Ärzteschaft
Psychische Erkrankungen: Studie weist auf Defizite in der Bedarfsplanung hin
Donnerstag, 8. September 2016
Berlin – Ein Blick auf die aktuelle Versorgungslage zeigt: Je nach Region sind Arzt- und Psychotherapeutensitze in Deutschland sehr unterschiedlich verteilt. Doch die unterschiedliche Dichte bei den Versorgungsangeboten lässt sich nicht ausreichend auf regionale Unterschiede in der Häufigkeit der Erkrankungen oder Risikofaktoren zurückführen.
Dies zeigt eine epidemiologische Studie, die an der Psychologischen Hochschule Berlin in Kooperation mit dem Robert Koch-Institut, der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung durchgeführt wurde, und die bereits online veröffentlicht ist (Der Nervenarzt 2016; doi: 10.1007/s00115-016-0147-4).
„Anhand epidemiologischer Daten aus Bevölkerungsstudien und Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung konnten wir zeigen, dass die regionalen Unterschiede in der Häufigkeit psychischer Erkrankungen weitaus geringer sind als die regionalen Unterschiede im Versorgungsangebot, welches die aktuelle Bedarfsplanung vorsieht“, sagte Frank Jacobi, Professor an der Psychologischen Hochschule Berlin und Leiter der Studie. Sie ergänze durch „einen innovativen methodischen Zugang hinsichtlich ihrer Regionalanalysen“ die bisherige Versorgungsforschung, die ausschließlich auf Abrechnungsdaten der Krankenkassen basiert, betonte Jacobi.
Die Studie zeigt, dass eine Region mit gut ausgebauten Versorgungsstrukturen nicht unbedingt einen größeren Bedarf hat und eine Region mit besonders vielen Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht automatisch auch über mehr Ärzte und Psychotherapeuten verfügt. „Diese Ungerechtigkeit muss dringend behoben werden – dazu brauchen wir eine Bedarfsplanung, die ihren Namen auch wirklich verdient“ forderte Iris Hauth, Präsidentin der DGPPN. Gleichzeitig müssten die vorhandenen Versorgungsangebote besser gesteuert, vernetzt und koordiniert werden.
Kritik am sogenannten Ist-Soll-Prinzip
„Kritisch hinterfragt werden sollte in diesem Zusammenhang die Orientierung der Bedarfsplanung am sogenannten Ist-Soll-Prinzip“, so Studienleiter Jacobi. Er schlägt vor, in Zukunft verstärkt mit prävalenzbasierten Schätzern zu arbeiten, also auch die regionale Verteilung von Erkrankungshäufigkeit und Risikofaktoren einzubeziehen. Darüber hinaus sollten auch die Variationen der Behandlungsumfänge pro Praxis bei der Zuweisung von Arztsitzen berücksichtigt werden.
Die Studie macht keine Aussagen zum absoluten Bedarf an Arztsitzen für Psychotherapeuten und Psychiater. „Welchen Stellenwert wir der psychischen Gesundheit in Zukunft einräumen und wieviel Ressourcen wir als Gesellschaft dafür aufbringen wollen, wird nach wie vor ein heiß diskutiertes Thema bleiben“, betonte Jacobi. © pb/aerzteblatt.de

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