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Politik

Nicht invasive Pränataldiagnostik: G-BA beginnt mit Methodenbewertung

Donnerstag, 18. August 2016

/dpa

Berlin – Die nicht invasive Pränataldiagnostik (NIPD) zur Bestimmung des Risikos von fetaler Trisomie 13, 18 und 21 mittels molekular­geneti­scher Tests bei Risikoschwanger­schaften wird einer Methodenbewertung unterzogen. Das hat der Gemein­same Bundes­ausschuss (G-BA) heute in Berlin entschieden. Zugleich betonten die Trä­ger, dass sie sich der Bedeutung des „sehr sensiblen“ Themas „sehr bewusst“ seien. Der G-BA for­dert die Abgeordneten des Deutschen Bundestags zu einer breiten gesell­schaft­­lichen Debatte und einer Diskussion im Plenum wie bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) auf.

Der unparteiische Vorsitzende Josef Hecken stellte vor Beginn der einstimmig erfolgten Abstimmung im Plenum klar, dass es nicht darum gehe, generell einen Test einzuführen, mit der eine spezielle Untersuchung auf Trisomien erfolge. Es gehe einzig und allein um die Frage, ob bei Risikoschwangerschaften ein nicht invasiver molekular­ge­netischer Test die bisher im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) er­bringbaren Unter­su­chungen wie der invasiven Chorionzottenbiopsie (Biopsie der Plazen­ta) beziehungs­wei­­se der Am­nio­zentese (Fruchtwasser­untersuchung) ersetzen könne.

„Der Anwen­dungs­­bereich soll nicht erweitert werden. Es bleibt eine Beschränkung auf Risiko­schwan­ger­schaften“, stellte Hecken klar. „Mit dem Test kann man das Risiko für Schwange­re re­duzieren“, betonte Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzen­verbands. Er sei aber auch „schneller gemacht als eine Fruchtwasseruntersuchung“.

Hecken versprach, die in zahlreichen gesellschaftlichen Gruppen diskutierten Befürch­tun­gen einer möglichen Indika­ti­o­nsausweitung der Pränataldiagnostik und einer damit ein­her­­gehenden potenziellen Gefahr der selektiven Verhinderung von Schwanger­schaf­ten, insbesondere mit fetaler Trisomie 21, in den Beratungen zur evidenzbasierten medi­zini­schen Be­wertung der NIPD besonders im Blick zu behalten.

Hintergrund – Methodenbewertung

(gem. § 135 und 137c SGB V) und Erprobung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (gem. § 137e SGB V)

Der G-BA hat den gesetzlichen Auftrag, über seine Richtlinien eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten nach wissenschaftlichen Kriterien abzusichern. Im Rahmen eines strukturierten Bewertungsverfahrens überprüft der G-BA diagnostische und therapeutische Methoden auf Nutzen, medizinische Notwendigkeit und Wirt­schaft­lichkeit (2. Kap. §§ 7, 10 und 11 Verfahrens­ordnung). Die Ergebnisse der Methoden­bewertung für die vertragsärztliche Versorgung sind in der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung aufgeführt, die Ergebnisse der Methodenbewertung in der sta­tionären in der Richtlinie Methoden Krankenhaus­be­handlung.

Für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, deren Nutzen noch nicht hinreichend belegt sind, die jedoch das Potenzial einer erforderlichen Behand­lungs­alternative erkennen lassen, kann der G-BA seit Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes Richtlinien für eine Erprobung beschließen (§ 137e SGB V). In den Erprobungsrichtlinien werden Eck­punkte für eine Studie festgelegt, die eine Bewertung des Nutzens auf einem ausreichend sicheren Er­kenntnisniveau ermöglicht. Die Eckpunkte umfassen insbesondere Konkretisierungen zu den ent­sprechen­den Indikationen, Vergleichsinterventionen, patienten­relevanten Endpunkten, dem jeweils benötigten Stu­dien­typ sowie zu den sächlichen, personellen und sonstigen Anforderungen an die Qualität der Leistungserbringung.

„Bereits mit Einleitung des Erpro­bungs­verfahrens auf Antrag des Herstellers eines mole­kulargenetischen Tests war man sich der Tatsache bewusst, dass dieses Verfahren ne­ben den standard­mäßig zu prüfenden medizinischen Ge­sichtspunkten in besonderer Wei­­se fun­damentale ethische Fragestellungen be­rührt, die mitbedacht werden müssen“, sagte Hecken. Um diese Perspektive zu stärken sei vorgesehen, neben den wissen­schaft­­­lichen Fachgesellschaften weitere gesellschaftliche Organisationen wie den Deu­tschen Ethikrat einzu­be­ziehen.

Hecken stellte zugleich klar, dass der G-BA die Methodenbewertung im Rahmen seiner gesetzlichen Ver­pflich­tun­gen durch­füh­ren müsse und forderte den Gesetzgeber auf, über die be­stehen­­den Regularien nach­zu­denken.

Für die „normalen Verfahren“ der Metho­den­bewertung seien die Gesetze aus­reichend, allein auf Basis der medi­zi­nisch-wissen­schaftlichen Evidenz zu entscheiden. Bei NIPD würde dieser Rahmen aber „zu kurz greif­en“, „Das Verfahren stößt an seine Grenzen“, sagte Hecken. In den kommenden drei Jahren, in denen die Metho­den­bewer­tung laufe, habe der Bundestag ge­nü­gend Zeit, darüber zu beraten, so der unpartei­ische Vorsitzende.

Dies sei auch vor dem Hintergrund wichtig, dass sich die Bewertungen solcher Test­ver­fahren häufen werden. „Wir werden in naher Zukunft eine Viel­zahl von Verfahren ha­ben, die eine gesellschaftlich-ethische Diskussion auslösen“, so Hecken. Die Chefin des GKV-SV forderte: „Wir brauchen eine Debatte im Bun­destag.“ „Die Diskussion im G-BA kann eine ge­sellschaftliche nicht ersetzen. Diese muss auf breiter Basis geführt werden“, sagte auch Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesver­einigung (KBV).

Aufklärung der Eltern sehr wichtig
Neben der breiten Debatte hält das Gremium die Aufklärung der werdenden Eltern für „besonders be­deut­sam“. Hecken regte ein struk­turiertes Beratungsverfahren an. In die Erstellung der Beratungs- und Aufklärungs­unterlagen solle seiner Meinung nach etwa der Deutsche Ethikrat früh einbezogen wer­den. „Vorgeburtliche Untersuchungen können sowohl Vor- als auch Nachteile und Risi­ken haben und erfolgen ausschließlich auf freiwilliger Basis“, betonte Harald Deisler, Vorsitzender des Unterausschusses Metho­den­be­wer­tung. Das setze eine informierte Entscheidung der Frauen mit Risiko­schwanger­­schaften voraus, und daraus ergebe sich umfassender Aufklärungs- und Beratungs­be­darf. „Die ärztliche Aufklärung muss wissen­schaftlich fundiert erfolgen“, erklärte Deisler. Darum werde „besonders großer Wert da­rauf gelegt, dass werdende Eltern Unter­stüt­zung bei einer informierten Entscheidung im Umgang mit dem verfügbaren gene­ti­schen Wissen bekommen“.

Martin Danner führte für die Patientenvertretung, die sich bei der Abstimmung enthielt, aus, es gehe „um eine ganz wichtige Entscheidungsfindung, die grundlegende ethische Fragen aufwirft“. Man halte eine umfassende Beratung für „wichtig“. Er wies darauf hin, dass der Test bereits auf dem Markt sei, als Selbstzahlerleistung angewendet werde oder sogar in Selektivverträge aufgenommen sei. Wichtig sei, „eine generelle Klärung“ zur Anwendung der Tests herbeizuführen. Auch Danner forderte den Gesetzgeber auf, sich mit dem Thema zu befassen – dabei müssten nicht nur medizinisch und sozialrechtliche Fragen beantwortet, sondern auch Haftungsaspekte bedacht werden.

Die Haftungsfrage ist „nicht trivial“
Darauf verwies auch der unparteiische Vorsitzende Hecken. Ein Arzt, der es bei einer Riskioschwanger­schaft unterlasse grundlegend aufzuklären, könne möglicherweise schadenersatzpflichtig werden, so Hecken. Er verwies auf ein Urteil des Bundes­ge­richts­hofs (BGH) wonach eine Behinderung als „Schaden“ zu werten sei. Die Haftungsfrage sei „nicht trivial“, sagte er. Die kritischen Töne, die im Vorfeld von Bundestagsabge­ord­neten und Organisa­ti­onen geäußert worden waren, begrüßte das Gremium. Es sei gut, dass die gesellschaftliche Debatte angestoßen werde, hieß es.

Im Vorfeld der heutigen Beratungen hatte die Lebenshilfe sich gegen den Test gestellt. Sie lehne den vorgeburtlichen Bluttest auf Trisomie 21 als eine von den gesetzlichen Krankenkassen finanzierte Routineuntersuchung ab. Die Untersuchung, „die gezielt nach Föten mit Behinderung sucht und in aller Regel zur Abtreibung führt, steht im Wider­spruch zum Grundgesetz sowie zur Behindertenrechtskonvention der Vereinten Natio­nen“, erklärte die Bundesvorsitzende der Lebenshilfe und ehemalige Bundes­gesund­heits­ministerin, Ulla Schmidt.

Die Lebenshilfe-Vorsitzende sagte weiter, der Bluttest „vermittelt den Eindruck, es sei ein perfektes Kind möglich“. Dies sei „ethisch höchst problematisch“, da es die Akzeptanz von unterschiedlichen Menschen gefährde. Nach ihren Worten müssen als Vorbe­dingungen „die ethische Bedeutung und gesellschaft­lichen Auswirkungen“ der Einführung berücksichtigt werden.

Vom Gen-ethischen Netzwerk hieß es, man begrüße, dass der G-BA in der Beratung Be­wusstsein für die gesellschaftliche Bedeutung von NIPD de­mons­triert habe und die Unzu­länglichkeit des Methodenbewertungsverfahrens the­ma­ti­siert wor­den seien. Es sei aber „umso befremdlicher“, dass im Anschluss die Einleitung des Verfahrens einstimmig be­schlossen wurde“, sagte Uta Wagenmann.

Bereits gestern hatte eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten sich an den G-BA gewendet. Die Parlamentarier warnten davor, den vorgeburt­lichen Bluttest auf Trisomie 21 zu einer regulären Kassenleistung zu machen. In einem Schreiben an den G-BA wiesen sie darauf hin, dass der Bluttest aus ihrer Sicht ausschließlich dazu diene, nach einer Trisomie zu suchen und „keinerlei medizinischen Nutzen“ habe.

Die Bluttests sind seit 2012 auf dem Markt. Sie ermöglichen eine Früherkennung von Trisomie 21, also dem Down-Syndrom, sowie anderen Chromosomenstörungen wie Trisomie 13 und Trisomie 18 und werden von den Krankenkassen derzeit nicht bezahlt. Sie kosten zwischen 400 und 900 Euro.

© may/EB/kna/afp/dpa/aerzteblatt.de

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