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Ärzteschaft

Kinderärzte warnen vor „Diätenhype“

Dienstag, 13. September 2016

/dpa

Hamburg – Der Verband der auf Magen-Darm-Krankheiten spezialisierten Kinder­ärzte hat vor einem „Diätenhype“ gewarnt. Einschneidende Ernährungsumstellungen – wie etwa eine glutenfreie Kost oder das Weglassen bestimmter Zuckerarten – ohne fundierte Diagnose durch einen Facharzt könnten zu erheblichen Störungen bei Kindern führen. „Es gibt sinnvolle Diäten und es gibt Diäten, die sind rein mystisch“, sagte der Vor­sitzen­de der Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE), Michael Melter, heute in Hamburg.

Der Regensburger Professor räumte selbstkritisch ein, dass die Medizin vor 30 Jahren noch zahllose Diäten empfohlen habe. „Heute würden wir bei 90 Prozent dieser Sachen sagen, das ist eine Form der Kindeswohlgefährdung, was wir da getan haben.“ Heute wisse man, dass der Mensch so variabel sei, dass er in der Regel extrem viele verschie­dene Substanzen verdauen und nutzen könne. Der Darm sei ein „Meister der Integra­ti­on“.

Der Bremer Kinderarzt und Gastroenterologe Martin Claßen äußerte Verständnis für El­tern, die ihren Kindern bei Bauchschmerzen, Blähungen und Durchfall helfen wollten und dabei nach jedem Strohhalm griffen. Die überwiegende Mehrzahl dieser Leiden bei Kin­dern und Jugendlichen hätten aber keine organische Ursache. Es sei zwar wichtig, nach Nahrungsunverträglichkeiten zu suchen. Doch viele Heilpraktiker diagnostizierten Aller­gien mit unwissenschaftlichen Methoden. „Dann wird Kuhmilch weggelassen, dann wird Weizen weggelassen“, sagte Claßen. Doch wenn Kinder keine Milch bekämen, könne es zu einem Kalziummangel und im Erwachsenenalter zu Osteoporose kommen. „Milchfreie Ernährung, ohne dass es notwendig ist, ist ein Risiko für die Kinder“, betonte Claßen.

Die glutenfreie Ernährung sei ein weiteres Problem. Sie sei bei der chronischen Darm­krank­heit Zöliakie zwar sehr hilfreich. Es gebe aber den Trend, auch ohne diese Diag­no­se auf Lebensmittel mit dem Klebereiweiß zu verzichten. Claßen hält vor allem die sozia­len Folgen für bedenklich. „Das Risiko ist, dass die Teilhabe dieser Kinder an altersge­rechten Aktivitäten vermindert ist.“ Als Beispiel nannte er das gemeinsame Essen auf Kin­dergeburtstagen oder Restaurantbesuche mit Freunden.

Hinter den zahlreichen Diäten stecke die Vorstellung, mit einer kleinen Stellschraube etwas Grundsätzliches in die richtige Richtung drehen zu können, sagte Melter. „Das funktioniert nicht.“ Claßen wies daraufhin, dass medizinisch nicht sinnvolle Diäten einen Placeboeffekt haben könnten. In solchen Fällen sollte man versuchen, nach einer ge­wissen Zeit die weggelassenen Nahrungsbestandteile wieder zu essen, und schauen, ob die Beschwerden zurückkommen. „In vielen Fällen kommen sie nicht wieder“, so Claßen.

Das Thema Diätenhype und die Immunabwehr im Darm sind Schwerpunkte des Kon­gresses für Kinder- und Jugendmedizin, zu dem morgen mehr als 2.500 Ärzte, Schwes­tern und Therapeuten in Hamburg erwartet werden. Zu den weiteren Themen der Jahres­tagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin gehören die Lebensperspektiven von Frühgeborenen und die Versorgung von Migranten. © dpa/aerzteblatt.de

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