Medizin
Risikogene liefern neue Erklärung für die Hypertonie
Montag, 12. September 2016
London/Harvard/Cambridge – Drei Forschergruppen haben in den bisher größten Studien zum Einfluss von Genvarianten auf den Blutdruck eine Reihe bisher unbekannter Risikogene entdeckt. Ihre Publikationen in Nature Genetics (2016; doi: 10.1038/ng.3654, 3660 und 3667) deuten darauf hin, dass die Ursachen der häufigen Störung vielfältig sind und nicht allein in einer Störung der Blutdruckregulation durch die Nieren zu suchen ist.
Auch wenn die arterielle Hypertonie eine Zivilisationserkrankung ist, ausgelöst durch die bekannten Risikofaktoren Rauchen, Adipositas, Bewegungsmangel, Stress, Alkohol und ein zu hoher Salzkonsum, ist eine familiäre Häufung unverkennbar. Etwa 40 bis 50 Prozent der Blutdruckunterschiede in der Bevölkerung sollen genetisch bedingt sein. Die Suche nach den verantwortlichen Genen blieb jedoch weitgehend erfolglos. Gerade einmal 2 Prozent der Unterschiede lassen sich durch bekannte Gene erklären.
Zwei neue Untersuchungen haben jetzt weitere Risikogene entdeckt. Dabei kamen zwei unterschiedliche DNA-Microarrays zum Einsatz, die in einer Blutprobe gleichzeitig eine Vielzahl von Genvarianten bestimmen können. Der erste Test, der Exome Chip, sucht nach Veränderungen in den Genen, die die Information für die Proteine des menschlichen Körpers speichern.
Die Gruppe um Christopher Newton-Cheh vom Massachusetts General Hospital in Boston entdeckte 31 neue Gendefekte, die den Blutdruck beeinflussen. Darunter war das Gen ENPEP. Es kodiert das Enzym Aminopeptidase A, das Angiotensin II in Angiotensin III umwandelt. Es ist also Bestandteil des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems, über das die Nieren den Blutdruck regulieren.
Die anderen Gene haben jedoch keinen direkten Einfluss auf die Blutdruckkontrolle. Dazu gehört RBM47. Es enthält die Information für ein Protein, das an der Boten-RNA bindet und damit die Aktivierung anderer Gene beeinflusst. Es ist grundsätzlich vorstellbar, dass dies den Blutdruck beeinflusst. Wie, ist jedoch nicht bekannt.
Das Gen RRAS ist in die Regulierung des Zellzyklus involviert. Mutationen in diesem Gen wurden in früheren Untersuchungen mit dem Noonan-Syndrome in Verbindung gebracht, zu denen auch Herzfehler gehören. Ein Einfluss des Gens auf den Blutdruck ist damit vorstellbar. Das Gen COL21A1 kodiert ein Vorläufer-Protein für Kollagen Typ XXI, das im Herz und in der Aorta vorkommt. Störungen könnten den Blutdruck beeinflussen. COL21A1 und RRAS sind am Umbau der Gefäßwand nach einer Schädigung beteiligt, was ihre Bedeutung zur Entstehung einer Hypertonie weiter unterstreicht.
Die Untersuchung mit einem weiteren Exome Chip (BeadChip) deckte eine Assoziation mit drei seltenen Genvarianten auf, die jedoch einen größeren Einfluss auf den Blutdruck hatten. Dies war laut dem Team um Daniel Chasman, ebenfalls vom Massachusetts General Hospital, einmal das NPR1-Gen. Es kodiert den Rezeptor für das atriale natriuretische Peptid und das natriuretische Peptid Typ B, zwei Herzhormone, die auf Dehnung des Vorhofs hin die Urinausscheidung steigern, was bekanntermaßen einen Einfluss auf den Blutdruck hat.
Die zweite Variante befand sich im Gen DBH. Es enthält die Erbinformation für das Enzym Dopamin-beta-hydroxylase, das die Umwandlung von Dopamin in Noradrenalin katalysiert. Die Genvarianten könnten in die autonome Blutdruckregulation eingreifen. Störungen des Enzyms sind eine bekannte Ursache der orthostatischen Hypotension, die nach dem raschen Aufstehen zur Bewusstlosigkeit führen kann. Die dritte Variante befand sich im Gen PTPMT1. Es kodiert das mitochondriale Protein Tyrosine phosphatase 1, das unter anderem in die Insulinproduktion eingreift.
Die dritte Untersuchung verwendete einen Cardio-Metabochip. Er sucht auf dem Genom nach Genvarianten, die in anderen Untersuchungen bereits mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Stoffwechselstörungen in Verbindung gebracht wurden. Die vom Team um Patricia Munroe von der Queen Mary University of London entdeckten Assoziationen betreffen teilweise Gene, die die Endothelfunktion beeinflussen.
Der Anteil der Gendefekte, die die Blutdruckregulation in den Nieren beeinflussen könnten, war laut Munroe relativ gering. Dies muss allerdings nicht viel bedeuten, da die Genetiker weiterhin weit davon entfernt sind, die Heritabilität der Hypertonie zu erklären. Ein Risiko-Score, der 66 Genvarianten berücksichtigte, erklärte gerade einmal 3,5 Prozent des erblichen Risikos. © rme/aerzteblatt.de

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