Medizin
Cholesterin: Nutzen von Statinen wird unterschätzt
Donnerstag, 15. September 2016
London – Um eine zunehmend skeptische Öffentlichkeit von den Vorteilen einer Statintherapie zu überzeugen, haben britische Forscher die Daten zu Nutzen und Risiken der kostengünstigen Therapie im Lancet (2016; doi: 10.1016/S0140-6736(16)31357-5) zusammengefasst. An einer positiven Nutzen-Risiko-Bilanz ist danach nicht zu zweifeln.
Hintergrund: Im Jahr 2013 hatte das National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE), das für den staatlichen Gesundheitsdienst NHS die Effektivität und Wirtschaftlichkeit von Behandlungen prüft, neue Empfehlungen zur Senkung hoher Cholesterinwerte herausgegeben.
Eine Indikation zur Behandlung mit Statinen wurde jetzt bei einem 10-Jahres-Risiko eines kardiovaskulären Ereignisses von 10 Prozent gesehen statt zuvor 20 Prozent. Dies bedeutete, dass zusätzliche 4,5 Millionen Menschen in England und Wales täglich Statine einnehmen sollten. Dadurch würde langfristig 28.000 Herzinfarkten und 16.000 Schlaganfällen vorgebeugt, hatte NICE ausgerechnet.
Diese Empfehlung wurde im British Medical Journal (BMJ 2013; 347: f6123) von dem US-amerikanischen Harvardmediziner John Abramson infrage gestellt. Abramson argumentierte, dass der absolute Nutzen für Menschen mit geringem Ereignisrisiko gering sei und mit dem Nebenwirkungsrisiko in Beziehung gesetzt werden müsse.
Dabei wurde eine Rate von 18 bis 20 Prozent aller Patienten genannt, die unter Risiken und Nebenwirkungen der Statine zu leiden hätten und vielfach die Therapie vorzeitig abbrechen würden. Das Medieninteresse war groß und im ganzen Land sollen nach einer späteren Schätzung etwa 200.000 besorgte Patienten ihre Statine abgesetzt haben.
Der Beitrag im BMJ löste in der Fachwelt Kritik aus. Das Journal habe dazu beigetragen, dass im nächsten Jahrzehnt 2.000 Menschen zusätzlich einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden würden, hieß es. Das BMJ sah sich genötigt, die Behauptung, 18 bis 20 Prozent würden unter der Einnahme von Statinen Nebenwirkungen erleiden, in einem Editorial zurückzunehmen (BMJ 2014; 348: g3306). In Wirklichkeit würden weniger als 10 Prozent die Therapie abbrechen, von denen dann aber die meisten bei einem späteren Therapieversuch das Mittel wieder vertragen würden.
Jetzt fassen Rory Collins vom Nuffield Department of Population Health der Universität Oxford noch einmal Nutzen und Risiken der Statine zusammen. Nach ihren Berechnungen würde die Senkung des Cholesterins um 2 mmol/l, die mit einem kostengünstigen Statin-Generikum wie Atorvastatin 40 mg/die mit Tagestherapiekosten von 2 Pfund möglich sei, eine deutliche präventive Wirkung erzielen.
In der Sekundärprävention von Patienten, die bereits an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung leiden, würden bei einer Behandlung über fünf Jahre bei 10.000 Patienten 1.000 kardiovaskuläre Ereignisse verhindert. Damit hätte jeder zehnte einen Nutzen.
In der Primärprävention von Menschen mit Risikofaktoren wie Alter, Hypertonie oder Diabetes würde die Behandlung über fünf Jahre bei 10.000 Menschen 500 kardiovaskuläre Ereignisse verhindern. Das ergibt immerhin noch einen Nutzen für einen von 20 Menschen.
Diesem Nutzen stehen laut Collins eine Zahl von fünf Myopathien (darunter eine Rhabdomyolyse) auf 10.000 Personen gegenüber, die über fünf Jahre behandelt werden. Hinzu kämen noch einmal fünf bis zehn hämorrhagische Schlaganfälle, 50 bis 100 zusätzliche Neuerkrankungen am Diabetes sowie 50 bis 100 Fälle von symptomatischen Nebenwirkungen wie Muskelschmerzen, die ohne Folgen für die Patienten bleiben. Collins hat aufgrund der Berechnungen keine Zweifel am Nutzen der Statine.
Dass der Beitrag jetzt im Lancet erschien, ist übrigens kein Zufall. Das Journal hatte im Jahr 1998 eine (inzwischen wegen nachweislicher Fehler zurückgezogene) Studie veröffentlicht, die die MMR-Impfung mit Autismuserkrankungen in Verbindung gebracht hatte. Dies hatte nicht nur in Großbritannien zu einem deutlichen Rückgang der Impfquoten geführt. In Irland kam es zwei Jahre später zu einem Masern-Ausbruch mit mehr als 300 Erkrankungen, 100 Hospitalisierungen und 3 Todesfällen. Das Ansehen des Lancet hat in der Folge unter dem Skandal gelitten und der „geläuterte“ Chefredakteur des Lancet, Richard Horton, ist im Editorial spürbar um eine Wiedergutmachung bemüht. © rme/aerzteblatt.de

LANCET-Publikation überschätzt!
http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736%2816%2931357-5/abstract
überschätzt spekulativ Lipidsenker-Effekte, vergleicht sie gar nicht erst mit rein physikalischen Behandlungsmöglichkeiten bzw. Lebensstil-Interventionen und unterschätzt vorsätzlich potenzielle Nebenwirkungen und Risiken.
Entscheidend ist die Krankheits-Vorgeschichte und der Gesundheitsstatus unserer Patientinnen und Patienten. Gesunde profitieren einfach wesentlich weniger von einer schrotschussartigen Statin-Therapie ("fire and forget"). Darauf weisen die Ergebnisse der HOPE-3-Studie (Heart Outcomes Prevention Evaluation-Study-3) hin.
Ältere Menschen wurden dabei präventiv mit Medikamenten zur Senkung von Blutdruck und Cholesterin behandelt, auch wenn Blutdruck und Cholesterinwerte gar nicht erhöht waren. Das hatte zu dürftigen und weitgehend insignifikanten Studienergebnissen geführt.
Die Ergebnisse von Rosuvastatin (Dosis: 10 mg/die) sowie einer Kombination aus Candesartan (16 mg/die) und Hydrochlorothiazid (12,5 mg/die) waren desolat bis niederschmetternd: Die Monotherapie mit dem Statin senkte den primären Studien Endpunkt von 4,8 Prozent im Placebo-Arm auf 3,7 Prozent nach der Behandlung mit Rosuvastatin, also gerade mal um 1,1 von Hundert.
Bei Kombination aus Candesartan (16 mg/die) und Hydrochlorothiazid (12,5 mg/die) sank der primäre Endpunkt von 4,4 auf 4,1 Prozent (Hazard Ratio 0,93; 0,79-1,10), also nur um 0,3 von Hundert. Der coprimäre Endpunkt sank von 5,2 auf 4,9 Prozent (Hazard Ratio 0,95; 0,81-1,11), also ebenfalls um 3 auf Tausend.
Ist doch mit Gewichtsreduktion, zielgerichtet-indizierter Therapie ("treat-to-target") und Bewegungsaktivität nicht wesentlich mehr nebenwirkungsfrei zu erreichen?
Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Nachrichten zum Thema

Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.