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Medizin

Propriozeption: Mutation führt zum Verlust des „sechsten Sinnes“

Donnerstag, 22. September 2016

Bethesda –  Der Ausfall eines mechano-sensorischen Membrankanals kann zum kompletten Verlust der Propriozeption führen, was laut einem Bericht im New England Journal of Medicine (2016; doi: 10.1056/NEJMoa1602812) für zwei Patienten weitreichende Folgen hatte.

Den meisten Menschen ist nicht bewusst, dass sie über eine Propriozeption verfügen. Dieser „sechste Sinn“ zeigt ihnen auch im Dunkeln, wo sich Arme und Beine befinden und ob diese gerade gebeugt oder gestreckt sind. Zwei Frauen im Alter von 18 und 19 Jahren, die ein Team um Carsten Bönnemann von National Institute of Neurological Disorders and Stroke (NINDS) untersucht hat, fehlte dieser Sinn – was einige Schwierigkeiten im Alltag zur Folge hatte.

Ihr Gangbild ist unsicher und einfache Tätigkeiten wie Essen oder Anziehen fallen ihnen schwer, weil sie alle Bewegungen mit den Augen verfolgen müssen. Bei geschlossenen Augen finden sie mit den Fingern die Nasenspitze kaum und in der Dunkelheit können sie sich kaum auf den Beinen halten.

Die Koordinationsstörungen waren jedoch nicht die einzigen Auffälligkeiten. Beide hatten seit der Geburt eine Hüftdysplasie, Fingerkontrakturen und Fußdeformitäten. Später kam es zu einer schweren Skoliose, die Bönnemann ebenfalls auf die fehlende Propriozeption zurückführt: Bei Muskelbewegungen fehlt dem Gehirn die Rückmeldung über das erzielte Ergebnis, was intra-uterin offenbar dauerhafte Fehlstellungen begünstigt, die nach der Geburt nicht mehr korrigiert werden können.

Die neurologischen Tests zeigten, dass die Vibrationsempfindung, die eng an die Propriozeption gekoppelt ist, ebenfalls ausgefallen war. An unbehaarten Stellen (Hände oder Füße) konnten die Frauen leichte Berührungen kaum wahrnehmen und die Zweipunktdiskrimination war ausgefallen. An der behaarten Haut wurden Berührungen manchmal als unangenehm empfunden. Ansonsten war die sensorische Funktion normal. Schmerzen, Juckreiz und Temperaturen wurden normal wahrgenommen.

Eine Sequenzierung des Genoms, also aller Protein-kodierenden Gene, führte zur Ursache der Störung. Beide Patientinnen, die nicht miteinander verwandt waren, hatten (unterschiedliche) Mutationen im Gen PIEZO2. Es enthält die Erbinformation für einen Ionenkanal der Zellmembran, der auf äußeren Druck hin den Durchfluss der Ionen verändert. In den Sinneszellen für die Propriozeption löst dies vermutlich einen Nervenimpuls aus, der an das Gehirn weitergeleitet wird.

Die beiden Frauen sind nicht die ersten Menschen, bei denen Mutationen in PIEZO2 gefunden wurden. Frühere Untersuchungen hatten das Gen mit dem Gordon-Syndrom, dem Marden-Walker-Syndrom und anderen Formen der Arthrogryposis in Verbindung gebracht.

Diese Erkrankungen sind durch eine verminderte Beweglichkeit oder Steifheit von bestimmten Gelenken verbunden, was gut zu dem körperlichen Erscheinungsbild der beiden Patientinnen passt. In einem Fall wurde auch eine Gain-of-function-Mutation gefunden, die die Empfindlichkeit des Mechanorezeptors erhöht. Auch dies hatte eine Arthrogryposis zur Folge. © rme/aerzteblatt.de

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