Medizin
US-Gremium empfiehlt erweiterte Behandlung der latenten Tuberkulose
Mittwoch, 7. September 2016
Research Triangle Park - Fortschritte in der Diagnose und Therapie der latenten Tuberkulose veranlassen die U.S. Preventive Services Task Force (USPSTF), eine unabhängige Gruppe von Experten, ihre Empfehlung zum Screening und zur Behandlung der latenten Tuberkulose auf Migranten aus Hochendemieländern, Obdachlose und Gefängnisinsassen auszuweiten. Leitlinie und zugehöriger Evidenz-Bericht wurden im US-amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2016; 316: 962-969 und 970-983) veröffentlicht.
Eine Infektion mit Mycobacterium tuberculosis führt nur in seltenen Fällen zu einer aktiven Tuberkulose. Häufiger kommt es zu einer latenten Erkrankung. Die Bakterien werden vom Immunsystem in Granulomen isoliert, aber nicht abgetötet. Bei den meisten Personen bleibt es lebenslang bei diesem Zustand. Es ist jedoch möglich, dass sich die Erreger aus den Granulomen befreien und eine aktive Tuberkulose auslösen, die dann auch ansteckend sein kann.
Dies ist allerdings selten der Fall, weshalb es umstritten ist, ob diese Patienten behandelt werden sollten. Hinzu kommt, dass die Diagnose einer latenten Tuberkulose nicht einfach und die Therapie nicht ohne Nebenwirkungen ist. Die Indikation wird deshalb derzeit zurückhaltend gestellt. Typische Kandidaten sind enge Kontaktpersonen von Patienten mit offener Tuberkulose, HIV-Positive, i.v.-Drogenabhängige oder auch Patienten, die mit TNF-alpha-Inhibitoren behandelt werden sollen. Das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose beschränkt seine Behandlungsempfehlung derzeit auf diese Hochrisikogruppe.
Seit einiger Zeit wird jedoch darüber diskutiert, ob der Kreis der Behandelten auf weitere Personengruppen ausgedehnt werden sollte. So ist bekannt, dass in den reicheren Ländern wie Deutschland, in denen die Tuberkulose selten geworden ist, mehr als die Hälfte aller Menschen mit latenter Tuberkulose auf Migranten entfällt, die in Hochendemieländern geboren wurden oder dort längere Zeit gelebt haben. Weitere Hochrisiko-Gruppen sind Obdachlose oder Gefängnisinsassen.
Das USPSTF hat prüfen lassen, ob ein Screening und eine Behandlung dieser Personenkreise sinnvoll sein könnte. Seit der letzten Empfehlung aus dem Jahr 1996 hat es zwei wichtige Fortschritte gegeben. Zum einen ist es seit der Einführung des Interferon-Gamma-Tests (Interferon-gamma release assay, IGRA) erstmals möglich, eine latente Tuberkulose auch bei Personen zu diagnostizieren, die einen BCG-Impfstoff erhalten hatten. Sie wird in vielen Hochendemieländern empfohlen und nach der Migration nach Deutschland war nicht mehr zu klären, ob eine Person latent infiziert oder nur geimpft ist. Denn der Hauttest, mit dem früher eine latente Tuberkulose diagnostiziert wurde, fällt nach einer Impfung regelmäßig positiv aus. Der zweite Fortschritt sind neue Therapieregime, die die Behandlungszeit verkürzen und die Gefahr der Leberschädigung durch Isoniazid vermindern.
Das Team um Leila Kahwati von RTI International, eine Nonprofit-Organization aus Research Triangle Park in North Carolina, kommt zu dem Ergebnis, dass ein Screening mit IGRA dem Hauttest (auch bei nicht geimpften Personen) zumindest gleichwertig ist. Die Sensitivität liegt bei 77 bis 90 Prozent (79 Prozent beim Hauttest), die Spezifität bei 95 bis 99 Prozent (beim Hauttest ebenfalls). Dies bedeutet, dass die Tests nicht alle latenten Tuberkulosen erkennen und aufgrund der falsch-positiven Ergebnisse einige Patienten über Monate Medikamente einnehmen würden, obwohl sie gar nicht an einer Tuberkulose erkrankt sind. Dies macht eine Nutzen-Risiko-Abschätzung notwendig.
Der Nutzen besteht in der Vermeidung einer aktiven Tuberkulose. In der IUAT-Studie (International Union Against Tuberculosis) waren 27.830 Erwachsene mit latenter Tuberkulose und fibrotischen Läsionen in der Lunge auf eine tägliche Einnahme von Isoniazid über 24 Wochen oder Placebo randomisiert worden. Unter der Behandlung erkrankten in den ersten fünf Jahren 0,5 Prozent der Teilnehmer an einer aktiven Tuberkulose gegenüber 1,4 Prozent der Patienten in der Placebo-Gruppe. Dies ergibt ein relatives Risiko von 0,35, das bei einen 95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,24 bis 0,52 hoch signifikant war. Die Number Needed to Treat betrug 112. So viele Patienten müssen behandelt werden, um einen Tuberkuloseausbruch in den ersten fünf Jahren zu vermeiden.
Unter der täglichen Behandlung mit Isoniazid kam es aber bei 0,5 Prozent der Teilnehmer zu einer Leberschädigung gegenüber einer Rate von 0,1 Prozent in der Placebo-Gruppe. Das relative Risiko betrug 4,59 (2,03 bis 10,39). Die Number Needed to Harm betrug 279. Todesfälle durch Leberversagen traten aber nicht auf.
Eine Alternative zu Isoniazid ist Rifampicin. Das Risiko einer Leberschädigung ist laut der von Kahwati ausgewerteten Studie um den Faktor 3,29-fach niedriger als unter Isoniazid (95-Prozent-Konfidenzintervall 1,72-6,28).
Ein modernes Behandlungsregime besteht aus der wöchentlichen Therapie mit Isoniazid mit Rifapentin. Die Behandlungszeit beträgt nur 12 Wochen. Die Effektivität ist jedoch auf die Adhärenz angewiesen. Die Behandlung erfolgt deshalb unter direkter Aufsicht. In der PREVENT TB-Studie war dieses Behandlungsregime einer neunmonatigen tägliche Einnahme von Isoniazid (ohne Aufsicht) gleichwertig.
Die USPSTF sieht aufgrund dieser Ergebnisse für die genannten Risikogruppen einen moderaten, aber erwiesenen Vorteil für das Screening und die Behandlung der latenten Tuberkulose (Empfehlungsgrad B). In einer hypothetischen Kohorte von 100.000 asymptomatischen Erwachsenen mit erhöhtem Risiko (etwa weil sie in Hochendemieländern geboren wurden) könnten zwischen 52 und 146 Erkrankungen an einer aktiven Tuberkulose verhindert werden zum Preis von 7 bis 67 Fällen einer Leberschädigung. Weitere 111 Personen würden die Therapie aufgrund von Nebenwirkungen vorzeitig abbrechen. © rme/aerzteblatt.de

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