Politik
Trisomie-Test: Diskussion um Methodenbewertung entbrannt
Mittwoch, 17. August 2016
Berlin – Parlamentarier aller Bundestagfraktionen haben davor gewarnt, den vorgeburtlichen Bluttest auf Trisomie 21 (Down-Syndrom) zu einer regulären Kassenleistung zu machen. In einem heute in Berlin veröffentlichten Schreiben an den Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) verwiesen sie darauf, dass der Bluttest ausschließlich dazu diene, nach einer Trisomie zu suchen und „keinerlei medizinischen Nutzen“ habe.
Der G-BA will dem Vernehmen nach morgen über die Einleitung eines sogenannten „regulären Methodenbewertungsverfahren“ für nicht-invasive Pränataldiagnostik (NIPT) entscheiden. „Das wäre noch eine Stufe näher an der Übernahme als reguläre Kassenleistung als die Erprobungsrichtlinie, die vor zwei Jahren im Gespräch war“, heißt es in dem Schreiben, das die Abgeordneten Corinna Rüffer (Grüne), Hubert Hüppe (CDU), Dagmar Schmidt (SPD) und Kathrin Vogler (Linke) unterzeichnet haben.
Trisomien erschienen als ein weiteres von vielen vermeidbaren „Risiken“, warnen die Abgeordneten. „Bereits heute entscheidet sich die überwiegende Zahl der Schwangeren bei einem positiven Testergebnis für den Abbruch der Schwangerschaft.“ Die Möglichkeit, sehr früh und „risikoarm“ zu testen, könne zudem die Erwartung erzeugen, diese Angebote nutzen zu müssen. Damit erhöhe sich auch der Druck und die individuelle Verantwortung, ein „perfektes“ Kind zu gebären. Eltern, die sich dann gegen den Test oder wissentlich für ein behindertes Kind entscheiden, könnten immer mehr in Erklärungsnöte geraten, geben die Abgeordneten zu bedenken.
Sie weisen darauf hin, dass das entsprechende Methodenbewertungsverfahren lediglich vorsehe, den „diagnostischen und therapeutischen Nutzen der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit“ zu prüfen. Zudem erwecke die Beratung mitten in der Sommerpause den Eindruck, „dass diese brisante Entscheidung möglichst unter dem Radar der Öffentlichkeit getroffen werden soll“.
Die Parlamentarier bitten den G-BA deshalb „nachdrücklich“, im Weiteren die ethischen und gesellschaftlichen Konsequenzen zu berücksichtigen. „Das sollte im Rahmen einer ernsthaften, intensiven und öffentlichen Debatte geschehen, bei der insbesondere auch Verbände und Selbstorganisationen von Menschen mit Behinderung einbezogen werden“, so die Abgeordneten.
Kritik auch vom Gen-ethischen Netzwerk
Ebenfalls gegen den Test auf GKV-Kosten wendet sich das Gen-ethische Netzwerk (GeN) gemeinsam mit fünf weiteren Organisationen. Sie fordern den G-BA auf, den Punkt „von der Tagesordnung der Sitzung zu streichen“. „Es kann nicht sein, dass ein Vorhaben mit so vielschichtigen gesellschaftspolitischen Implikationen ohne jegliche öffentliche Debatte seinen bürokratischen Gang geht“, kommentierte Uta Wagenmann, beim Gen-ethischen Netzwerk mit Medizin und Gesundheitssystem befasst, den Tagesordnungspunkt.
Die pränataldiagnostische Praxis mit ihrer Fahndung nach fötalen Abweichungen würde in so einem Verfahren nicht hinterfragt, sondern im Gegenteil die Grundlage der Bewertung der Bluttests bilden, so Wagenmann. Das sei „vollkommen inakzeptabel“. Sie forderte eine breite und ehrliche gesellschaftliche Debatte über das geradezu zwanghafte Bedürfnis nach Kontrolle und Planung, das in der heutigen Schwangerenversorgung so dominant sei.
Dass gesellschaftspolitisch und ethisch bedenkliche Entwicklungen in der Pränataldiagnostik außen vor bleiben, war von zivilgesellschaftlichen Organisationen ebenso wie von Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen scharf kritisiert worden, nachdem der G-BA vor gut zwei Jahren angekündigt hatte, NIPT probeweise in die Regelversorgung einführen zu wollen, um mehr Evidenz zu Nutzen und Aussagekraft der Tests zu gewinnen.
Angesichts möglicher Auswirkungen eines temporär als Kassenleistung angebotenen pränatalen Bluttests wurde der GBA damals immer wieder aufgefordert, transparenter zu agieren und die Zivilgesellschaft zu beteiligen. Das Vorhaben der Erprobung sei nun offensichtlich vom Tisch, stattdessen sei im G-BA die Einleitung des regulären Bewertungsverfahrens beantragt worden, so das GeN. Davon habe die Öffentlichkeit nichts erfahren. „Bis vor wenigen Tagen sind wir davon ausgegangen, dass der G-BA die Bluttests probeweise einführen will“, so Uta Wagenmann vom GeN. Erst aus der Tagesordnung für die Sitzung habe die Öffentlichkeit schließen können, dass es mittlerweile darum gehe, ob NIPT reguläre Kassenleistung werden.
G-BA ist sich Verantwortung bewusst
Der G-BA betonte in seiner Tagesordnung zur Sitzung, man werde in dem beantragten Prüfverfahren in den Beratungen zur evidenzbasierten medizinischen Bewertung der NIPD die in zahlreichen gesellschaftlichen Gruppen diskutierten Befürchtungen einer möglichen Indikationsausweitung der Pränataldiagnostik und einer damit einhergehenden Gefahr der selektiven Verhinderung von Schwangerschaften, insbesondere mit fetaler Trisomie 21, im Blick behalten.
Der G-BA sei sich „der Tatsache bewusst, dass dieses Verfahren neben den standardmäßigen zu prüfenden medizinischen Gesichtspunkten in besonderer Weise ethische Fragestellungen berührt, die stets mitbedacht werden müssen“, schreibt das Gremium weiter. Daher sollen im Beratungsverfahren neben den wissenschaftlichen Fachgesellschaften weitere gesellschaftliche Organisationen wie der Deutsche Ethikrat einbezogen werden.
Darüber hinaus weist das Gremium darauf hin, dass sich aus der Tatsache, dass vorgeburtliche Untersuchungen ausschließlich mit Zustimmung der schwangeren Frau durchgeführt werden dürften, umfassender ärztlicher Aufklärungs- und Beratungsbedarf ergeben werde. Darum lege man großen Wert darauf, dass werdende Eltern Unterstützung bei einer informierten Entscheidung im Umgang mit dem verfügbaren genetischen Wissen erhielten.
Die Prüfung des Tests beantragt hatten die drei Unparteiischen, Josef Hecken, Regina Klakow-Franck und Harald Deisler, sowie die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband.
© kna/may/aerzteblatt.de

Nachrichten zum Thema
