Ärzteschaft
Demenz: Tabuthema darf nicht verschwiegen werden
Dienstag, 20. September 2016
Berlin – Über das Tabuthema Demenz muss gesprochen werden, Erkrankte und pflegende Angehörige müssen aus der gesellschaftlichen Isolation geholt werden. Das hat die Bundesärztekammer (BÄK) anlässlich des morgigen Welt-Alzheimertages angemahnt. BÄK-Vizepräsident Max Kaplan wies darauf hin, dass die Pflege physisch wie auch psychisch sehr belastend sein könne. „Familienangehörige laufen Gefahr, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein, sich zu verausgaben und selbst zu erkranken“, sagte er.
Der BÄK-Vizepräsident sieht in der Pflegereform der Bundesregierung die Chance auf Entlastung pflegender Angehöriger. Auch sei es gut, dass die Pflegereform Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen mehr Unterstützung zukommen lasse. Es komme nun aber auf die praktische Umsetzung des Gesetzes an. „Wir brauchen mehr Personal in den stationären Einrichtungen und wir müssen die ambulante Pflege, teilstationäre Angebote und betreute Wohngruppen massiv ausbauen“, so Kaplan. Er fordert angesichts steigender Zahlen sowohl der Erkankten als auch der pflegenden Angehörigen eine Kooperation aller Akteure, „um die bestmögliche Betreuung dieser Patientengruppe zu gewährleisten“.
Unterdessen zeigt eine Umfrage der Techniker Krankenkasse (TK), dass fast zwei Drittel (60 Prozent) der pflegenden Angehörigen sich emotionale Unterstützung wünscht. Dieser Wunsch wird laut TK noch häufiger genannt, als jener nach Hilfe bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten oder organisatorischen Aufgaben. „Emotionale Unterstützung kommt für Pflegende Demenzkranker auch deshalb oft zu kurz, weil die Erkrankung mit der Zeit immer mehr Betreuung und Begleitung einfordert. Permanent für jemanden da zu sein, dessen Wesen sich stark verändert, kann belasten und sozial isolieren“, sagte der Pflegeexperte der Kasse, Georg van Elst.
Bei seelischen Belastungen können sich pflegende Angehörige an ein Online-Portal wenden, das pflegende Angehörige berät. Die Beratung bei geschulten Psychologen ist auch anonym möglich und für die Betroffenen kostenlos. Neben konkreten Entlastungsvorschlägen erarbeiten die Berater gemeinsam mit den Betroffenen individuelle Wege, die Pflegeaufgabe zu bewältigen.
Die Beratungswünsche der Pflegenden von Demenzkranken machen rund ein Drittel aller Anfragen aus. Wichtig sei für sie das Verständnis der Krankheit, erläuterte Projektleiterin Imke Wolf. Auch wenn es banal klinge, müsse man verinnerlichen, dass Demenz als hirnorganische Erkrankung die Psyche und das Verhalten verändere. Ein Erkrankter könne also keine Verantwortung für sein Handeln übernehmen.
„Es ist ein Lernprozess, ihnen dafür nicht die Schuld zuzuweisen“, so Wolf. Sie machte deutlich, dass auch Aggressionen auftreten. Während körperliche Gewalt selbst eher die Ausnahme sei, komme es jedoch häufiger zu deren Vorstufen, wie unwirschen Reaktionen oder dauerhaftem Genervtsein, so Wolf. In der Pflegestudie der TK gab mehr als jeder Fünfte (23 Prozent) der Pflegenden von Demenzkranken an, der Umgangston sei häufig gereizt oder aggressiv – gegenüber nur 13 Prozent der Pflegenden von Menschen ohne Demenz.
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Zur Entspannung kann laut Wolf das Umfeld entscheidend beitragen. „Jeder hat in seinem Umfeld einen Pflegefall – hier gilt es, konkret Hilfe anzubieten und nicht erst auf die Bitte um Unterstützung zu warten. Pflege darf nicht auf den Schultern eines Einzelnen lasten.“ Laut der Umfrage muss nahezu jeder Fünfte (18 Prozent) die Pflege eines Demenzkranken alleine leisten.
In Deutschland leben nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) gegenwärtig 1,6 Millionen Menschen mit Demenz. Rund 60 Prozent davon leiden an einer Demenz vom Typ Alzheimer. Ihre Zahl wird bis zum Jahr 2050 auf drei Millionen steigen, sofern kein Durchbruch in der Forschung oder Prävention gelingt. Ebenso wird die Anzahl derjenigen Menschen steigen, die demenziell erkrankte Angehörige pflegen.
© EB/may/aerzteblatt.de

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