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Ärzteschaft

Überflüssige Arztbesuche: Ärzte weisen Kritik zurück

Mittwoch, 14. September 2016

/dpa

Berlin – Müssten die Bundesbürger nur halb so oft zum Arzt – ohne, dass es ihnen schlechter ginge? Das behauptet der Chef der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH), Ingo Kailuweit. Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und Patientenschützer sind ganz anderer Meinung.

Kailuweit hatte Bild online gesagt, in Deutschland gebe es nicht zu wenig Ärzte, sondern zu viele Arztkontakte. Die Hälfte dieser Arztbe­su­che sei „über­flüssig“. Nicht Vermitt­lungs-, sondern Verteilungsprobleme seien der Grund für fehlen­de Facharzttermine. Zudem er­klärte er der Bild, Patienten würden zu häufig falsch behandelt und Hausärzte hielten ihre Patienten zu lange.

„Wir müssen dringend über eine Steuerung der Inanspruchnahme medizinischer Leis­tungen sprechen, wie es KBV und Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) in ihrem Pro­gramm ,KBV 2020’ auch fordern“, sagte der Vor­stands­vorsitzende der KBV, Andreas Gassen. Purer Populismus à la KKH führe aber nicht weiter. Gassen betonte, einzelne Krankenkassen trieben zudem selbst die Zahl der Arztkontakte hoch, indem sie etwa offensiv bei ihren Versicherten das Einholen von Zweitmeinungen bewerben würden.

Gassen verwies darauf, dass schon heute jede zehnte von Ärzten erbrachte Leistung im Durchschnitt nicht vergütet wird. „Es besteht also überhaupt kein Interesse daran, un­nö­tigerweise die Zahl der Arztkontakte beziehungsweise der Praxisbesuche der Patienten zu steigern“, so Gassen.

Das Problem im kränkelnden Gesundheitswesen sei nicht der Patient, sondern das Sys­tem, hieß es von der Freien Ärzteschaft (FÄ). Im Sachleistungssystem der gesetz­lichen Krankenversicherung (GKV) blieben die Patienten in völliger Unkenntnis über die Kosten von Arztbesuchen, sagte FÄ-Vorsitzender Wieland Dietrich. Nur mit einer sozial­ver­träg­li­chen Selbstbeteiligung oder dem Prinzip der Kostenerstattung wie in der Pri­vaten Kran­ken­versicherung ließe sich die Anzahl der Arztbesuche reduzieren. Grundsätzlich müsse in einer liberalen Gesellschaft letztlich dem einzelnen Patien­ten überlassen bleiben, ob ein Arztbesuch notwendig und wie dringend dieser sei.

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz zeigte sich irritiert über die Äußerungen. Vorstand Eugen Brysch wies die Behauptungen Kailuweits als „heiße Luft“ zurück. Es gebe keine Beweise dafür, dass die Hälfte der Arztbesuche überflüssig sei. „Wenn Kran­kenkassen davon träumen, Arztbesuche zu steuern, dann ist das der Albtraum für die Patienten“, so Brysch. Die Linken-Chefin Katja Kipping sprach von einem „absurden Vor­wurf“. Sie erklärte, zu einer guten Gesundheitsvorsorge gehöre auch, im Zweifelsfall ei­nen Arzt zu konsultieren. Den Leuten zu sagen, sie sollten nicht so häufig zum Arzt gehen, „lenkt davon ab, dass die Bundesregierung die gesetzliche Gesund­heits­ver­sor­gung aushöhlt“.

Auf welche Fakten Kailuweit seine Aussagen konkret stützt, dazu äußerte sich die Kasse auf Nach­frage des Deutschen Ärzteblattes (DÄ) nicht. Die KKH verwies lediglich auf Zahlen der OECD aus dem Jahr 2013, wonach es in Deutschland rund 10 Arztbe­su­che pro Kopf und Jahr gebe. Damit läge man über dem OECD-Durchschnitt von 6,6. Da­rü­ber hinaus würden eigene Daten der Kassen zeigen, dass 20 Prozent der KKH-Versi­cher­ten fünf oder mehr Medikamente einnähmen. KKH-Daten zufolge würden rund 25 Prozent der Arzneimittel, die auf der Priscus-Liste stünden, dennoch älteren Patienten verordnet. Das führe zu Folgeerkrankungen und Nebenwirkungen, die ebenfalls wieder ambulant oder sogar stationär behandelt werden müssten, hieß es.

Bei der Kritik Kailuweits, Hausärzte würden Patienten nicht schnell genug überweisen, ru­dert der Kassenchef zurück. Dem sagte die KKH, es gelte, die Haus­arzt­­praxis zur Schaltstelle im Gesundheitssystem auszu­bauen. Für die Versicherten, die sich in einen Hausarztvertrag einschreiben würden, sei der Hausarzt dann stets ers­ter Anlauf­punkt. „Er überweist rechtzeitig an die Fachärzte, bei ihm laufen die Berichte über Befun­de, Therapien und verordnete Medikamente zusammen. Die Fachärzte wie­de­rum geben ihre Patienten mit positivem Behandlungsverlauf wieder an die Hausärzte zu­rück. Somit entstehen keine Wartezeiten und keine Doppel­versorgun­gen“, hieß es.

Kailuweit hatte im Gespräch mit Bild online nicht nur die Ärzte, sondern auch Bundes­ge­sundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) attackierte. Der Kassenchef warf dem Mi­nis­ter vor, Struktur­re­for­men zur Lösung gesundheitspolitischer Probleme zu ver­nach­lässi­gen. Dass es kaum Kri­tik an der Gesundheitspolitik der Regierung gebe, liege daran, dass der Arbeitgeberan­teil am Kassenbeitrag festgeschrieben sei. Im laufenden und kommen­den Jahr rechnet Kailuweit mit einer Kostensteigerung für die gesetzlichen Kranken­kassen von 4,5 Milli­ar­den Euro. „Das hätten die Arbeitgeber nie zugelassen, wenn sie die Hälfte davon hätten zahlen müssen“, sagte er. © may/dpa/afp/kna/aerzteblatt.de

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Kommentare

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Avatar #115425
Herz1952
am Donnerstag, 15. September 2016, 15:22

Gehen wir Patienten doch besser gleich zu den KK-Vorständen....

....die haben den Röntgenblick schon genetisch vorprogrammiert und haben "hinterher alles schon vorher gewusst".
Avatar #37858
jmh-mgh
am Donnerstag, 15. September 2016, 14:11

Recht hat der Mann !!!

Obwohl ich Herrn Kailuweit nicht mag, aber auch nicht persönlich kenne, muss ich ihm als junger Hausarzt durchaus Recht geben.
Ich verbringe viel Zeit mit Terminen, die nicht nötig wären.
Die Denkweise in den Köpfen der Leute veranlasst sie, jede Kleinigkeit vorzuzeigen um Sicherheit zu bekommen.
Meiner Meinung nach eine Begleiterscheinung des gesellschaftlichen Wandels, weg von Großfamilien mit Oma als erter "Heilerinstanz" hin zu halbwissenden, fehlaufgeklärten, verunsicherten Alles-Bezweiflern durch Medien und Internet.
Und die All-inclusive-Mentalität läßt die umherirrenden auch noch ernsthaft glauben, sie müssten ihr Recht zur Diskussion "auf Augenhöhe" zu jeder Tag- und Nachtzeit mal mehr, mal weniger wehement einfordern.
Liebe Kollegen, regt euch doch über Herrn Kailuweit nicht auf; der Mann hat Recht, und ich fühle mich diesmal GAR NICHT von ihm gemeint!
Das verwunderliche (!!! Z!) ist aber, dass er nicht die richtigen Konsequenzen anspricht. Möglicherweise, weil bei einer Krankenversicherung, die nur eine bestimmte Anzahl an Arztbesuchen im Quartal übernimmt, wohl kaum einer versichert sein möchte.
Opportunistische Zurückhaltung, Diplomatie, Denkhemmung, .... ich weiss es nicht.
Einz darf allerdings auf keinen Fall passieren, dass wir, liebe Kollegen, noch mehr als bisher zum beurteilenden Organ, und damit noch mehr zu Handlangern der Krankenkassen werden.
Der Imppuls sich bei seinem Arzt vorzustellen, und dies in Form eines Termins, kommt meist vom Patienten.
Für des Patienten Unsicherheit und sein Verlangen nach fachmännischer Beurteilung kann ich nichts, ihn gut zu informieren, so dass er wenn schon nicht immer beruhigt, zumindest aber durch Wissen oder Verstehen - gelegentlich auch zur selben Zeit auftretend - sicherer von dannen zieht, sorge ich, aber ich werde das Vertrauensverhältnis niemals dadurch untergraben, dass ich mich irgend einer Krankenkasse (Leistungserbringer sind in meinenen Augen NUR WIR ÄRZTE)zur Gewinnoptimierung einspannen lasse und meine Patienten "in die Pfanne haue".
"Ergo + also = ergalso" (Zitat Jochen Malsheimer):
Sehr geehrter Herr Kailuweit, Sie haben Recht, aber ich fühle mich nicht angesprochen. Wenn Sie etwas ändern wollen, nur zu .... Aber bitte, es ist Ihre Aufgabe, es ihren Versicherten zu erklären, es so vertraglich festzulegen, es zu kontrollieren und es bei Missbrauch zu sanktionieren.
Und wir, liebe Kollegen, lehnen uns zurück und lassen den K. mal machen.
MfG
Dr. J. H.
Avatar #79783
Practicus
am Donnerstag, 15. September 2016, 01:35

Wir Ärzte

sind doch die Hauptleidtragenden der übermäßigen Inanspruchnahme! Dadurch steigt nur der unbezahlte Teil unserer Arbeit an...
Hausärzte überweisen zu wenig? Jede Überweisung bedeutet 3! zusätzliche Arztkontakte: Ausstellen, Facharztkontakt, Egebnis besprechen...
Nur ein "Eintrittsgeld" kann hier steuernd wirken (zB Schweden) - oder überlange Wartezeiten reduzieren das Anspruchsverhalten der Versicherten.
AU-Bescheinigungen und Schulatteste wegen Bagatellen, "Gesundheitskampagnen" der Krankenkassen, Bonusprogramme, Krankheitshysterie... und die Verpflichtung, keinen Versicherten abzuweisen, das sind die Faktoren, die übeflüssige Arztbesuche generieren - bestimmt nicht das Überweisungsverhalten der Hausärzte.
Haben Politik und Kassen noch nicht mitbekommen, dass häufige Arztbesuche den Ärzten keinen wirtschaftlchen Nutzen bringen?
Avatar #93082
Narkoleptiker
am Mittwoch, 14. September 2016, 19:41

Überflüssige Arztbesuche

Ja, diese gibt es. Vor allem dann, wenn der Arzt so wenig Zeit hat, dass er gewissermaßen durch das Sprechzimmer rauscht, schnell etwas in seinen PC hackt, nicht zuhört und dann auch noch falsche Röntgenaufnahmen gemacht werden, die ein anderer Facharzt als nicht verwendbar einstuft.

Solche Ärzte - die es leider scheinbar viele gibt (gern bei Orthopäden und Chirurgen) nach meiner aktuellen Erfahrung - sorgen dafür, dass Patienten unaufgeklärt und informiert sich ratlos an andere Ärzte wenden oder aber häufiger in die Praxis gehen, weil sie hoffen, irgendwie doch zu einem Ergebnis zu kommen. Ich mache das gerade seit Mitte Juni durch.

Es geht weiter damit, dass Ärzte gem. AU-Richtlinie maximal für 2 Wochen eine AU bescheinigen dürfen. Dummerweise gibt es Fälle, wo absehbar ist, dass die AU z.B. 6 Wochen andauert. D.h. Patient hat 2 unnötige Arztbesuche (die nicht unnötig wären, wenn der Arzt überhaupt Zeit für den Patienten hätte). Einmal ganz davon abgesehen, dass der Patient bei einer AU kein Krankengeld bekommt, bevor der Zeitraum abgelaufen ist.

Ich bin der Auffassung, dass sich vieles vermeiden liese, wenn die sog. sprechende Medizin besser vergütet und mehr zum Tragen käme. Der Patient erhält die nötigen Informationen und rennt nicht wieder zum Arzt, weil ihm etwas komisch vorkommt. Verunsichert bleibt nichts anderes, als wieder hinzugehen, weil er ja nicht weiß, dass es normal ist, was da gerade in ihm passiert.

Hausarzt: Das der Hausarzt Hauptanlaufstelle für die Patienten sein soll, das gibt es faktisch schon seit Jahrzehnten. Ich habe das auch versucht, nur leider gibt es Regionen, wo man auf Grund der Verhältnisse leider immer wieder mal den Arzt wechseln muß. Dann wird es schwierig.

Mir ist außerdem ziemlich unklar, warum viele Dinge, z.B. Telemedizin bei bestimmten Erkrankungen, z.B. der Psyche, nicht mehr zur Anwendung kommt. Es so schwer ist, Befunde zu bekommen, es keine zentrale Patientenakte gibt, die der Patient selbst auch einsehen kann u.s.w. Da wird so vieles an Aufwand produziert...

Vergütet die Ärzte ordentlich, z.B. im Hausarztbereich, damit sie nicht das Fliesband anwerfen. Sie werden sehen, es würde vieles leichter und am Ende preiswerter. Bringt den Ärzten bei, wie man mit den Patienten redet, was wirklich Aufklärung ist. Gebt Sachen zum Lesen mit. Automatisch die Befunde an den Patienten. Dann wäre vieles einfacher.

Ich habe eine Software, die kann man z.B. in Amerika hervorragend dazu benutzen, Laborwerte vom Arzt übermittelt zu bekommen. Nur hier geht das nicht. Gleiches Drama mit Röntgenaufnahmen. Nach meiner Wirbelsäulen-OP gerade habe ich mittlerweile 6 CD/DVD, statt das die Aufnahmen auf einem Server abrufbar liegen.

Soweit von einem Patienten, einem Laien, der keine Ahnung hat. Aber der verdammt viele Kosten verursacht...

Achso, die KVs, Ärztekammern etc. sollten sich mal die Patientenbewertungen vornehmen und bei krassen Fällen Prüfungen vornehmen. Das könnte auch Kosten reduzieren, weil diese Ärzte automatisch durch ihr Verhalten Patienten vertreiben und andere Ärzte dann von vorn anfangen müssen. Beispiele kann ich gern liefern.

Abschließend: Es gibt zum Glück noch sehr gute, bemühte, kommunikative und empathische Ärzte. Denen ein herzliches Dankeschön, ich bin heilfroh, Sie zu haben und das es Sie gibt.
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