Medizin
Das menschliche Ortsgedächtnis ist fragmentiert
Montag, 12. September 2016
Tübingen – Das menschliche Ortsgedächtnis besteht aus vielen Einzelkarten. Das berichten Marianne Strickrodt und Tobias Meilinger vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen in der Zeitschrift Cognition (2016; doi: 10.1016/j.cognition.2016.06.003).
Die Kaffeemaschine in der Küche, die Zahnbürste im Bad – für die Alltagsbewältigung benötigen Menschen ein mentales Abbild ihrer Umgebung und der Dinge darin. Wie dieses Ortsgedächtnis genau funktioniert, ist laut den Wissenschaftlern bislang nicht klar.
In der Studie testeten die Max-Planck-Forscher mithilfe einer 3D-Brille das Ortsgedächtnis von Versuchspersonen in einer virtuellen Umgebung: Zum einen in einem offenen, übersichtlichen Raum, zum anderen in verschachtelten Korridoren. In beiden Räumlichkeiten sollten sie sich ein Arrangement aus sieben virtuellen Objekten einprägen. Die Objekte waren in beiden Szenarien exakt gleich verteilt. Die verschachtelten Korridore, den sogenannten Navigationsraum, mussten sich die Teilnehmer erst zu Fuß erschließen, um alle Objekte zu sehen. Im offenen Raum war alles auf einen Blick erkennbar.
Danach fragten die Forscher die Probanden ab: Wo waren der Teekessel, die Banane, der Hammer und die übrigen Gegenstände.
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Es zeigte sich: Lernten sie in der verschachtelten Korridorumgebung, erinnerten sie sich sofort an Objekte, die sich im gleichen Korridor wie sie selbst im Moment der Befragung befanden. Sie brauchten allerdings länger, um sich Objekte aus dem Nachbarkorridor ins Gedächtnis zu rufen und wiederum noch länger für Objekte, die zwei Korridore entfernt lagen. Der Zugriff auf ihr Ortsgedächtnis verlief also schrittweise, Korridor für Korridor.
Personen, die im offenen Raum gelernt hatten, konnten sich hingegen an alle Objekte gleich schnell erinnern. Ein Kontrollexperiment zeigte laut den Wissenschaftlern, dass diese Unterschiede im Aufbau des Ortsgedächtnisses durch die Verschachtelung und begrenzte Sichtbarkeit in den Korridoren zustande komme.
„Unsere Ergebnisse sprechen dagegen, dass wir eine große, allumfassende mentale Karte von der Umgebung aufbauen, aus der wir schnell und flexibel alle Orte herauslesen können“, folgert Strickrodt aus den Versuchsergebnissen.
„Die Ergebnisse sind für die Forschung zu den neuronalen Grundlagen der Navigation relevant. Viele bisherige Erkenntnisse wurden innerhalb von offenen Räumen gewonnen“, sagte der Studienleiter Tobias Meilinger. Diese Ergebnisse würden aber offenbar nicht für die Navigation in verschachtelten Räumen gelten – wie sie in der realen Welt üblich seien. © hil/aerzteblatt.de

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