefallen.
Beide Wirkstoffe erhöhten die Knochenmineraldichte an Gesamthüfte, Oberschenkelhals und in den Lendenwirbeln, während die Werte im Placebo-Arm sich erwartungsgemäß kaum veränderten und am Oberschenkelhals sogar zurückgingen. Abaloparatid erzielte an allen drei Messorten über den Verlauf der Therapie stets bessere Ergebnisse, so dass auf Dauer auch eine niedrigere Knochenbruchrate zu erwarten wäre.
Tatsächlich war die Zahl der schweren osteoporotischen Frakturen (1,5 versus 3,1 Prozent) deutlich niedriger. Die Hazard Ratio (0,45; 0,21-0,95) in diesem sekundären Endpunkt war jedoch nicht signifikant. Ob sich dies bei einer längeren Behandlungszeit geändert hätte, muss offen bleiben. Die Behandlungszeit von Teriparatid ist auf 24 Monate begrenzt. Bei Ratten wäre es unter der Langzeittherapie zu einer erhöhten Inzidenz von Osteosarkomen gekommen. Da dies eine Folge der anabolen Wirkung ist, dürften die Zulassungsbehörden die Anwendungszeit von Abaloparatid ebenfalls begrenzen.
Aufgrund der Unterschiede im Wirkungsmechanismus kam es unter der Behandlung mit Abaloparatid seltener zur Hyperkalzämie (3,6 versus 6,4 Prozent), was ein Vorteil hinsichtlich der Verträglichkeit sein könnte. Andererseits kam es im Abaloparatid-Arm häufiger zu Behandlungsabbrüchen (9,9 versus 6,8 Prozent). Die häufigsten Ursachen waren Nausea (1,6 Prozent), Schwindelgefühle, Kopfschmerzen (1,0 Prozent) und Palpitationen (0,9 Prozent). Schwere Komplikationen, die einer Zulassung entgegen stehen, traten nicht auf.
Der Hersteller hat sowohl bei der amerikanischen Arzneibehörde FDA als auch bei der europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) eine Zulassung beantragt, die er aller Voraussicht nach auch erhalten wird. Die spannendere Frage ist, zu welchem Preis das Mittel eingeführt wird und ob Konkurrenz in diesem Bereich eventuell die Therapie erschwinglicher machen könnte. © rme/aerzteblatt.de

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