Medizin
Betablocker könnte Knochenabbau durch Antidepressivum verhindern
Donnerstag, 8. September 2016
New York – Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) haben eine biphasische Wirkung auf den Knochen. Zunächst stärken sie ihn durch Hemmung der Osteoklasten. Doch schon nach wenigen Wochen überwiegt ein Knochenabbau, der laut einer Studie in Nature Medicine (2016; doi: 10.1038/nm.4166) auf eine Steigerung des Sympathikotonus zurückzuführen ist. Die gleichzeitige Gabe eines Betablockers konnte dies im Tierversuch verhindern.
Antidepressiva aus der Gruppe der SSRI gehören in westlichen Ländern zu den am häufigsten verordneten Medikamenten. Zu den Nebenwirkungen gehört ein Knochenabbau, der bei älteren Patienten das Auftreten von Knochenbrüchen begünstigt. Die Ursache für den Knochenabbau ist nicht genau bekannt. Experimente, die ein Team um Patricia Ducy von der Columbia University in New York durchgeführt hat, liefern jetzt neue Einsichten.
Die Forscher behandelten Mäuse mit Fluoxetin, dem ersten und einem der am häufigsten verordneten SSRI. Zu ihrer Überraschung stellten sie fest, dass die Knochenmasse in den ersten drei Wochen der Behandlung nicht ab-, sondern zunahm. Erst danach kam es zu einem allmählichen Knochenabbau.
Die initiale Zunahme der Knochenmasse konnten die Forscher auf eine hemmende Wirkung von Fluoxetin auf die Osteoklasten zurückführen. Osteoklasten sind im Knochen für den Abbau zuständig, während Osteoblasten Knochen aufbauen. Beide Zelltypen sind für den ständigen Umbau des Knochens zuständig, der damit flexibel auf äußere Einflüsse, etwa Veränderungen der Belastung reagiert.
Weitere Experimente ergaben, dass Fluoxetin nicht auf Serotonin-Rezeptoren der Osteoklasten wirkt, sondern direkt den Kalziumstoffwechsel in der Zelle stört. Diese Wirkung bleibt in der weiteren Behandlung bestehen. Sie wird aber mehr als aufgehoben durch eine Hemmung der Osteoblasten. Diese Wirkung entsteht jedoch nicht vor Ort im Knochen. Sie ist vielmehr Folge der Fluoxetin-Wirkung im Gehirn. SSRI erhöhen im Gehirn die Aktivität des sympathischen Nervensystems, erkennbar an einem Anstieg der Konzentration von Adrenalin und Noradrenalin im Urin der Mäuse.
Die Katecholamine wirken auf den Beta2-Rezeptor von Osteoblasten. Die Aktivität dieser Zellen wird gehemmt und der Knochenaufbau wird gestoppt. Diese Beobachtung brachte die Forscher auf die Idee, die Tiere mit einem Wirkstoff zu behandeln, der den Beta2-Rezeptor blockiert. Dies ist mit dem Betablocker Propanolol möglich, ein bekannten Blutdruckmedikament.
Schon geringe Dosierungen von Propanolol waren in der Lage, den Knochenabbau zu stoppen. Ob diese Behandlung auch beim Patienten die negativen Wirkungen von Fluoxetin auf den Knochen verhindern würde, lässt sich aus tierexperimentellen Studien nicht sicher ableiten. Da Propanolol jedoch seit längerem zugelassen ist, stünde klinischen Studien nichts im Weg.
Ducy warnt davor, die Ergebnisse auf andere SSRI zu übertragen. Citalopram hatte in ihren Experimenten keine nachteilige Wirkung auf die Osteoklasten, andere Forschergruppen hatten dies zuvor bereits für Escitalopram gezeigt. In den Fachinformationen dieser beiden SSRI wird jedoch ebenfalls vor einem erhöhten Knochenbruchrisiko gewarnt, das in epidemiologischen Studien für die Gesamtgruppe aller SSRI (und auch der älteren urizyklischen Antidepressiva) beobachtet wurde. Die tierexperimentellen Studien stellen diese generelle Einstufung infrage. Belegen lässt sich dies jedoch nur in klinischen Studien. © rme/aerzteblatt.de

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