Ärzteschaft
Pflegende Angehörige benötigen zielgerichtete Unterstützung
Freitag, 9. September 2016
Hannover – Die Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN) hat mehr zielgerichtete Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige gefordert. Nur so könne sichergestellt werden, dass „die Pflege im Kreis der Familie für alle Beteiligten eine Bereicherung darstellt und nicht nur zur Belastung wird“, unterstrich ÄKN-Vizepräsidentin Marion Charlotte Renneberg anlässlich des gestrigen Aktionstags Pflegende Angehörige. Denn die Pflege von Familienmitgliedern könne bei den Pflegenden zu körperlichen, psychischen und psychosozialen Gesundheitsproblemen führen. „Ein Familienmitglied zu Hause zu pflegen, kann die körperliche, psychische und psychosoziale Gesundheit der Angehörigen angreifen“, warnte die Hausärztin.
Laut Statistischem Bundesamt (Destatis) werden mehr als zwei Drittel der insgesamt 2,63 Millionen als pflegebedürftig eingestuften Bundesbürger zu Hause versorgt. Hinter jedem dieser 1,86 Millionen Menschen steht mindestens ein pflegender Angehöriger – das sind laut ÄKN rund 2,3 Prozent der Einwohner Deutschlands. Die Vizepräsidentin der Kammer weiß aus ihrer eigenen Hausarztpraxis, dass die Pflege eines Familienangehörigen eine enorme Belastung darstellen kann – sowohl körperlich als auch seelisch. „Viele Betroffene ignorieren diese Belastung so lange, bis es zu spät ist“, berichtete sie.
„Um speziell die Gruppe der pflegenden Angehörigen zu unterstützen, müssen diese einen vereinfachten und verbesserten Zugang zu ambulanten und stationären Rehabilitationsmaßnahmen erhalten. Diese Rehabilitationsmaßnahmen sollten unter anderem den Bewegungsapparat sowie psychische Betreuung beinhalten, zum Beispiel Gesprächskreise“, erläuterte Renneberg gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Ein Beispiel für eine ambulante Maßnahme wäre zum Beispiel ein Bewegungsangebot in der Gruppe für pflegende Angehörige. So könnten die Betroffenen untereinander in Kontakt kommen und gleichzeitig an ihrem körperlichen Wohlbefinden arbeiten. „Ebenfalls wichtig ist eine spezielle Beratung von pflegenden Angehörigen durch die betreuenden Arztpraxen, um die Betroffenen für ihre Situation zu sensibilisieren und auf Unterstützungsangebote aufmerksam zu machen“, so die Vizepräsidentin der Kammer.
Mit diversen Reformen zur Pflege hat die große Koalition auch die Situation pflegender Angehöriger ins Visier genommen. Während das zu Jahresbeginn in Kraft getretene PSG I die Unterstützung für Pflegebedürftige und ihre Familien ausweitet, werden mit dem PSG II ab Januar 2017 ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungsverfahren eingeführt. Mit dem PSG III will die Bundesregierung künftig zudem die Beratung von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen vor Ort verbessert. Die Novelle basiert auf Empfehlungen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe und soll Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen eine Beratung aus einer Hand ermöglichen.
Danach sollen die Kommunen für fünf Jahre das Recht bekommen, aus eigener Initiative Pflegestützpunkte einzurichten. Ferner sollen sie Gutscheine der Versicherten für eine Pflegeberatung einlösen können. Darüber hinaus sollen in bis zu 60 Kreisen oder kreisfreien Städten für die Dauer von fünf Jahren als Modellprojekte Beratungsstellen eingerichtet werden. Den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen soll auf diese Weise eine umfassende Beratung über mögliche Hilfen gewährt werden, so etwa über Hilfe zur Pflege, Eingliederungshilfe oder Altenhilfe.
„Gute Pflege gibt es nicht von der Stange, sie muss wie ein Maßanzug auf die persönliche Situation zugeschnitten sein“, hatte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe bei der Verabschiedung des PSG III im Juni unterstrichen. Deshalb wolle man die Hilfe für Pflegebedürftige und ihre Familien passgenauer gestalten.
Die Techniker Krankenkasse (TK) rät zudem, sich frühzeitig mit dem Thema auseinanderzusetzen. „Hauptursache für Pflege ist das Alter. Mit potenziell Betroffenen in der eigenen Familie frühzeitig über deren Wünsche, aber auch die eigenen Grenzen zu sprechen, erleichtert den Pflegestart“, verweist TK-Fachbereichsleiter Georg van Elst auf eine entsprechende Studie der TK.
Demnach bringen zwar 30 Prozent der pflegenden Angehörigen Pflege und Beruf generell nur schwer unter einen Hut, unter jenen, die langsam in die Rolle hineinwuchsen, sagte dies dagegen nur jeder Fünfte (22 Prozent). Zudem zahle sich gute Vorbereitung für die Pflegenden auch gesundheitlich aus: Sah rund jeder Dritte (34 Prozent) die eigene Gesundheit durch die Verantwortung angegriffen, klagten von den „Hineingewachsenen“ nur 27 Prozent über gesundheitliche Belastungen. © hil/sb/aerzteblatt.de

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