Politik
Kassenverband verlangt Reform der Notfallversorgung
Dienstag, 6. September 2016
Berlin – Der Verband der Ersatzkassen (vdek) hat eine Reform der ambulanten Notfallversorgung gefordert. Demnach sollen an rund 1.600 Krankenhäusern in Deutschland Portalpraxen eingerichtet werden. Die Praxen sollen nach den Worten der Verbandsvorsitzenden Ulrike Elsner die zentrale Anlaufstelle für Patienten außerhalb der Sprechzeiten werden. Von hier aus solle qualifiziert entschieden werden, auf welcher Versorgungsebene der Patient weiter versorgt wird.
„Aus unserer Sicht stellen die Kassenärztlichen Vereinigungen weiterhin die Notdienstversorgung sicher und organisieren sie gemeinsam mit dem Krankenhaus“, so Elsner vor Journalisten in Berlin. Während der Sprechzeiten von niedergelassenen Ärzten sollen die Patienten von den Notdienstpraxen weiter dorthin verwiesen werden. In der sprechstundenfreien Zeit müsse aber für akute ambulante Fälle die neue Struktur von Notdienstpraxen geschaffen werden.
Nach ihrer Aussage werden in den Notfallaufnahmen jährlich mehr als 25 Millionen Patienten behandelt, von denen aber nicht alle dort versorgt werden müssten. Ebenso forderte Elsner eine Bedarfsplanung für den Notdienst sowie eine gemeinsame Leitstelle der Rettungsdienste und der Kassenärztlichen Vereinigungen. „Es muss eine flächendeckend einheitliche Regelung zum Notdienst geben und keine Parallelstrukturen“, sagte Elsner. Die Krankenkassen geben jedes Jahr 35 Milliarden Euro für den ambulanten Notdienst aus.
In einem Gutachten, das der Kassenverband beim Göttinger AQUA-Institut in Auftrag gegeben hat, hat Institutsleiter Joachim Szecsenyi die starke sektorale Trennung der Notfallversorgung und die parallelen Strukturen in vielen Regionen analysiert. „Für Patienten sind die Zuständigkeiten oft unklar“, erklärte Szecsenyi. Außerdem könnten viele Patienten heute nicht mehr selbst einschätzen, was im ambulanten Notfall zu tun sei.
„Die Entscheidung, in welchem Bereich der ambulanten Notfallversorgung die Patienten versorgt werden, hängt daher vor allem von ihren eigenen Einschätzungen, Erwartungen und Wünschen ab“, heißt es in dem AQUA-Gutachten. Auch sei vielen Patienten die allgemeine Notfallnummer 116 117 nicht bekannt. Daher benötige es eine zentrale Anlaufstelle, in der nach einem standardisierten Verfahren der Behandlungsbedarf eingeschätzt werde. „Wir fordern außerdem eine strukturierte Qualifizierung für Ärzte und Pflegekräfte im ambulanten Notdienst“, erklärte Kassenverbandschefin Elsner weiter. Dafür benötige es auch ein einheitliches Curriculum.
An welchen Kliniken die Praxen künftig eingerichtet werden, das will der Kassenverband an eine Entscheidung im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) knüpfen. Dort wird derzeit im Rahmen des Krankenhausstrukturgesetzes darüber beraten, welche Bedingungen ein Krankenhaus vorhalten muss, um an der Notfallversorgung teilzunehmen.
Dabei gebe es drei Stufen der Notfallversorgung, für die Mindestvorgaben „zur Art und Anzahl von Fachabteilungen, zur Anzahl und Qualifikation des vorzuhaltenden Fachpersonals sowie zum zeitlichen Umfang der Bereitstellung von Notfallleistungen differenziert festzulegen“ sind, wie es im Gesetz heißt. Elsner plädierte dafür, nur an diesen Kliniken die Portalpraxen zu eröffnen. Auf Anfrage teilte der G-BA mit, dass sich das Gremium derzeit noch in den „beschlussvorbereitenden Beratungen“ zur Notfallversorgung befindet. Bis Ende 2016 soll laut Gesetz ein Konzept vorliegen.
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Das Echo auf die Forderungen des vdek sind vielfältig: Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, erklärte, die KBV unterstütze den Ansatz der Kooperation von KVen und Krankenhäusern. „Es bräuchte Strukturen, die es ermöglichen, dass die Bereitschaftsdienstpraxen der KVen enger mit den Klinikambulanzen zusammenarbeiten“, so Gassen in einer Mitteilung.
Aus seiner Sicht benötige es dafür aber eine „echte Aufgaben- und Mengenplanung, wozu auch die gemeinsame Nutzung von Geräten, Personal und Räumlichkeiten gehören würde.“ Eine Bedarfsplanung für Notfälle hatte auch Kassenverbandschefin Elsner gefordert. „Allerdings müsste damit ein Umdenken auch bei den Verwaltungen so mancher Krankenhäuser einhergehen. Wenn Notaufnahmen als Akquiseinstrument angesehen werden, um mit Patienten, die eigentlich nicht ins Krankenhaus gehören, leere Betten zu füllen, dann ist das kontraproduktiv“, so Gassen.
Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt, geht noch ein Stück weiter: Die Diskussion um eine Patientensteuerung in der Notfallaufnahme könne nur der Anfang sein. „Wir müssen über Mengensteuerung sprechen, über die Vermeidung von Redundanzen und Fehlversorgung und nicht zuletzt auch über die Frage einer sozialverträglichen Selbstbeteiligung von Patientinnen und Patienten“, erklärte Reinhard.
Für den Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Georg Baum, ist allerdings klar: „Wer die Notfallversorgung wirklich verbessern will, muss auch sicherstellen, dass Notfälle, egal ob im ambulanten oder stationären Bereich, nicht länger strukturell unterfinanziert und durch Budgetregelungen gedeckelt werden“, sagte Baum in einer Mitteilung.
Er wiederholte seine Rechnung, dass durch die starke Inanspruchnahme von Notfallleistungen in Kliniken eine Unterdeckung von rund einer Milliarde Euro pro Jahr einstanden sei. Ambulante Notfälle werden mit rund 40 Euro vergütet, die Kliniken verweisen allerdings auf Fallkosten von rund 100 Euro. © bee/aerzteblatt.de

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