Medizin
Kraniektomie verbessert Prognose nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma
Donnerstag, 8. September 2016
Cambridge – Eine Kraniektomie zur Entlastung eines erhöhten Hirndrucks hat in einer randomisierten Studie die Sterblichkeit von Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma gegenüber einer fortgesetzten medikamentösen Therapie halbiert. Viele der überlebenden Patienten verließen laut der Publikation im New England Journal of Medicine (2016; doi: 10.1056/NEJMoa1605215) die Klinik jedoch mit schweren Behinderungen, wenn sie nicht sogar dauerhaft pflegebedürftig waren.
Viele Hirnverletzungen führen zu einem Ödem. Da das Gehirn sich unter dem Schädeldach nicht ausdehnen kann, führt dies schnell zu tödlichen Gewebeschäden. Sie lassen sich durch die Entfernung eines Teils der Schädeldecke vermeiden. Diese Kraniektomie ist in der Neurochirurgie seit langem Routine. Doch die Evidenz, dass dadurch die Prognose der Patienten verbessert wird, war bislang schwach – außer bei einem Hirnödem nach Schlaganfällen, wo der Nutzen durch mehrere randomisierte klinische Studien belegt ist.
Bei Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma wurde der Nutzen zuletzt durch die DECRA-Studie infrage gestellt. Eine bifrontale Kraniektomie hatte in dieser Studie zwar erfolgreich den Hirndruck gesenkt. Die Prognose der Patienten war jedoch eher schlechter als nach einer alleinigen medikamentösen Therapie (NEJM 2011; 364: 1493-1502).
Die Ergebnisse der DECRA-Studie wurden jedoch aufgrund der restriktiven Einschlusskriterien infrage gestellt. So war die Kraniektomie relativ frühzeitig durchgeführt worden, eine an vielen Kliniken übliche Hemikraniektomie (als Alternative zur bifrontalen Kraniektomie) war nicht erlaubt, und Hämatome galten als Ausschlusskriterium.
Die RESCUEicp-Studie vermeidet diese Einschränkungen. Die Kraniektomie wurde zudem erst als Ultima Ratio nach dem Versagen einer medikamentösen Therapie betrachtet, wie dies an den meisten Kliniken üblich ist. Das Team um Peter Hutchinson von der Universität Cambridge randomisierte in zwanzig Ländern (mit deutscher Beteiligung) 408 Patienten, bei denen es nach einem Schädel-Hirn-Trauma zu einem Anstieg des intrakraniellen Drucks auf über 25 mm Hg gekommen war, auf eine fortgesetzte medikamentöse Therapie oder auf eine Kraniektomie.
Dies konnte eine einseitige Hemikraniektomie oder eine bifrontale Kraniektomie sein. Endpunkt war der Zustand des Patienten in der Extended Glasgow Outcome Scale (GOS-E) sechs Monate nach der Behandlung. Die GOS-E umschreibt den Ausgang von traumatischen Hirnverletzungen auf einer Skala von 1 (Tod) bis 8 (vollständige Erholung).
Sechs Monate nach der Behandlung waren in der Gruppe mit rein medikamentöser Therapie 48,9 Prozent der Patienten gestorben, nach eine Kraniektomie waren es nur 26,9 Prozent. Dabei wurde noch nicht berücksichtigt, dass nicht wenige Patienten aus dem medikamentösen Arm der Studie auf die Kraniektomie wechselten, weil die Ärzte den Zustand als kritisch eingestuft hatten. Die Kraniektomie ist deshalb in der Lage, Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma das Leben zu retten.
Das bedeutet jedoch nicht, dass sie als gesund entlassen werden können. Nach einer Kraniektomie kam es häufiger zu Behinderungen. Insgesamt 8,5 Prozent nach Kraniektomie versus 2,1 Prozent befanden sich nach sechs Monaten aufgrund schwerster Hirnverletzung in einem vegetativen Zustand (apallisches Syndrom), 21,9 Prozent versus 14,4 Prozent waren auf eine häusliche Pflege angewiesen, 15,4 Prozent versus 8,0 Prozent kamen mit ihren Behinderungen zuhause allein zurecht. Bei 15,4 Prozent versus 8,0 Prozent lagen mäßige Behinderungen vor. Eine gute Erholung war mit 4,0 Prozent versus 6,9 Prozent in beiden Gruppen selten. Auch nach 12 Monaten hatte sich die Situation nur etwas verbessert. Jetzt konnten 9,8 Prozent versus 8,4 Prozent mit einem guten Zustand als rehabilitiert gelten.
Für Hutchinson fällt die Bilanz dennoch positiv aus. Nach der Kraniektomie (die inzwischen durch Rekonstruktion des Schädeldachs behoben wurde) konnte am Ende mit 45,4 Prozent fast die Hälfte der Patienten selbständig zuhause leben. Nach einer rein medikamentösen Therapie war es mit 32,4 Prozent nur jeder Dritte. © rme/aerzteblatt.de

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