Medizin
Fähigkeit zu Lesen schon im Vorschulalter angelegt
Mittwoch, 24. August 2016
Cambridge – Hirnverbindungen, die das Lesen von Wörtern ermöglichen, sind bereits existent, bevor Kinder in der Schule Lesen und Schreiben lernen. Durch MRT-Untersuchungen konnten Forscher des McGovern Institute for Brain Research nachvollziehen, wo das Gehirn die Erkennung von Wörtern prozessiert. Die Wissenschaftler um Erstautorin Zeynep Saygin berichten in Nature Neuroscience (2016; doi: 10.1038/nn.4354).
Der Gyrus angularis, der als Schaltstelle des Wernicke-Areals und des visuellen Kortex fungiert, ist entscheidend an der Fähigkeit zu Lesen beteiligt. Der Ort, an dem die einzelnen Wörter erkannt und geformt werden, ist die „visual word form area“ (VWFA). Dieses Areal liegt im fusiformen Kortex des Temporallappens. Der fusiforme Kortex ist eigentlich an der Erkennung von Gesichtern beteiligt. Wo die VWFA exakt im fusiformen Kortex liegt, ist individuell leicht variabel.
Das Lesen von Wörtern ist vom Standpunkt der biologischen Evolution eine absolute Neuheit in der Menschheitsgeschichte. In den gerade einmal 5.000 bis 6.000 Jahren, in denen sich die Schrift entwickelt hat, hatte das Gehirn kaum Möglichkeiten, sich darauf einzustellen. Es ist daher wahrscheinlich, dass präexistente Nervenverbindungen die Aufgabe des Lesens übernehmen. Wie genau sich diese jedoch herausbilden und stabilisieren, ist laut den Forschern bisher nicht klar.
In ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler Kinder in ihrem fünften Lebensjahr, die das Lesen und Schreiben noch nicht erlernt hatten. Sie zeigten den Kindern Wörter und Buchstaben und untersuchten sie mit Hilfe von funktionellen und diffusionsgewichteten MRT-Aufnahmen. Sie konnten so die Hirnaktivität und Verschaltung der Hirnregionen der Kinder bestimmen. Sie wiederholten die gleiche Untersuchung, als die Kinder das achte Lebensjahr erreichten und lesen konnten.
Die Forscher stellten fest, dass sie durch einen retrospektiven Vergleich exakt bestimmen konnten, wo die VWFM bei den fünfjährigen Kindern angelegt war. Die erforderlichen weitläufigen Hirnverbindungen zum visuellen und zum Sprachkortex waren bereits in diesem jungen Alter existent.
Die Ergebnisse sprechen den Forschern zufolge dafür, dass die Hirnverbindungen, die das Lesen ermöglichen, bei Kindern bereits bestehen. Welche Funktion diese Hirnregion jedoch erfüllte, bevor die Menschheit die Schrift erfand, bleibe unklar. © hil/aerzteblatt.de

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