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Medizin

Kinderwunsch: Carrier-Screening erkennt deutlich mehr Gendefekte

Donnerstag, 18. August 2016

San Francisco – Ein Carrier-Screening von Eltern könnte eine Vielzahl von rezessiven Erbkrankheiten entdecken, von denen ihre Kinder betroffen sein könnten. Die Prävalenz hing in einer Studie im US-amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2016; 316: 734-742) stark von der ethnischen Herkunft ab.

Beim Carrier-Screening fallen die Empfehlungen der Fachgesellschaft weit hinter den technischen Möglichkeiten zurück. In Deutschland werden die Gentests zur Früher­kennung derzeit gar nicht eingesetzt, in den USA empfiehlt der American Congress of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) für Paare europäischer Herkunft nur ein Screening auf eine Mukoviszidose und das American College of Medical Genetics and Genomics (ACMG) zusätzlich die Früherkennung der Spinalen Muskelatrophie.

Bei aschkenasischen Juden, wo genetische Erkrankungen aus historischen Gründen (Selbstabgrenzung beziehungsweise Ghettoisierung einer relativ kleinen Bevöl­kerungsgruppe) weiter verbreitet sind, gibt es, weitergehende Empfehlungen: ACOG rät Paaren mit Kinderwunsch zusätzlich zum Screening auf Tay-Sachs-Syndrom und Familiäre Dysautonomie. Die ACMG schlägt sogar ein Panel von zehn Gentests vor (darunter Morbus Niemann-Pick Typ A, Morbus Gaucher und Fanconi-Anämie Typ C, um nur die bekannteren zu nennen).

Die technischen Möglichkeiten reichen weit darüber hinaus. Die Firma Counsyl in South San Francisco bietet ein erweitertes Carrier-Screening auf bis zu 94 schwere oder schwerste genetische Erkrankungen an. Das Angebot kommt gut an. Zwischen Januar 2012 und Juli 2015 wurden 346.790 Tests durchgeführt. Bei 308.668 Personen war dies eine Genotypisierung, die gezielt nach bekannten Mutationen sucht. In 38.122 Proben wurde jedoch bereits eine Sequenzierung der kompletten Risiko-Gene durchgeführt. Dabei können auch seltene (vielleicht noch gar nicht bekannte) Mutationen gefunden werden.

Vielen Humangenetikern sind diese Angebote suspekt. Sie befürchten, dass die Carrier unnötig traumatisiert werden und auf einen Kinderwunsch verzichten, obwohl die Kinder gar nicht gefährdet sind – beispielsweise weil der Partner den Gendefekt nicht trägt. Auf jeden Fall wäre der Beratungsbedarf bei den Paaren sehr hoch, denn jeder Mensch trägt nach heutigem Kenntnisstand mehrere Genvarianten, die rezessive Krankheiten auslösen können, vor deren Ausbruch der doppelte Chromosomensatz in der Regel schützt.

Imran Haque von Counsyl hat jetzt mit Genetikern des Columbia University Medical Center in New York die Daten des Herstellers ausgewertet. Die Studie hat in erster Linie eine epidemiologische Zielsetzung. Sie bestätigte zunächst einmal, dass die ethnische Herkunft die Häufigkeit der einzelnen Gendefekte deutlich beeinflusst. Am häufigsten waren aschkenasische Juden betroffen. In dieser Bevölkerungsgruppe erkranken laut den Berechnungen der Forscher 392,2 von 100.000 Kindern an einer schweren rezessiven Erkrankung.

Bei Menschen lateinamerikanischer Herkunft sind es „nur“ 94,5 auf 100.000 Kinder. Das sind deutlich mehr, als mit den derzeitigen Screening-Tests erkannt werden können. Besonders hoch ist die Diskrepanz bei Menschen nordeuropäischer Herkunft (dazu zählt auch Deutschland). Hier erkennen die derzeitigen beiden Carrier-Screenings nur 55,2 Erkrankungen auf 100.000 Kinder. Mit dem gesamten Panel wären es 159,2 Erkrankungen auf 100.000 Kinder. © rme/aerzteblatt.de

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