Politik
Nicht invasive Pränataldiagnostik: G-BA weist in Brief auf Regelungslücken hin
Dienstag, 23. August 2016
Berlin – Der Gesetzgeber muss in naher Zukunft die Frage beantworten, ob und in wieweit molekulargenetische Testverfahren in der Schwangerschaft angewendet werden können. Diese Forderung hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in einem Brief an Abgeordnete des Bundestags, Mitglieder des Gesundheitsausschusses, die rechtspolitischen Sprecher, den Behindertenbeauftragten sowie Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) aufgestellt. Mit dem Schreiben antwortet das Gremium auf einen Offenen Brief von vier Parlamentariern. Hintergrund ist die aktuelle Debatte um die nicht invasive Pränataldiagnostik (NIPD), zu der der G-BA in der vergangenen Woche die Einleitung einer Methodenbewertung für einen Trisomie-Test beschlossen hatte.
Dem G-BA zufolge geht die Fragestellung zu Testungen in der Schwangerschaft weit über den momentanen Einzelfall hinaus. Es sei damit zu rechnen, „dass schon in absehbarer Zeit weitere molekulargenetische Testverfahren zur Verfügung stehen, die über die Trisomie hinausgehen und die ebenso wie die Entscheidung über das jetzige Verfahren fundamentale ethische Grundsatzfragen unserer Werteordnung berühren, die der Gemeinsame Bundesausschuss im Rahmen seiner ihm in den gesetzlichen Vorschriften über die Durchführung von Methodenbewertungsverfahren gegebenen, eher wissenschaftlich-technischen Prüfkompetenzen weder allein beantworten kann noch allein beantworten darf“, heißt es in dem Schreiben, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.
Unterzeichnet haben den Brief die drei Unperteiischen G-BA-Mitglieder, Kassenärztliche und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, GKV-Spitzenverband sowie die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Alle betonen, gerade weil ethische Grundsatzfragen berührt werden, sei „der Parlamentsgesetzgeber gefordert“, „Grenzen und Bedingungen zu definieren“.
Zahlreiche offene Fragen
Die Bänke im G-BA weisen wiederholt darauf hin, dass sie sich eine parlamentarische Diskussion wünschen. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass es eine „Reihe“ von Rahmenbedingungen gibt, die beachtet oder gegebenenfalls korrigiert werden müssten. Laut G-BA stellt sich zum Beispiel die Frage, ob Testverfahren wie die Fruchtwasseruntersuchung, die derzeit invasiv und mit Gefahren im Rahmen der Risikoschwangerschaft zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) angewendet wird, im „Lichte unserer Werteordnung (...) überhaupt gewollt sind und Gegenstand des Leistungskatalogs sein können“.
Haftungsfrage für Ärzte relevant
Bedacht werden müsse zudem ein Urteil des Bundesgerichtshofs (Az.: VI ZR 85/82, Rn. 10) von 1983. Dieses habe zwischenzeitlich zu einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung geführt, wonach Gynäkologen verpflichtet sind, Frauen bei Risikoschwangerschaften über Möglichkeiten und Grenzen pränataler Diagnostik umfassend aufzuklären, wenn aufgrund der konkreten Risikofaktoren die Gefahr einer Schädigung des Kindes besteht.
In letzter Konsequenz sei ein behindertes Kind damit ein „Schaden“ im Rechtssinne und dies sei von „höchster Relevanz“ für Ärzte. „Wenn man Verfahren zur Erkennung von durch Chromosomenveränderungen verursachten Erkrankungen des Ungeborenen deshalb aus ethischen Gesichtspunkten infrage stellt, müssen gleichzeitig die haftungsrechtlichen Rahmenbedingungen, die Basis für die Rechtsprechung sind, verändert werden“, so der G-BA.
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Das Gremium ruft den Gesetzgeber auch dazu auf, die Vorgaben zur Methodenbewertung (§§ 135 ff. Sozialgesetzbuch V) anzupassen. Wenn ein neues Verfahren einem bereits im Leistungskatalog enthaltenen Verfahren überlegen sei, weil es Gefahren reduziere, könne eine sehr starke Einengung des Entscheidungsermessens im G-BA bis hin zur Ermessensreduzierung auf Null erfolgen, bemängelt der Ausschuss. Im Regelfall seien die Regelungen zwar genügend. Bei grundsätzlichen ethischen Fragestellungen „reichen sie aber nicht aus“.
Beratung verpflichtend, auch für private Tests
Der G-BA mahnt darüber hinaus an, ein besonderes Augenmerk auf die Aufklärung und Beratung werdender Mütter und Väter zu legen. Die Frage sei von grundsätzlicher Bedeutung, da die Tests bereits in „sehr weitem Umfang“ auch außerhalb von Risikoschwangerschaften für Selbstzahler angeboten werden. Der G-BA fordert eine umfassende Beratung auch vor einer privat erworbenen Testung. Dies könne zudem einer „beobachteten Marktdynamik“ begegnen. Erforderlich sei dafür jedoch eine gesetzliche Grundlage, heißt es.
In einem weiteren Schreiben mit ähnlichem Inhalt an die Deutsche Bischofskonferenz hat der G-BA seine Gesprächsbereitschaft signalisiert. Man sei sich der hohen ethischen Bedeutung bewusst und für Gespräche offen, schreibt das Gremium.
© may/aerzteblatt.de

@Staphylococcus rex

Nachtrag
Mein erstes Beispiel mit Stephen Hawkins ist vielleicht nicht ganz repräsentativ. Aber nur einmal angenommen, man wüßte vor der 12. SSW, das Kind bekommt einen schweren Sehfehler. Man wüßte aber nicht, daß dieses Kind zu einem begnadeten Musiker heranwachsen würde. Wo ist die Grenze? Welcher vermeidbare Schaden rechtfertigt es, ein unbekanntes Potential zu verschenken? Das meinte ich mit der Büchse der Pandora, die technischen Möglichkeiten der NIPD sind da und werden sich weiter entwickeln. In naher Zukunft sind es nicht nur die Trisomien, sondern auch "normale" Krankheiten, die erkannt werden können. Aus diesem Grund plädiere ich für eine Gewissensfreiheit der Eltern nach vorheriger Aufklärung.
Die Frage nach der Abrechnung ist ebenfalls nicht trivial. Bei den jetzigen Kosten könnten sich nur reiche Eltern eine NIPD leisten. Wenn arme Eltern mit dem erhöhten Risiko einer schweren Schädigung leben müssen, hätte dies auch einen unangenehmen Beigeschmack.

Das Abtreibungsrecht steht nicht zur Disposition
Das wiederum bedeutet, dem Gesetzgeber sind enge Regeln gesetzt. Wenn nach der 12. SSW aus medizinischer Sicht eine INVASIVE Diagnostik erlaubt ist, wird er die NICHTINVASIVE Diagnostik nicht verbieten können. Und damit dürfte nach der 12. SWW auch der Weg in die Leitlinien und in die Abrechnungssysteme frei sein.
Aus meiner Sicht sollte sich die Diskussion deshalb auf zwei Fragen konzentrieren, erstens was ist zu tun, wenn derartige Teste so weit sind, um VOR der 12. SSW verläßliche Ergebnisse zu liefern? Welche Konsequenzen hat dies für die Aufklärung, für die Leitlinien und für die Abrechnung? Die andere wichtige Frage ist, welche Konsequenzen hat eine NIPD NACH der 12. SSW, wenn sie ohne vorherige Risikokonstellation durchgeführt wurde, das Ergebnis aber eine Abtreibung aus medizinischer Sicht rechtfertigen würde?

@Staphylococcus rex Sie meinen sicher die Abtreibung!
Aus ärztlicher UND gesellschaftlicher Sicht muss selbstverständlich der Wunsch auf ein gesundes Kind GEFÖRDERT werden,
alles andere ist für mich Heuchelei.
Wer das Thema der Kinderwunschbehandlung praktisch kennt, weiß, dass hier die Fahrt ins Ausland eher Kosten spart als verursacht, was auch NICHT für unser Land spricht.

Die Büchse der Pandora ist bereits weit offen,
Ein wichtiger Aspekt kommt aus meiner Sicht in der aktuellen Diskussion viel zu kurz: Die NIPD verbessert die Chance auf gesunde Kinder, aber man wird damit nur Mittelmaß züchten. Ein Stephen Hawking hätte unter den Bedingungen der NIPD wahrscheinlich nie das Licht der Welt erblickt. Ein Teil seines Erfolgs ist sicher in seiner Brillanz begründet, ein Teil aber auch die Folge seiner Auseinandersetzung mit seiner Krankheit ALS und damit untrennbar mit seiner Krankheit verbunden.
Wenn also zukünftige Eltern die NIPD als Entscheidungsgrundlage nutzen, dann sollten sie ehrlich zu sich selbst sein und sich erstens fragen, für wen machen sie die Untersuchung, für sich selbst (um keinen Streß mit einem kranken Kind zu haben) oder wirklich für das Kind? Und zweitens vernichten sie nicht nur einen kranken Zellhaufen, sondern auch ein bisher unbekanntes Potential an Fähigkeiten und Talenten. Aus meiner Sicht ist hier Aufklärung wichtiger als juristische Einflussnahme. Deshalb sollte sich der Gesetzgeber eher auf seine Aufklärungspflicht fokussieren und die Gewissensentscheidung den Eltern überlassen.

Menschliches Leben darf grundsätzlich nicht zum Objekt fremdnütziger Zwecke gemacht werden .
Nabil Abdul Kadir DEEB
Arzt – Physician – Doctor
Menschliches Leben darf grundsätzlich nicht zum Objekt fremdnütziger Zwecke gemacht werden .
Die Abgeordneten aller Bundestagsfraktionen müssen sich auch bei der Entscheidung über die nicht invasive Pränataldiagnostik (NIPD)
wie bereits frueher im Jahr 2010 bei der Präimplantationsdiagnostik entschieden hat, nach der deutschen Verfassung und dem europäischen Recht richten. :-
Ich verweise auf BGH - Urteil vom 6. Juli 2010 – 5 StR 386/09 .
Aus BGH – Urteil – Begründung Nr . 29 :-
Die durch den Senat vorgenommene Interpretation führt nicht zur Zulässigkeit einer "unbegrenzten Selektion anhand genetischer Merkmale" (vgl. Middel aaO S. 45 m.w.N.). Entscheidungsgegenstand ist der Wille zur Durchführung der Untersuchung auf schwerwiegende genetische Schäden zur Verminderung der genannten gewichtigen Gefahren im Rahmen der PID. Diese Zwecksetzung stellt keine die Strafbarkeit begründende Alternativabsicht dar. Beispielsweise für die Absicht der Selektion von Embryonen zum Zwecke der Geschlechtswahl gilt dies aber nicht. Die Geschlechtswahl wird vom Embryonenschutzgesetz - ausgenommen die in § 3 Satz 2 ESchG bezeichneten Fälle - eindeutig verurteilt (§ 3 Satz 1 ESchG). Dies muss auf die Auslegung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG durchschlagen. Entsprechendes gälte etwa für eine gezielte Zeugung von Embryonen mit bestimmten Immunitätsmustern (vgl. Kaiser aaO Einf Rdn. A 199; Steinke/Rahner aaO S. 30). Ob angesichts der Wertung des - nicht auf die PID anwendbaren (siehe oben) - § 15 Abs. 2 GenDG das Gleiche für die Absicht gälte, genetische Eigenschaften des Embryos für eine Erkrankung festzustellen, die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres ausbricht, hat der Senat nicht zu entscheiden. Dies lässt unberührt, dass eine eindeutige gesetzliche Regelung der Materie wünschenswert wäre.
Aus BGH Urteil – Begründung Nr . 34:
Mit dem Verbot des § 2 Abs. 1 ESchG wollte der Gesetzgeber ausweislich der amtlichen Überschrift der missbräuchlichen Verwendung von Embryonen entgegenwirken. Die Vorschrift soll gewährleisten, dass "menschliches Leben grundsätzlich nicht zum Objekt fremdnütziger Zwecke gemacht werden darf" (Regierungsentwurf aaO S. 10). Vorrangig gedacht war an die Embryonenforschung (vgl. Kabinettsbericht aaO S. 8 unter lit. c; siehe auch den Vorschlag des Bundesrates unter Nr. 4a und die Stellungnahme der Bundesregierung hierzu in Regierungsentwurf aaO S. 14, 18). Ferner sollte die Abspaltung totipotenter Zellen zum Zweck der Diagnostik untersagt werden, "weil sich eine Schädigung des nach der Abspaltung verbleibenden und zum Embryo-Transfer bestimmten Embryos bisher nicht mit Sicherheit ausschließen" lasse (vgl. Kabinettsbericht aaO S. 8 unter lit. d; ähnlich Regierungsentwurf aaO S. 11 f.). Vergl. ; BGH - Urteil vom 6. Juli 2010 – 5 StR 386/09 .
http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/gp_specials/pid/article/634843/pid-befuerworter-zulassung-staerkt-ja-kind.html
http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/gp_specials/pid/article/634983/pid-designerbabies-aerztekammer-wesfale
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Ihr
Nabil Abdul Kadir DEEB
Arzt – Physician – Doctor
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Doctor Nabil Abdul Kadir DEEB & Fatima Zahra Boukantar - DEEB
Journalists - Department of the Friends of Palestinian doctors and
academics e.V. Journalisten - Abteilung beim Foerderverein
Palaestinensischer Aerzte und Akademiker e.V. 53173 BONN - GERMANY
doctor.nabilabdulkadirdeeb@googlemail.com

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